Zehn Jahre Landrat von Neustadt/WN: Der streitbare Andreas Meier
Neustadt/WN. Der Landrat hat zwei Gesichter. Wenn er am Lipperthof den Pferden zuschaut und dem Vogelgezwitscher lauscht, ist er ganz bei sich. Andreas Meier kann aber auch anders. Wie CSU-Kultfigur Franz Josef Strauß ist auch er „Mitglied im Verein für deutliche Aussprache“. Interview, Teil 2.
Was sind die wichtigsten Gemeinschaftsaufgaben, die das Landratsamt koordiniert: Unterkünfte für Flüchtlinge?
Meier: Am Beispiel Flüchtlinge sieht man vor Ort, dass man neue Gesetze schreiben kann, die aber noch lange nicht in der Umsetzung vor Ort funktionieren. Manches wird schnell beschlossen, aber wenn ich jemanden habe, dessen Identität nicht geklärt ist, oder das Herkunftsland diesen Menschen nicht zurücknimmt, kann ich ihn nicht einfach irgendwo in der Wüste aussetzen. Die Realität ist einfach so. Deswegen bin ich sehr dafür, die Frage zu stellen, wer das dann vollziehen soll.
Also ist die Verschärfung des Asylgesetzes reine Symbolpolitik?
Meier: Es so laufen zu lassen, ist auch keine Alternative. Es geht darum, die Lage vor Ort zu verbessern. Aber wie? Was meines Erachtens schon ein Thema ist: Haben die Flüchtlinge die Möglichkeit, Geld irgendwohin zu transferieren, um Schlepper zu bezahlen? Wenn man die Wohnung bezahlt bekommt, was spricht dann dagegen, die Dinge des täglichen Bedarfs mit Geldkarte zu bezahlen?
Dass sich jemand, der in Syrien aufbricht, weil er in dem vom Bürgerkrieg zerrissenen Land keine Perspektiven sieht, keine Gedanken um eine Bezahlkarte macht?
Meier: Ich glaube schon, dass die Chance, in ein relativ komfortables System einzuwandern, ein Grund sein kann, um sich auf den Weg zu machen – das ist ein gewisser Pull-Faktor.
Und das kann ich auch absolut nachvollziehen, wenn ich selbst irgendwo perspektivlos in Syrien sitzen würde. Andreas Meier
Im Vollzug geht das für uns etwas einfacher: Jeder bekommt einen Betrag auf die Karte transferiert. Ein anderes Thema ist beispielsweise die Situation rund um den Regensburger Bahnhof: Die Zunahme der Kriminalitätsdelikte dort ist Fakt. Wenn man das leugnet, springen die Radikalen nur umso mehr drauf an.
Wäre es nicht vor allem unsere Gemeinschaftsaufgabe, eine echte Integration der Flüchtlinge durch eine frühzeitige Beschäftigung zu erreichen?
Meier: Auch wir wollen für die Flüchtlinge eine sinnvolle Beschäftigung finden und haben uns mit den Leuten vom Verein „Denkstatt“ zusammengesetzt, die gesagt haben, wir organisieren das. Wir wollten eine Liste machen, mit allen, die arbeiten möchten, dürfen aber die Liste aus Datenschutz-Gründen nicht an einen Träger weitergeben, der Arbeit beschaffen würde. Wir müssen deshalb den Umweg über die Integrationslotsen gehen. Da haben wir eine gute Idee, bauen uns aber selber bürokratische Hürden.
Bürokratie ist auch Folge der Anspruchshaltung der Gesellschaft, die Mitspracherechte und Schutzrechte einklagt …
Meier: Viele haben gelernt, eine Regelung oder Nichtregelung immer so zu nutzen, wie es am besten passt. Wenn jemanden eine Regelung stört, sagt er: „Warum muss alles geregelt sein?“ Gibt es dann aber einen Brand in einem Haus, wo keine Feuerschutztür eingebaut ist, sagen alle: „So etwas muss doch geregelt sein.“ Und jeder hat seine Rechtsschutzversicherung. Dann kommen Urteile nach jedem Vorfall und wieder neue Regelungen. Auch bei den bayerischen Sonderregeln für Cannabis denke ich mir:
Man darf nur 100 Meter vom Kindergarten und der Schule entfernt rauchen. Das ist alles richtig, aber wer überwacht das? Andreas Meier
Oder der Rechtsanspruch bei der Krippe und dem Kindergarten: Können wir das alles gewährleisten? Und so geht’s überall weiter: Der Bund kündigt an, wir bauen 400.000 Wohnungen und haben dann nur 30.000 geschafft – Anspruch und Wirklichkeit passen nicht zusammen.
Finanzminister Füracker glaubt auch nicht mehr so recht an den Erfolg der Entbürokratisierungsversprechungen …
Meier: Die Entbürokratisierung werden wir so nie mehr hinbekommen. Wir sind meines Erachtens auch zu konfliktscheu. Wenn jemand seinen Willen durchsetzen will, und man sagt, dass das nicht geht, heißt es gleich, „ich beschwere mich, ich gehe zur Zeitung, ich wähle AfD“ – und jetzt geht’s schon so weit: „Ich gebe dir eine aufs Maul.“ Das ist eine ungute Mischung, die viele verleitet nachzugeben. Keiner traut sich zu sagen: „Nein, bis hierher und nicht weiter, Punkt.“
Welche Folgen hat das auch für unsere Region?
Meier: Wir tun gerade so, als ob sich in unserem Land der Wohlstand automatisch einstellt. Wenn keiner mehr nachts um ein Uhr aufstehen will, wird es eben morgens um halb acht keine Semmeln mehr geben. Wir sollten redlich bleiben und es auch aushalten, wenn ein Gegenüber sagt, „du bist ein Depp“. Ich könnte es mir einfach machen, ich könnte jedem das Blaue vom Himmel versprechen. Aber wem ist damit geholfen? Woher kommt die Idee, dass der Wohlstand ständig wächst, ohne etwas dafür zu tun?
Warum sagen wir nicht, wir haben riesige Aufgaben, um unsere Infrastruktur und unsere Schulen zu sanieren und müssen deswegen 100 Millionen Euro Schulden machen? Andreas Meier
Stattdessen reden wir über Sondervermögen! Wir waren im Landkreis vor zwei Jahren bilanziell, also unterm Strich eigentlich schuldenfrei. Aber wir müssen jetzt investieren. Die größten Brocken entfallen auf die Schulen und Kliniken. Also werden wir Geld brauchen – man prognostiziert uns in fünf Jahren eine Gesamtverschuldung von 50 Millionen Euro. Entweder die Wirtschaft läuft besser oder wir werden sparen müssen. Ob das reicht, weiß ich nicht. Unendlich viele Schulden sind natürlich auch nicht vernünftig.
Was halten Sie von den geplanten Windrädern in Parkstein?
Meier: Windräder und Wärmepumpen sind in der öffentlichen Wahrnehmung ideologisch so besetzt, die verbinden die Leute mit Eingriffen in die persönliche Entscheidungsfreiheit und mit der Beeinträchtigung der Landschaft. Ich bin aber auch kein Freund von Logistikzentren. Manche kommunalen Entscheidungsträger waren ganz scharf darauf. Ich habe immer gesagt, Amazon bitte nicht! Da stehen Flächenverbrauch und Arbeitsplätze in keinem Verhältnis.
Andererseits sind Windräder ein Beitrag zu mehr sauberer Energie und Energieunabhängigkeit …
Meier: Nichts gegen die Energiewende. Aber Landschaft und Natur haben auch ihren eigenen Wert. Es heißt nicht umsonst Landschaftsschutzgebiet, weil sich da jemand mal etwas gedacht hat. Das ist doch auch was Schützenswertes. Klar, wir haben eine andere weltpolitische Lage, bekommen kein Gas mehr aus Russland. Aber dass dadurch der Schutz der Landschaft so krass in den Hintergrund gerät, damit kann ich mich nicht abfinden.
Rechnen Sie denn mit so gravierenden Eingriffen bei uns?
Meier: Wir werden auf alle Fälle mehr Windräder in der Oberpfalz bekommen, schon weil die rechtlichen Hürden niedriger sind. Wir im Landkreis haben noch das Militär und die Truppenübungsplätze, das ist ein Faktor. Die Abwägung mit der Landesverteidigung ist eine hohe Hürde. Dennoch wurde der Landschafts-, Umwelt und Artenschutz so weit runtergefahren, dass es kaum mehr Einspruchsmöglichkeiten gibt.
Was sagt das Ergebnis der vergeblichen Kämpfe um den Trassenverlauf des Süd-Ost-Links aus – dass Tennet und die Bundesnetzagentur gelernt haben, mit Scheinveranstaltungen Kritiker so lange zu ermüden, bis die eigenen Pläne durchgehen?
Meier: Der Süd-Ost-Link wird kommen, so wie er von Anfang an geplant war. Ich hatte die Hoffnung, dass der Aufruf zur Beteiligung ernst gemeint war. Aber in Wirklichkeit sah das Verfahren halt eine Bürgerbeteiligung vor, daran hat man sich formal gehalten. Tennet kann sagen: „Wir waren guten Willens.“ Wir waren ja keine Trassengegner, sondern haben immer gesagt, wir wollen lediglich eine verträgliche Trassenführung – und ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass bessere Alternativen möglich gewesen wären.
Ich bin desillusioniert. Die Beteiligung war lediglich ein Feigenblatt, alles nur Schaufensterpolitik. Andreas Meier
Die Grundstückseigentümer hatten keine Chance, sich ernsthaft zu wehren. Das schafft genau dieses Gefühl, dass man von „denen da oben“ nicht ernst genommen wird. Inzwischen hat sich seit dem Ukrainekrieg und dem Ende der Gaslieferungen aus Russland die Haltung der Bevölkerung geändert. Die meisten sind überzeugt, wir brauchen das. Aber trotzdem war der Prozess mit dem Netzausbaubeschleunigungsgesetz Übertragungsnetz (NABEG) und dem Wind-an-Land-Gesetz kein gutes Zeugnis für Beteiligungsrechte in einem demokratischen Rechtsstaat.
Wie ist der Stand beim Thema Wasserstoffregion?
Meier: Das HyLand-Programm, für das dem Landkreis eine HyPerformer-Förderung zur Entwicklung einer Wasserstoff-Wertschöpfungskette mit der Implementierung von Elektrolyseuren, Wasserstoff-Tankstellen und einer Fahrzeugflotte für die Industrie – beispielsweise der Glasindustrie – und des ÖPNV ermöglicht werden sollte, ist leider gestoppt, die Fördermittel sind gestrichen.
Wieso das?
Meier: Das ist eine Entscheidung der Bundesregierung, nach der Klage der Union vor dem Verfassungsgericht, dass der Bundeshaushalt nicht verfassungskonform ist. Das gibt uns einen Dämpfer. Wir haben Strukturen geschaffen, Projekte definiert, darunter auch einen Anschluss an eine Wasserstoff-Pipeline durch den Landkreis Neustadt/WN. Wir müssen jetzt aber schauen, dass wir anders als beim Süd-Ost-Link auch einen Anschluss mittels Wasserstoffzentrum an der Pipeline bekommen. Geplant sind Ausbildungswege in neue Berufszweige der Wasserstofftechnologe, aber der Wegfall von Fördermitteln macht es schwerer.
Hat ein Landrat denn überhaupt keinen Einfluss auf überregionale Entscheidungen?
Meier: Wie oft gab es nach Berlin adressierte Hilferufe der Landräte zum Beispiel wegen der Flüchtlingsunterbringung? Das ist alles verhallt. Die Entkoppelung von Berlin zur kommunalen Ebene ärgert uns. Unter der Vorgängerregierung hatten wir zumindest das Gefühl, dass unsere Anliegen ankommen und dass man sich ernsthaft damit auseinandersetzt. Heute finden wir als bayerische Landräte, egal welche Färbung, nach meinem Eindruck kaum Gehör – nicht einmal der bayerische Landkreistag. Nachdem wir unsere Stellungsnahmen zum Wind-an-Land-Gesetz abgegeben hatten, hieß es: „Machen Sie sich keine Hoffnung, dass wir Gehör finden.“ Es gibt zum Glück andere Fälle, wo auch die Kommunalpolitik erfolgreicher ist, wie beim Erhalt der Kaserne in Weiden.
Angriffe auf Politiker nehmen zu, wie zuletzt auf einen SPD-Europa-Abgeordneten, der beim Plakatkleben verprügelt wurde. Wie nehmen Sie die Stimmung vor Ort wahr – besteht die Gefahr, dass künftig Gemeinden händeringend nach Kandidaten suchen müssen wie damals in Sylt sogar bundesweit?
Meier: Das ist eine blöde Mischung aus Sozialen Medien, die es ermöglichen, sich anonym verbal auszuleben, die insgesamt schlechte wirtschaftliche Lage, die ständigen schlechten Nachrichten über Kriege und die damit verbundene Perspektivlosigkeit, radikale Parteien, die das befeuern, und eine mangelnde Skepsis gegenüber autoritären Regierungsformen. Früher haben Wirtshaus und Politik zusammengehört. Man hat zwar in der Gemeinderatssitzung erst hitzig diskutiert, aber anschließend zusammen ein Seidl getrunken.
Heute haut man sich die Positionen in Facebook gnadenlos um die Ohren. Der Stammtisch würde manches wieder erden. Andreas Meier
Da stellt sich schon die Frage, ob wir noch die Liste mit ehrenamtlichen Gemeinderäten vollkriegen. Viele werden sich fragen: Warum soll ich mir das noch antun? Gerade bei den ehrenamtlichen Bürgermeistern, die zusätzlich im Beruf gefordert sind, wird die Kandidatenauswahl noch schwieriger. Vielleicht wird man dazu übergehen müssen, mehr Hauptamtliche zu installieren, Strukturen zu schaffen, die das Leben der Mandatsträger durch die Übernahme von Verwaltungsaufgaben einfacher machen.
Funktionen des Landratsamtes
Formell ist das Landratsamt Aufsichtsbehörde für die Bürgermeister – und umgekehrt die Regierung für das Landratsamt. Entstehen aus dieser Konstellation Konflikte mit Rathauschefs – und in welchen Bereichen könnte die Regierung eingreifen? „Wir sehen uns nicht als Aufsicht mit dem drohenden Zeigefinger“, sagt Landrat Andreas Meier.
„Früher gab es Visitationen in den Gemeinden und genauso von der Regierung bei uns, aber nicht im Sinne von Aufpassern.“ Sicher, wenn Dinge falsch laufen würden, etwa weil in Kirchenthumbach der Bürgermeister lange nicht da ist, dann greift die Aufsichtsfunktion. „Aber ich sehe das als Partnerschaft.“
Genauso sehe es auch die Regierung der Oberpfalz. „Walter Jonas begegnet uns auf Augenhöhe.“ Das sei auch die Sicht- und Arbeitsweise im Kreistag. „Ich sage oft, ich bin froh über das gute Klima, auch wenn wir nicht immer einer Meinung sind, aber wir leisten eine gute Zusammenarbeit.“
* Diese Felder sind erforderlich.