Stilvoll, deftig und feurig in Pressath
Pressath. Das Mittelalter- und Fantasymarktwochenende bot mit Musik, Handwerk und Unterhaltung eine lehrreiche Zeitreise. Veranstalter und Besucher zeigten sich zum Abschluss zufrieden.
Haben Sie schon einmal übermütigem mittelalterlichem „Minnesang“ gelauscht? Mit einer Hexe geplaudert? Oder einem Sarwirker über die Schulter geschaut? Feurig und märchenhaft, aber auch lehrreich ging es zu beim Mittelalter- und Fantasymarktwochenende auf der Kiesibeach Festwiese – und auch das Wetter meinte es fast zu gut mit den „Gauklern“, „Tandlern“ und „Spielleuten“.
„Deine nackte Haut meinen Leib zum Kochen bringt, / mir das Herz erwärmt, bis zum Funken es zerspringt“: Wenn Kasha und Olga, Bronko, Lambert und der Trunkene Humpen zu Schellenkranz, Drehleier, Trommel, Flöte und Laute greifen, sollte das Publikum auf virtuos und mitreißend dargebotenen deftigen „Klartext“ gefasst sein. Klartext, der zugleich authentischste mittelalterliche Geschichte ist: Denn die zitierten Verse sind 800 Jahre alt, und es waren ausgerechnet Mönche, die diese heute als „Carmina Burana“ (Benediktbeurer Gesänge) weltberühmten Hohelieder der Liebe und Lebensfreude in all ihrer sinnenfrohen Anschaulichkeit für die Nachwelt bewahrten.
Authentizität ohne Makaberes
Mit ihren teils original-mittelalterlichen, teils als Neukompositionen von der Musik jener Jahrhunderte inspirierten Liebes-, Schelmen-, Schänken- und Vagantenliedern passen die „Gebrüder Schlimmm“ („mit drei m, weil wir fünf sind, aber fünf m nicht schön aussehen würden“) bestens zu den Mittelaltermärkten, die „All for you Events“ aus Röttenbach bei Erlangen seit 2013 bundesweit organisiert. „Wir wollen Menschen aller Generationen unterhalten, und das mit stilvollen Angeboten, die einen möglichst authentischen Eindruck von Gepflogenheiten des Mittelalters geben“, bringt Verena Grebner – alias Heroldin, Tänzerin und Märchenerzählerin „Varisha“ – das Marktkonzept auf den Punkt.
Keine Hexenverbrennungen als Gaudi. Gemeinsam mit Ehemann John und Hündin Stine gehört die Tanzschulleiterin aus Coburg seit 2019 zum Stamm der Künstler und Händler, auf den „All for you“-Chef Manfred Schleicher für seine Historien- und Fantasymärkte bauen kann. Bei der Programmgestaltung gebe es durchaus Grenzen, betont „Varisha“. So verzichte man auf zweifelhafte „Gaudi“-Inszenierungen von Hinrichtungen oder Hexenverbrennungen: „Zu unseren Künstlern gehört zwar auch ein Scharfrichter-Darsteller, der aber nur ernst über die Aufgaben der mittelalterlichen Henker spricht.“ Zu diesen Obliegenheiten habe damals auch der Schutz der als „nicht ehrbar“ geltenden Tänzerinnen vor Anpöbeleien und sexuellen Übergriffen gezählt.
Zwischen Naturverbundenheit und Hexenwerk
Doch warum gerade „Mittelalter“ als Marktthema? In der Kultur jener Zeit finde er zeitlos-aktuelle Werte wieder, erklärt Manfred Schleicher und nennt als Beispiel die Naturverbundenheit, die heutzutage im wachsenden Umweltbewusstsein eine Renaissance erlebe. Mit dieser Motivation kann sich Kirsten Winter identifizieren, die in ihrem Stand Räucher-Kräutermischungen, Schmuckstücke mit esoterischen Symbolen, Pendel, Heilsteine und anderes „Hexenwerk“ anbot.
Jeder kann „Hexe“ sein. „Ja, ich bin eine Hexe“, „gesteht“ sie mit einem Lächeln – nicht ohne sich sogleich gegen leidige Vorurteile und Zerrbilder zu verwahren: Ihr „Hexentum“ knüpfe an die Tradition der „Zaunreiterinnen“ an, die mit ihrem uralten naturmedizinischen Wissensschatz gleichsam die Heilpraktikerinnen des Mittelalters gewesen seien. In der männerdominierten Gesellschaft jener Zeit sei man den gebildeten heilkundigen Frauen allerdings oft mit Argwohn begegnet, habe ihr Wissen als „heidnisch“ und „dämonisch“ verdammt und sie selbst an den Rand gedrängt, verfemt und verfolgt.
Naturverbundenheit als Weg zur Selbsthilfe
Eigentlich könnte „jeder eine Hexe sein“, sofern er bereit und fähig sei, „seine Fühler für die Natur und ihre Kräfte auszufahren“, ist Kirsten Winter überzeugt, die in Steinfels bei Mantel lebt und eine Heilpraktikerschulung absolviert hat: „Die Menschen sollen wieder Respekt vor der Natur lernen und erkennen, wie viel Heilkräftiges vor ihrer Haustür wächst.“ Sie selbst sehe sich dabei vor allem in einer „Wegweiserfunktion“ und gebe gern Fingerzeige zur Selbsthilfe, etwa indem sie zu Kräuterwanderungen einlade oder darauf hinweise, dass oft schon Besuche an einem ruhigen Ort in der Natur kräftigend und heilsam wirkten.
Mit Schweiß, Kraft und Findigkeit. Ruhe, Kraft und Geduld sind fraglos auch unabdingbar für einen „Sarwirker“ (Kettenhemdschmied) oder „Plattner“ (Rüstungsschmied): Das weiß niemand besser als Raphael Schmidt aus Selb, der gemeinsam mit Tanja Hollmann am „Tailors of Steel“-Stand vorführte, wie man im Mittelalter „mit viel Schweiß und Kraft“ Kettenhemden und Ritterrüstungen fertigte. Etwa ein Jahr Arbeit stecke in einem Kettenhemd, sofern man es traditionsgetreu in reiner Handarbeit herstelle. Für eine handgefertigte Ritterrüstung brauche es sogar bis zu zwei Jahre, ein Helm könne bereits nach einem Monat fertig sein.
Mittelalterliches Flair begeistert in Pressath
„Gerade bei den Kettenhemden sind viele Feinheiten der Fertigungstechnik gar nicht mehr bekannt, so dass wir selbst handwerkliche Lösungen finden mussten“, verrät Schmidt: „Dabei achten wir darauf, dass diese Lösungen auch mit den technischen Ressourcen des Mittelalters hätten realisiert werden können.“ Quasi als „Meisterstück“ zeigte Schmidt die Nachbildung einer Rüstung, die anno 1902 aus einem über 1.400 Jahre alten Fürstengrab bei Gammertingen in Baden-Württemberg geborgen wurde.
Furchtlos mit Feuer jonglieren.
Neben allem Lehrreichen kam die Unterhaltung nicht zu kurz: Beeindruckt waren junge wie erwachsene Besucher, von denen etliche in Fantasygewänder oder historisierende Trachten gekleidet waren, von den Jonglagedarbietungen von „Anastasia“ und „Gaukler Gregorius“, die sogar brennende Fackeln behände durch die Luft wirbeln ließen. Wer wollte, konnte mit „Ragnars“ Wikingerboot eine Rundfahrt über den Kiesibeachweiher unternehmen, und zwischendurch ließ „Ragnar“ auch den Drachen „Dragus“ über die Festwiese spazieren. Schmuck, Ritterspielrequisiten und naturwollene Kleidungsstücke, Met, luftgetrocknete spanische Salami und allerlei weitere „Labsal“ für Zunge und Gaumen bot die Reihe der Stände, die den Platz umsäumten.
Alles in allem zeigten sich Manfred Schleicher und seine Mitstreiter am Ende des Markttreibens zufrieden und sparten nicht mit Lob für das Pressather Publikum, auch wenn vor allem am Samstag die Hochsommerhitze dafür gesorgt hatte, dass sich der Festplatz erst gegen Abend so richtig füllte. „Im nächsten Jahr wollen wir wiederkommen“, versprach Schleicher – damit dürfte ein Glanzlicht für die Festivitäten zu „180 Jahren Stadtrecht“ gesichert sein.
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