Gerhard Brunners Balanceakt zwischen Back-Handwerk und effizienter High-Tech

Weiden. Am Tag sterben zwei bis drei Bäckereien in Deutschland. Die Discounter erweitern ständig ihr Backangebot. Es ist ein Balanceakt, den Gerhard Brunner täglich leistet – zwischen traditionellem Handwerk, technischem Fortschritt und fehlendem Personal.

Bäckermeister Gerhard Brunner zeigt uns seinen Betrieb. Foto: Jürgen Herda

Wachsen oder weichen, hieß einmal die Parole. Inzwischen tun sich aber auch gewachsene Unternehmen schwer. „Fünf unserer Filialen sind zurzeit geschlossen“, sagt Bäckermeister Gerhard Brunner, „in vielen kommen wir nur mit reduzierten Öffnungszeiten über die Runden.“

Wie viele andere Unternehmen sucht auch die Bäckerei Brunner mit ihren 86 Filialen und 730 Beschäftigten händeringend nach Personal. „Wir könnten expandieren, finden aber keine Verkäufer“, klagt Brunner. Auch der Nachwuchs bleibt aus: „Wir hatten schon mal bis zu 85 Azubis, aktuell sind es gerade einmal 35.“

Die Semmeln muss ich nachts backen …“

Alle Handwerksberufe würden unter dem Run auf die Universitäten leiden. „Vielleicht ist die Schule auch zu leicht“, grübelt Brunner, „in meiner Generation gingen nicht so viele ins Gymnasium.“ Dazu komme das wenig Work-Life-Balance versprechende Image des Bäckers: „Da musst du früh aufstehen“, sagt der Unternehmer, „die Semmeln muss ich nachts backen.“

Brunner beschäftigt Mitarbeiter aus 27 Nationen: „Wir sind froh, wenn überhaupt noch einer kommt.“ Bei der jüngsten Maikundgebung am Unteren Markt schob Dirk Stockfisch von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) dem Bäckermeister selbst den Schwarzen Peter zu: Brunner zahle nur Mindestlohn, da müsse er sich nicht wundern, wenn er keine Mitarbeiter bekomme.

Die röschen Semmeln werden nachts gebacken. Foto: Jürgen Herda

Von wegen nur Mindestlohn

Brunner wehrt sich vehement: „Wenn ich nur Mindestlohn zahlen würde, würde ich überhaupt keine Leute mehr kriegen“, sagt einer der größten privaten Arbeitgeber Weidens. Dass er die Mitgliedschaft bei der Innung im Juni 2021 gekündigt habe, sei im Übrigen keine Tarifflucht und habe nichts mit der späteren Gründung eines Betriebsrats zu tun. „Wir haben einfach andere Strukturen als kleine Bäckereien“, sagt Brunner, „in der Innung ist kaum noch einer unserer Größe.“

Apropos Größe: Sobald man mit dem Chef die Hygieneschleuse der Großbäckerei in der Georg-Stöckel-Straße passiert hat, bekommt man eine Vorstellung davon, was es heißt, 86 Filialen zwischen Bayreuth und Regensburg täglich zweimal mit frischen Backwaren zu versorgen. „Wir befinden uns hier auf einer Fläche von 6000 Quadratmetern“, beschreibt Konditormeister Stephan Kelnhofer seinen Arbeitsplatz. „So groß wie ein Fußballfeld, wir haben eine Backfläche von 320 Quadratmetern, eine Kühl- und Frosterfläche von etwa 700 Quadratmetern.“ In manchen Schichtbereichen arbeiten rund 80 Bäcker, Konditoren, Fahrer, Schlosser und Reinigungskräfte.

Gebacken wird bei Bäcker Gerhard Brunner auf einer Fläche von 6000 Quadratmetern. Foto: Jürgen Herda

Wenn die Hygiene-Fighter kommen

Brunner kämpft tagtäglich gegen die Bürden seiner Branche: „Seit dem Müllerbrot-Skandal wurden die Vorschriften massiv verschärft“, erzählt der Bäckerboss. „Alles muss dokumentiert werden.“ Bei einer unangekündigten Kontrolle rückten acht Hygiene-Fighter an. „Zwei schauen die Dokumentationen durch, sechs Mann gehen durch den Betrieb – unser Schlosser muss die Seitenverkleidungen abschrauben, damit sie überall reinschauen können.“ Da Brunner und seine Leute penibel auf Sauberkeit achteten, blieben sie aber meist nicht lange: „Unser Hygienestandard ist sehr hoch.“

Brunner beschäftigt sogar eine eigene Trophologin, die Lebensmitteltechnik in Gera studiert hat: „Die ausgebildete Ernährungsberaterin macht bei uns die Qualitätssicherung“, sagt der Chef. „Sie ist für Hygiene, Wasserqualität und die Rezepte zuständig.“ Kein Wunder, dass sich da kleine Bäckereien schwertun. „Wir hatten mal über 10.000 Betriebe in Deutschland“, blickt Brunner zurück, „wenn das Bäckereisterben in dem Tempo weitergeht, geht unheimlich viel Backkultur verloren.“ Schließlich sei man zu Recht stolz darauf, dass das Land der Dichter und Denker auch die meisten Brotsorten sein Eigen nenne: „Die Politik lässt jeden neuen Supermarkt bauen“, kritisiert Brunner die Dicounterisierung, „Aldi hat zweistellige Zuwachsraten bei Backwaren.“

Wenn das Bäckereisterben in dem Tempo weitergeht, geht unheimlich viel Backkultur verloren. Gerhard Brunner

Bei der Hygiene muss der Brunner-Bäcker pingelig sein. Foto: Jürgen Herda

Umstellung auf Strom nicht zu stemmen

Zum Glück könne man wenigstens bei den Energiepreisen noch durchschnaufen: „Wir haben alte Verträge“, freut er sich, dass der große Preisschock erst einmal ausbleibt. Allerdings kämen die Nebenkostenabrechnungen erst noch. Eine Umstellung auf Strom hält Brunner für illusorisch. „Eine Backstube heizt immer mit Gas, für eine Umstellung unserer 3000 kWh auf Strom wäre eine Millioneninvestition notwendig.“ Das sei nicht zu stemmen.

Lieber konzentriert sich der Bäcker aus Leidenschaft auf seinen Balanceakt zwischen traditionellem Handwerk und effizientem High-Tech. „Ich bin überzeugt davon, dass handwerkliches Backen Zukunft hat“, sagt Brunner, der klare Unterschiede zu Discounter-Backwaren benennt: „Die Teigruhe macht die Qualität aus, dafür hat ein Industrielieferant gar nicht die Zeit.“ Gutes Brot erkenne man an der groben, unregelmäßigen Porung. „Dann ist es auch länger haltbar.“

Eine Umstellung auf Strom würde für Gerhard Brunner eine Millionen-Investition erfordern. Foto: Jürgen Herda

Brunner fährt jeden Laden zweimal an

Für das Vollkornbrot koche man das Mehl vor. „Das kann die Industrie nicht.“ Bei der Weiterverarbeitung komme der Teig in Trichter – die Größe des Zylinders bestimme das Gewicht. „Bei uns gibt es Gewichtsschwankungen, aber die Struktur bleibt erhalten.“ In der Industrie werde der Hefeteig gepresst und gehe dadurch kaputt. „Selbst unsere Stangerln brauchen zwei Tage“, sagt Brunner, „dann werden sie als Teiglinge ausgeliefert und in den Filialen frisch gebacken.“

Die Öfen vor Ort seien immer besser geworden. „Frische ist eines der wichtigsten Qualitätsmerkmale“, betont der Unternehmer, „wir fahren jeden Laden zweimal an – um 4 und um 7 Uhr.“ Baguettes, Brezen und Stangerln würden draußen ständig rösch aufgebacken. „Unsere Kaisersemmeln und Kuchen backen wir hier.“ Im Zentrum der Innovation: „Wir testen immer wieder neue Rezepte, wie unser Brot mit Bärlauch.“

Nico Rath ist seit 1. Mai 2019 als Prokurist in der Geschäftsleitung. Foto: Jürgen Herda

Steinofenbrot wie vor 20 Jahren

Bäckerei ist auch Saisongeschäft. „Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler“, weiß Brunner. „Im Frühjahr erwarten unsere Kunden Gebäck mit Früchten“, erzählt er. So hat jedes Obst seine Kuchenentsprechung zur Erdbeer-, Kirsch- oder Apfelernte. Und im Fasching darf natürlich auch experimentiert werden: „In der Krapfen-Saison ist seit langem Vielfalt Programm – Nougat und Eierlikör gehören bereits zum Standard, neu im Programm ist der Bienenstich-Krapfen.“

Das Bio-Segment stagniere dagegen, seitdem die Preise für Rohstoffe nur noch eine Richtung kennen. „Dabei haben wir ohnehin die billigsten Lebensmittel in ganz Europa“, wundert sich Brunner über die Sparsamkeit am falschen Fleck, „und dabei wollen doch eigentlich alle gesunde Lebensmittel jenseits der Industrie.“ Veganes Brot und Semmeln habe er dennoch im Angebot: „Bei Kuchen ist das aber eine Herausforderung“, gibt er zu. Die Kunden hielten Brunner aber aus einem anderen Grund die Treue: „Sie kommen zu uns, weil sie ein Steinofenbrot wollen, das schmeckt wie vor 20 Jahren.“

Schmeckt wie vor 20 Jahren: Das Bio-Steinofenbrot. Foto: Brunner Bäcker

Kurze Chronik der Bäckerei Brunner

  • 1958: Gerhard Brunners Vater macht sich in Weiden West selbstständig
  • 1965: Bau der Backstube. „Wir waren damals eine reine Lieferbäckerei für Supermärkte“, sagt Gerhard Brunner.
  • 1972: Erstes Bäckereigebäude in der Georg-Stöckel-Straße.
  • 1978 erster Laden im E-Center in der Weidener Bauscherstraße. „Das Liefergeschäft wurde weniger, die Läden mehr – in den 1980ern war das Liefergeschäft fast völlig weg.“
  • 203: 730 Beschäftigte in 86 Filialen, backen, liefern oder verkaufen am Tag 30.000 Brezen, 25.000 Rosensemmeln und 3000 Steinofenbrote.

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