Fairtrade auch mit unseren Bauern: Damit nicht nur der Handel gut verdient [mit Video]

Ellenbach/Störnstein. Im dritten Teil unserer „Sendung mit den Bauern“ fordern die Landwirte Werner Reinl (Ellenbach) und Hubert Meiler (Störnstein) eine schiere Selbstverständlichkeit: einen fairen Milchpreis. Bisher legen ausschließlich Molkereien und der Handel die Preise fest.

Im fernen Berlin und München werden neue Vorschriften zum vermeintlichen Tierwohl erlassen, bei Lanz, Maischberger und Co. Diskutieren Buchautoren über Nitrat, Insektensterben und Klima. Aber die Praxis-Experten vor Ort kommen selten zu Wort. OberpfalzECHO hat deshalb zwei Vertreter des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter (BDM) eingeladen, um über ihre Situation zu sprechen.

Werner Reinl (Ellenbach) und Hubert Meiler (Störnstein) schildern im Redaktionsgespräch die Lage ihrer Zunft – zerrieben zwischen ökonomischen Zwängen und den Ansprüchen der Gesellschaft an Ökologie, Verbraucherschutz und Tierwohl.

Im dritten Teil fordern die beiden Milcherzeuger, dass die Landwirte endlich als eigenständige Marktteilnehmer zumindest die reellen Kosten ansetzen können – bisher diktieren Molkereien und der Handel die Preise. Die Lebensmittel müssten dadurch nicht viel teurer, die Gewinne nur gerechter verteilt werden.

OberpfalzECHO: Professorin Christine Wieck sieht die Ursachen der ökonomischen wie ökologischen Schieflage in einer Kombination von Politikversagen, weil Entscheidungen auf die lange Bank geschoben wurden, und einem Marktversagen, weil der Druck zu immer mehr Größe auch nicht zielführend war. Gleichzeitig habe man den Verbrauchern suggeriert, dass beste Qualität für wenig Geld zu haben ist.

Reinl: Frau Klöckner hatte sich auf den Standpunkt gestellt, die Branche – bestehend aus der Kette Erzeugung, Verarbeitung und Handel – soll das regeln. Das wird nie funktionieren, weil die Interessen zwischen Landwirten, Molkereien und Handel dermaßen weit auseinandergehen. Die Molkereien wollen einen günstigen Rohstoff und die Bauern einen kostendeckenden Preis. Deshalb fordern wir, dass die Milchproduktion eine eigene Branche wird, damit wir am Markt teilnehmen können. Und mehr oder weniger produzieren, um diesen Preiskorridor zu erreichen. Die Politik ist gefordert, diesen Rahmen vorzugeben.

Meiler: Die Verbraucher fordern mehr Umwelt- und Tierschutz, was wir auch wollen. Aber sie kaufen dann trotzdem die billigen Produkte bei den Discountern.

Reinl: Es gibt schon welche, die einen höheren Preis zahlen, aber das ist immer noch eine Minderheit, die bei weitem nicht für die geforderte Agrarwende ausreicht. Und wir sprechen ja hier nur vom Endverbraucher, der nur etwa ein Drittel des Absatzes ausmacht. Rund Zweidrittel gehen in die Weiterverarbeitung – und hier spielt nur der günstigste Preis eine Rolle.

Die Verbraucher sind wegen der derzeitigen Inflation ohnehin belastet. Was würde denn ein fairer Preis für Lebensmittel konkret bedeuten?

Reinl: Wenn jeder in der Wertschöpfungskette nur einen fairen Anteil bekommt, müsste es für den Verbraucher nicht zwangsläufig teurer werden. Wir können es bei der „Fairen Milch“ konkret sagen. Wir brauchen etwa 50 Cent pro Liter Milch, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Der Rest ist die Gewinnspanne des Handels.

Meiler: Wenn ich mir heute die vegane Milch anschaue, da kostet die teuerste 1,40 …

… bei der Hafermilch reicht das nicht ….

Meiler: … nein, die normale Milch, bei der Hafermilch bin ich ja zwischen 2 und 3 Euro. Wenn wir zehn Cent mehr verlangen, müsste es nur um 10 Cent teurer werden. Das würde uns reichen. Die Entstehungskosten sind damit ja eh abgedeckt.

Reinl: Also die Kosten in der Molkerei und für die Verpackung und so weiter.

Würde das nach eurer Einschätzung auch bei anderen Produkten ähnlich aussehen?

Reinl: Ich denke, ja! Alle anderen in der Wertschöpfungskette haben ja bisher auch schon immer alle ihre Kosten und Gewinnmargen gedeckt. Also könnten Preissteigerungen direkt und vollumfänglich an die Bauern weitergereicht werden.

Meiler: Wir haben schon Preissteigerungen, die Getreidepreise sind von 14 auf 22 Euro hochgegangen, der Dünger sogar um 200 Prozent.

Gleichzeitig ist die Nachfrage nach Fläche unvermindert groß …

Reinl: Flächenfraß ist ein Riesenproblem. Ich habe gestern auf einer Fläche mitgemäht, das sind Ausgleichsflächen von der Autobahn irgendwo bei Mähring oben. Schöne Ackerböden, vermutlich von einem Landwirt, der verkaufen musste. Da wird dann Hartholz zur Stilllegung angepflanzt und geht als Fläche für die Landwirtschaft verloren. Die Fläche wird aufwendig gepflegt, kostet Geld, das ist eigentlich Wahnsinn. Warum sagt man nicht, man baut für das Geld Industriebrachen zurück? Darauf kann wachsen, was will, das ist egal. Das wäre doch wesentlich sinnvoller, als zweimal wertvolle Ackerflächen zu verbrennen – einmal durch den Neubau und dann noch durch die Ausgleichsflächen. Der Flächendruck wird immer größer und damit auch die Problematik mit der Gülle.

Meiler: Wenn ich mir heute so ein Gewerbegebiet wie den Brandweiher in Weiden anschaue, da steht in der Mitte eine kleine Halle, außenrum eine riesige Rasenfläche, eingezäunt, dass nichts rein kann, kein Hase, kein Rebhuhn. Warum muss man das nicht kompensieren?

Das ist der Wettbewerb der Kommunen um Ansiedlungen, da will niemand ansiedlungswilligen Firmen zusätzliche Hürden aufbürden …

Reinl: Da sind wir wieder bei der großen Politik, solche Rahmenbedingungen müssen in Berlin und Brüssel gesetzt werden.

Erneuerbare Energien waren auch ein zweites Standbein für manche Landwirte. Seht ihr da mit der neuen Regierung neue Potenziale?

Reinl: Bei der Bioenergie ist der Flächenverbrauch damals unter Rot-Grün aus dem Ruder gelaufen, etwa bei der Masse der Maisproduktion. Die Flächenpreise sind explodiert, das war sicher nicht Künasts Ziel. Man trifft eine Entscheidung, will Reststoffe nutzen, aber wenn das aus dem Ruder läuft, muss man rechtzeitig nachkorrigieren. Das läuft jetzt seit 25 Jahren immer noch in diese Richtung. Photovoltaik wird manchmal als zweites Standbein in der Landwirtschaft bezeichnet, ich sehe das nicht. Ich kann keine Fläche, keine Arbeitszeit verwerten. Ich habe halt den Vorteil, dass ich Gebäude habe, wo ich auf die Dächer Solarpaneelen draufmachen kann. Das wird durch die grüne Politik bestimmt weiter forciert werden.

Spielt Corona für euch noch eine Rolle?

Reinl: Für mich am Hof eigentlich relativ wenig. Ich bin auch selten unter Leuten, dass ich einkaufen gehen muss, das macht die Frau. Für mich hat sich nichts geändert. Wir waren auch in Quarantäne, ich gehe da meinen Weg am Hof. Meine Frau geht noch nebenbei ein wenig in die Arbeit als Arzthelferin. Die hat mehr Kontakt mit Leuten natürlich, die belastet das deutlich mehr. Was mir schon fehlt, ist das gesellschaftliche Leben neben der Arbeit, das ist doch deutlich eingeschränkt.

Schlachthöfe waren immer wieder von Infektionen betroffen, mussten schließen. Habt ihr da was mitbekommen?

Meiler: Der Absatz von Schweinen ist momentan schon krass. Wir arbeiten mit einem Schweinemäster zusammen, der von uns Futter bekommt. Die bekommen für Ferkel mit 25 bis 30 Kilo 18 bis 20 Euro. Und die Futterpreise sind denen davongerannt. Der sagt, wenn ich meinen Stall nicht abbezahlen müsste, dann würde ich am Schlag aufhören. Der geht nebenbei in die Arbeit, er kann nicht anders. Insgesamt gehen wir Bauern mit Corona ganz anders um wie viele Städter.

Reinl: … dass man vorsichtig ist und Abstand hält, ist alles selbstverständlich. Ich glaub’ schon, dass wir Bauern ein wenig mehr Bodenhaftung haben und uns nicht so schnell narrisch machen lassen von der ganzen Informationsflut von Facebook und den ganzen Medien, die permanent auf einen einströmt. Wir sind da ein wenig geerdeter und schauen erst mal, kann das sein, kann das stimmen? Es wird nicht immer alles so heiß gegessen, wie es gekocht wird.

Ihr hockt aber auch nicht so eng aufeinander wie in der Stadt oder im Unternehmen mit Hunderten Mitarbeitern auf engstem Raum, wenn da eine Infektionswelle läuft, die Krankenhäuser überlastet sind, haben wir ein Problem – es gibt schon ernstzunehmende Auswirkungen dieser Pandemie.

Reinl: Ja, das stimmt schon.

Zum Thema Chancengleichheit im internationalen Handel: Wie wird eigentlich das argentinische Rind gehalten, um das es bei uns so einen Hype gibt? Wie seht ihr das die aktuelle EU-Politik – der EU-Abgeordnete Christian Doleschal hat euch vor kurzem besucht?

Reinl: Gut ist das verbändeübergreifende Miteinander in Deutschland, das auf die europäische Agrarpolitik den größten Einfluss hat. Da hoffen wir schon auf den Cem Özdemir, da schließt sich der Kreis wieder, dass der hoffentlich ein wenig unbedarfter an die Sache herangeht. Es gibt verschiedene Verbände in der Landwirtschaft und die Vorgänger waren alle auf den Bauernverband fixiert. Es gibt den Agrar- und den Milchdialog, wo sich viele verschiedene Verbände an einen Tisch setzen. Und wir merken untereinander, dass wir viele Gemeinsamkeiten haben und in die gleiche Richtung ziehen wollen.

Und der Bauernverband?

Reinl: Wer oft nicht dabei ist, ist der Bauernverband, leider. Wir hätten ihn gerne mit an Bord, weil er die größte Interessenvertretung der Bauern ist, die größte Macht hätte, aber es geht halt in eine andere Richtung. Da die Politik aber auch merkt, dass es mehr Verbände branchenübergreifend gibt, kommt da Bewegung rein, wir bekommen mehr Einfluss. Aber es ist halt, wie immer in der Politik, sehr langwierig.

Die faire Milch:

  • Die faire Milch ist ein europaweites Projekt unter dem Dach des European Milk Boards (EMB). Das EMB vergibt Lizenzen für das Programm an die nationalen Teilnehmerländer.
  • Gesellschafter in Deutschland ist der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM). Ab 2010 wurde eine entsprechende Produktmarke in den Handel gebracht.
  • Milcherzeuger, die in das Programm aufgenommen werden wollen, verpflichten sich auf strenge Produktionskriterien. Dazu zählen unter anderem der Verzicht auf gentechnisch verändertes Futter, eine artgerechte Fütterung der Tiere und die Umsetzung von Umweltschutzmaßnahmen auf den Höfen. Die Kühe erhalten zudem Futter mit mindestens 50 Prozent Grasanteil in der Ration. Ein Verstoß gegen diese Richtlinien führt zu einem zeitweiligen oder dauerhaften Ausschluss aus dem Programm.
  • Die Milchbauern verzichten bei der Fütterung auf Futter aus Übersee und setzen Umwelt- oder Tierprojekte auf ihren Höfen um. Voraussetzung für die Teilnahme am Programm ist die Mitgliedschaft im Bundesverband deutscher Milchviehhalter (BDM). Alle Milchbauern müssen zertifizierte Familienbetriebe führen.
  • Die faire Milch ist außerdem die erste konventionelle Milchmarke, die eine Begrenzung der Tierhaltung auf der Betriebsfläche vorsieht. So dürfen nicht mehr als 2,5 ausgewachsene Tiere pro Hektar Betriebsfläche gehalten werden.
  • Das Konzept sieht hinsichtlich der Preiskalkulation vor, dass von unten nach oben kalkuliert wird. So gehen von jedem verkauften Liter Milch 45 Cent an die am Projekt beteiligten Milchbauern. Weitere Aufwendungen, wie Abfüllen, Verpackung, Transport und Handelsspanne ergeben den Verkaufspreis im Laden.
  • Die Markenkommunikation befördert den Begriff „Die faire Milch“ zusammen mit einem schwarz-rot-goldenen Design. Dazu gehört das Maskottchen und Logo-Tier „Faironika“, eine schwarz-rot-golden gefärbte Kuh. Diese Kuh kam in der Vergangenheit als lebensgroße Plastikvariante bei Demonstrationen der Milchbauern zum Einsatz und wurde überregional bekannt.

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