[Update]Urteil im Degen-Prozess ist gefallen: Angreiferin unbefristet in Psychiatrie

Weiden. Am heutigen Montag fällt ein Urteil im Degen-Prozess. Die 1. Strafkammer des Landgerichts entscheidet: Wird die 66 Jahre alte Täterin in der Psychiatrie untergebracht oder ist Bewährung möglich?

Degenattacke
Dr. Christiane Bardenheuer vertritt die Frau, die unter dem Eindruck einer psychischen Erkrankung in der Fußgängerzone Passanten angriff. Im Hintergrund der psychiatrische Gutachter Johannes Schwerdtner. Foto: Christine Ascherl

[Update, 12.15 Uhr] Die 1. Strafkammer unter Vorsitz von Richter Peter Werner mit den Richtern Florian Bauer und Matthias Bauer verkündet das Urteil. Das Landgericht ordnet die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an.

Die Urteilsbegründung: Aus Sicht der Kammer liegen gefährliche Körperverletzung und versuchter Totschlag vor. “Wer mit so einer Waffe auf den Kopf eines anderen Menschen eindrischt, der nimmt in Kauf, dass der andere sterben könnte.” Die Beschuldigte litt an paranoid-halluzinatorischer Schizophrenie. Zur Tatzeit lag ein psychotischer Schub vor, auch ausgelöst durch den Verkauf ihres Elternhauses.

Voraussetzung für die Unterbringung ist, dass weitere erhebliche Straftaten zu erwarten sind. Diese Prognose müsse hier nach Anhörung der behandelnden Psychiater getroffen werden, so Richter Werner. Der Sachverständige war von 50 Prozent Rückfallrisiko ausgegangen. Der psychiatrische Gutachter attestierte der Beschuldigten zudem “wechselnde Krankheitseinsicht”. Der Verlauf der Erkrankung sei schwankend, getriggert von Stressfaktoren. Werner: “Wenn wieder Stressfaktoren auftreten, ist auch künftig wieder mit solchen Gewaltexzessen zu rechnen.”

Die Kammer würdige durchaus, dass sich die Beschuldigte in der Klinik bereitwillig behandeln lasse. Auch die Entschuldigung bei den Opfern zum Prozessauftakt sowie ihr besonnenes Verhalten während der Gerichtstage brachten ihr Sympathien ein. Bewährung hält das Gericht aber “beim allerbesten Willen” für nicht verantwortbar. Dafür gelten strenge Maßstäbe. “Wir haben hier zu viele Baustellen, die noch ungelöst sind.” Medikamente, Psycho-Edukation – alles sei noch nicht abgeschlossen. “Das kann man nicht in Freiheit ausprobieren.”

Was bedeutet die Unterbringung? Sie ist nur auf dem Papier “unbefristet”. Die Unterbringung wird regelmäßig überprüft. Auch sind schrittweise Lockerungen und Erprobungsphasen vorgesehen. “In drei, vier Jahren kann das für Sie anders aussehen”, meinte Richter Werner zur Beschuldigten. Laut Statistik beträgt die durchschnittliche Dauer im Maßregelvollzug in Bayern rund 6 Jahre.

Plädoyers von Staatsanwalt und Verteidigerin

[Update, 11.45 Uhr] Die Plädoyers sind gehalten. Staatsanwalt Matthias Biehler beantragte die Unterbringung in der Psychiatrie nach Paragraph 63. Als Anlasstaten sieht er gefährliche Körperverletzung und versuchten Mord. Nur mit Glück habe es keine Toten gegeben: “Das hätte auch ganz anders ausgehen können.” Er sah die Unterbringung auch als Chance für die 66-Jährige.

Verteidigerin Dr. Christiane Bardenheuer plädierte auf Bewährung für die Unterbringung, die als schärfstes Schwert im deutschen Recht gilt. Die Beschuldigte sei 66 Jahre alt. “Sie hat nicht mehr alle Zeit der Welt.” Die Anordnung der Unterbringung könne für sie bedeuten, den Rest ihres Lebens in der Psychiatrie zu verbringen. “Ich bitte das Gericht zu bedenken, ob es nicht ein milderes Mittel gibt.”

Die Rentnerin sei am Dienstag, 23. August, nicht losgezogen, “um irgendwelche Menschen zu töten”. “Sie ist losgezogen, um ihr Leben zu verteidigen.” Die 66 Jahre alte Frau war zur Tatzeit gefangen in ihrem Wahnsystem, erinnerte Anwältin Christiane Bardenheuer. “Sie hörte Stimmen, die ihr sagten, sie werde umgebracht.”

Inzwischen habe die Frau Krankheitseinsicht gewonnen, betonte die Verteidigerin. Ihre Ärzte bestätigten vor Gericht, dass sie in der Forensik Taufkirchen gut mitmache. Bei der Medikamenteneinstellung ist man schon so weit, dass die Depot-Verabreichung begonnen wurde. Sprich: Die Einnahme ist gesichert. Nach ihrer Entlassung könnte sie bei Verwandten leben, die auch während des Verfahrens zu ihr hielten und sie in der Forensik besuchen.

Das letzte Wort der 66-jährigen Beschuldigten: “Ich würde gern frei sein.”

Die letzten Zeugen

Als letzte Zeugen waren für Montag die Sachverständigen geladen. Zunächst bewertete Prof. Dr. Peter Betz von der Rechtsmedizin Erlangen die Verletzungen der Geschädigten. Ein 48 Jahre alter Passant war von dem Degen am Hals getroffen worden, weil er gerade noch den Kopf wegduckte. Für Betz glasklar: “Das war eine potenziell lebensgefährliche Handlung.” Bei einem Treffer am Schädel hätte die Arterie geöffnet werden können. Auch ein Einschlagen des Schädeldachs wäre möglich gewesen. Wie auch immer: “Das kann alles zum Tod führen.”

Der zweite Geschädigte (61) erlitt einen tiefen Schnitt am Arm, als er die Angreiferin festhalten wollte. “Glück” dabei: Die Arterien laufen an den Armen beugeseitig, so Betz. Insofern durchschnitt der Degen “nur” die Weichteile.

Zweiter Zeuge für Montagvormittag war Axel Manthei, Waffenexperte des Landeskriminalamtes. Er hat den Degen untersucht. Die Waffe befand sich während des ganzen Verfahrens im Schwurgerichtssaal des Landgerichts. Die 71 Zentimeter lange Klinge ist aus Stahl und angeschliffen. Die Beschuldigte hatte im Kofferraum zudem noch weitere Messer und anderes.

Der Degen war als Beweismittel während des Prozesses im Gerichtsaal. Foto: Archiv Christine Ascherl
Der Degen war als Beweismittel während des Prozesses im Gerichtsaal. Foto: Archiv Christine Ascherl
Dr. Christiane Bardenheuer vertritt die Frau, die unter dem Eindruck einer psychischen Erkrankung in der Fußgängerzone Passanten angriff. Im Hintergrund Staatsanwalt Matthias Biehler. Foto: Christine Ascherl
Dr. Christiane Bardenheuer vertritt die Frau, die unter dem Eindruck einer psychischen Erkrankung in der Fußgängerzone Passanten angriff. Im Hintergrund Staatsanwalt Matthias Biehler. Foto: Christine Ascherl
Dr. Christiane Bardenheuer vertritt die Frau, die unter dem Eindruck einer psychischen Erkrankung in der Fußgängerzone Passanten angriff.  Foto: Christine Ascherl
Dr. Christiane Bardenheuer vertritt die Frau, die unter dem Eindruck einer psychischen Erkrankung in der Fußgängerzone Passanten angriff. Foto: Christine Ascherl
Einer, der nicht lang überlegte: Zeuge Schöner griff ein, während andere die Degenattacke mit ihrem Handy filmten. Foto: Christine Ascherl
Einer, der nicht lang überlegte: Zeuge Schöner griff ein, während andere die Degenattacke mit ihrem Handy filmten. Foto: Christine Ascherl
Foto: Christine Ascherl
Foto: Christine Ascherl
Foto: Christine Ascherl
  • Der erste Prozesstag: Der Staatsanwalt berichtet in seiner Antragsschrift über den Hergang der Tat. Die drei Geschädigten und ein Ersthelfer werden als Zeugen gehört.
  • Am zweiten Tag berichten Angehörige der alleinstehenden Rentnerin von ihrer Kindheit und Jugend, die geprägt war durch einen gewalttätigen Vater.
  • Dritter Tag: Der psychiatrische Gutachter rät zu einer Unterbringung in einem psychiatrischem Krankenhaus. Die Behandlung schlage an, aber werde einige Jahre dauern.

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