„Spiegel“ auf Spuren des KZ-Kommandanten Richard Baer aus Floß

Floß/Weiden. Das Nachrichtenmagazin "Spiegel" berichtet in seiner aktuellen Ausgabe über Richard Baer, den letzten Kommandanten von Auschwitz. Thema ist sein Untertauchen nach 1945 auf dem Gut von Fürst von Bismarck bei Hamburg. Baer stammte aus Floß im Landkreis Neustadt/WN.

Auschwitz, 1944: Der Flosser Richard Baer (von links) an der Seite von Dr. Josef Mengele und Rudolf Hoess. Foto: USHMM

Nach der Schulzeit in Floß machte Richard Baer eine Ausbildung zum Konditor in Weiden. Stadtarchivar Sebastian Schott hat noch die Meldekarte: Demnach wohnte Baer von 1925 bis 1933 in Weiden – zeitweise ausgerechnet in der Bismarckstraße. Zum 1. April 1933 meldete er sich endgültig nach Dachau ab. Seine „Karriere“ als Massenmörder begann: Baer war Kommandant der KZ Auschwitz und Dora-Mittelbau. Auf sein Konto gehen abertausende Tote.

Der „Spiegel“ thematisiert sein Untertauchen nach 1945. So verbarg sich Baer 15 Jahre lang als Waldarbeiter nahe Hamburg. Sein Arbeitgeber war Otto Christian von Bismarck, Enkel des früheren Reichskanzlers. Baer verwendete den Decknamen „Karl Neumann“. Er flog erst 1960 auf, als sein Fahndungsfoto veröffentlicht wurde. Es kam zur Verhaftung in Bismarcks Sachsenwald.

Wusste Bismarck, wen er da beschäftigte?

Damit war 15 Jahre lang ein Massenmörder im Dienst eines prominenten CDU-Bundestagsabgeordneten untergetaucht. In dieser Zeit kam Kanzler Konrad Adenauer zu Besuch nach Friedrichsruh. Der „Spiegel“ stellt die Frage, ob Otto Christian von Bismarck wusste, wen er da auf seinem Familiengut beschäftigte.

Die Antwort: Bis heute ist das ungeklärt. Otto Christian von Bismarck hat sich bis zu seinem Tod 1975 dazu nie öffentlich geäußert. Er war bis 1943 als Diplomat für das Auswärtige Amt in Stockholm, London und Rom tätig. Seine NSDAP-Mitgliedschaft ab 1933 ist bekannt. Laut „Spiegel“ haben seine Nachfahren angekündigt, von Historikern klären zu lassen, ob ihm die wahre Identität von “Neumann” bekannt war.

Zwei von 46 SS-Lagerkommandanten aus Weiden

Gleich zwei von 46 SS-Lagerkommandanten kamen aus der Oberpfalz: Baer und der Weidener Martin Gottfried Weiß. Die beiden hatten 1932 gemeinsam den „SS-Sturm Weiden“ gegründet. Damals waren sie 21 und 27 Jahre alt. Am Wochenende boten sie ihre Dienste als „Rednerschutz“ bei Parteiversammlungen an. Schwarze Uniform, Totenkopfabzeichen, Motorrad: Konditorgeselle Baer und der Arbeitslose Weiß machten plötzlich was her.

Mit der Machtergreifung ergaben sich für die beiden noch viel größere Perspektiven. Baer und Weiß patrouillierten zunächst als Hilfspolizisten durch Weiden. Sie konnten ihr „pseudosoldatisches Gebahren professionalisieren“, beschreibt es Historikerin Karin Orth im Buch „Die Konzentrationslager-SS“.

Und es sollte noch mehr daraus werden: Im April 1933 wurden die beiden zum Wachdienst ins KZ Dachau versetzt. Dort drillte Kommandant Theodor Eicke die SS. Baer sagte 1960 aus: „Je mehr wir geschliffen wurden, je stolzer waren wir darauf.“ Die SS-Männer sollten unempfindlich werden gegen ihre eigenen Gefühle und die Qualen der Häftlinge. Eicke lehrte sie foltern und töten. Die „Dachauer Schule“ brachte etliche Lagerkommandanten hervor.

Baer als Auschwitz-Kommandant: „Noch radikaler als Höß“

Baer war zunächst in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Buchenwald eingesetzt. Dann wurde er Adjutant seines Jugendfreundes Weiß im KZ Neuengamme, wo er seine Frau Maria kennenlernte. Sie war Tochter eines Malermeisters aus der Nähe von Hamburg. 1942 kam Baer nach Auschwitz, erst als Adjutant von Rudolf Höß, dann als Lagerkommandant. Der Lagerälteste nannte ihn „noch radikaler als Höß“.

Mit der Räumung der Lager in Osteuropa wurde Baer im Februar 1945 letzter Kommandant im KZ Dora-Mittelbau in Thüringen. Hier kamen zu dieser Zeit über 900 ausgemergelte Häftlinge aus Auschwitz an. Vor dem Krematorium stapelten sich etwa 70 Leichen. Der Lagerarzt erinnerte sich im Auschwitz-Prozess, was Baer bei diesem Anblick gerufen habe: „Wann wird endlich einmal diese Scheiße verbrannt? Diese Aussprüche charakterisieren sein Wesen.“

Auch in Nabburg schon als „Karl Neumann“

Bei einem alliierten Luftangriff erlitt Baer eine Verletzung. Zum Kriegsende befand er sich zur Kur in der Steiermark. Er schlug sich in die Oberpfalz durch und nahm Gelegenheitsarbeiten auf Bauernhöfen an. Schon in Nabburg verwendete er erstmals den Decknamen „Karl Neumann“. Mehrmals wurde er kontrolliert, aber nicht erkannt.

Offenbar wurde es ihm in der Heimat dann doch zu heiß. Ende 1945 setzte sich Baer mit seiner Frau nach Hamburg ab. Der „Spiegel“ nennt eine Quelle, wonach der Schwiegervater die beiden mit dem Wagen holte. Die Ehefrau zog zu den Eltern zurück. Baer heuerte als Holzarbeiter bei der „Fürstlich Bismarck’schen Forstverwaltung“ in Aumühle an, keine fünf Kilometer vom Wohnort seiner Frau (Dassendorf) entfernt.

Er lebte in einer Baracke, mied Kontakte zu Nachbarn und Kollegen. Es gelang ihm, fast 15 Jahre unentdeckt zu bleiben. Als 1960 Staatsanwalt Fritz Bauer die Frankfurter Prozesse vorantrieb, wurde Baers Fahndungsfoto in der „Tagesschau“ gezeigt. Gleich drei entscheidende Hinweise gingen ein, die der „Spiegel“ jetzt erstmals recherchiert hat. Am Ende wurde Baer bei der Waldarbeit verhaftet. Er starb 1963 in Untersuchungshaft in Frankfurt an Herz-Kreislauf-Versagen.

Richard Baer aus Floß in seiner Zeit als Lagerkommandant Auschwitz, fotografiert von seinem Adjutanten in einer Jagdhütte. Foto: USHMM
Richard Baer aus Floß in seiner Zeit als Lagerkommandant Auschwitz, fotografiert von seinem Adjutanten in einer Jagdhütte. Foto: USHMM
Richard Baer nach seiner Festnahme 1961. Foto: USHMM
Richard Baer nach seiner Festnahme 1961. Foto: USHMM
Die Meldekarte von Richard Baer befindet sich im Stadtarchiv Weiden. Foto: Stadtarchiv Weiden
Die Meldekarte von Richard Baer befindet sich im Stadtarchiv Weiden. Foto: Stadtarchiv Weiden

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1 Kommentare

Anwohner - 01.05.2024

Schlimm, wenn Menschen erst was galten, als sie den Tod organisierten.