BücherECHO: Ode an die Klassiker der Weltliteratur

Nordoberpfalz. Viele haben sich nie mehr von ihrem Effi-Briest-Trauma und dem Zwang, im Unterricht Klassiker zu lesen, erholt. Schade eigentlich – denn ein zweiter Anlauf als Erwachsener würde völlig neue geistige Welten erschließen. Ein Kommentar.

Was für ein heißer, knorriger Typ, dieser Alexis Sorbas! Foto: OberpfalzECHO / Ann-Marie Zell

Wir schreiben das Jahr 2024 und der Homo Sapiens – der „weise, kluge Mensch“ – entfernt sich augenscheinlich immer weiter von seiner Gattungsbezeichnung. Es wäre tatsächlich an der Zeit, wieder etwas mehr zum Sapiens zurückzukehren. Nur das Feuer zu bändigen und das Rad zu erfinden, um dann mit über 200 Sachen über die Autobahn zu preschen, ist doch etwas dünn. Da muss es doch noch was anderes geben, die unsterblichen Klassiker der Weltliteratur zum Beispiel. Das wird schon seinen Grund haben, dass sie unsterblich sind. Werfen wir doch mal unter diesem Aspekt einen Blick darauf. Es lohnt sich nicht nur für passionierte Bücherwürmer.

Im Gegensatz zum Fußball sind wir (der „deutschsprachige Raum“) Weltklasse, unsere Nobelpreisträgerinnen und -träger haben Meilensteine in der Geisteswelt gesetzt. Lassen wir nicht zu, dass die immer mehr zur Geisterwelt wird.

Eine gute und eine schlechte Nachricht

Ganz zu Beginn heißt es deshalb erst einmal „Pathosbooster marsch“: Wer sich auf die Klassiker einlässt, dem verspreche ich unendliche Welten des Geistes, spannende wie tragische Figuren und Geschichten, Erzählungen aus dem Kleinen, die den Blick auf das große Ganze schärfen – und ein sattes Stück Lebensqualität. Doch jetzt gleich die schlechte Nachricht: Diese Werke passen nicht in ein TikTok-Video, man muss (beziehungsweise darf) sie sich erarbeiten. Aber sie sind ein Geschenk an die Menschheit. Warum also nicht davon profitieren?

Interessiert? Mit welcher Einstellung geht man hier ran?

Generationen von Schülern wurden diese wundervollen Werke mit Zwang eingetrichtert, doch wie eingangs erwähnt – wer liest mit 16 schon freiwillig Fontane? Und doch sollte man das als Pubertierender so langweilig empfundene Buch (was das gute Recht der Kids ist) nochmals als gesetzter Erwachsener zur Hand nehmen. Und sich dann vielleicht weiter an den großen Frauenfiguren der Weltliteratur entlanghangeln wie etwa Madame Bovary und Anna Karenina. Und schon hat man mit Fontane, Flaubert und Tolstoi drei Big Player der Literatur von der besten Seite kennengelernt.

Bändchen oder Backstein, durch den Inhalt fließen oder sich auch mal durch die eine oder andere Seite durchkämpfen? Wenn man dabei immer locker und unverkrampft bleibt, erschließen sich einem unter Umständen völlig neue Geisteswelten. Und wenn nicht, dann halt nicht, völlig ohne Wertung – auch das ist die Freiheit, die Literatur bietet.

Verstaubtes, langweiliges und verquastes Zeug…

Die Klassiker rund um den Globus sind wie das Leben selbst, tragisch, traurig, manchmal auch mühsam und langweilig und das Leben wie das Buch richtig gelesen, auch lustig. Der deutsche Simplicissimus, der brave Soldat Schwejk oder der vogelwilde Trip des Don Quijote, sind alle urkomisch, dabei keinesfalls abgehoben und auch mal wunderbar zotig – einfach Schenkelklopfer mit Tiefe aus der literarischen Champions League.

Den eigenen individuellen Kanon schaffen

Ich kann alle, denen es beim Thema „Buch“ nicht direkt die Zehennägel aufstellt, nur ermuntern, sich selbst auf diese spannende Reise zu begeben und dabei vor allem auf den eigenen Verstand und die eigene Intuition zu vertrauen.

Vor allem bringt es jede Menge Spaß, auch mal den Kritikern und den Bestsellerlisten zu widersprechen und ist auch heute noch ein Indikator für Bildung. Hier ist ein bisschen angeben doch eindeutig erlaubt, das sollten wir uns auch wert sein. Außerdem macht Lesen auch mutig und stärkt das Selbstvertrauen. Das ist doch psychologisch eindeutig wertvoll, wird aber leider nicht von den Kassen übernommen.

Klassiker auf der Kinoleinwand

Man stelle sich vor, dass für ein neurologisches Gewitter die Lektüre von „Im Westen nichts Neues“ im Kopf erzeugt. Bei jedem Leser und jeder Leserin sehen die Protagonisten wie die Schlachtenszenen anders aus, jeder schafft so in seiner Vorstellung seine eigene kleine Welt.

Schaut man sich die mittlere Verfilmung von Remarques Meisterwerk an, dann kommt meine Generation nicht drumherum, die Frage zu stellen: „Was hat Paul Baumer bitte mit John-Boy aus den ‘Waltons’ zu tun?“ Die Antwort ist ganz einfach – es ist schlicht und einfach der gleiche Schauspieler. Das hätten sich die wenigsten von uns so vorgestellt. Deshalb ergeht an dieser Stelle mein dringender Appell zuerst das Werk zu lesen, dann eine oder mehrere der Verfilmungen genießen und vergleichen. Ein weiteres Plus für die gedruckten Werke und Garant für einen schönen Fernsehabend. Was will man mehr?

Von wegen muffiges Cordsacko!

„Lesen macht schön, schlank und sexy“, so moderiert der Literaturkritiker Denis Scheck in der Regel seine Formate ab. Und er hat natürlich recht und das ist von mir jetzt kein adipöser Zwangsoptimismus. Ein Mensch, der sich an etwas erfreut und von Leidenschaft dafür erfüllt ist, strahlt das auch aus und wirkt positiv auf seine Mitmenschen und kann diesen auch etwas davon mitgeben. Dadurch fühlt man sich doch noch besser. Außerdem ist es ein durch und durch sinnliches Erlebnis, ein gutes und schön gemachtes Buch in der Hand zu halten.

Eine der großen Ängste des modernen Menschen ist die Vorstellung, sich zu langweilen. Aber langweilig sind die Klassiker garantiert nicht. Vor allem, wenn man den Mut hat, selbstbewusst und interessiert an ein Werk heranzugehen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass dann selbst Stifters „Nachsommer“ so spannende wird, dass man es guten Gewissens weiterempfehlen kann („Viele sagen, es ist das langweiligste Buch, das je geschrieben wurde, aber für mich ist das literarisches Feng-Shui“).

Feuer Frei für echt geilen Scheiß!

Auch wenn diese Formulierung inzwischen natürlich auch schon wieder extrem oldschool ist, trotzdem gilt dieser Appell mehr denn je – gehen wir frisch und mit offenem geistigen Visier an die vermeidlich muffigen Wälzer. Lassen wir diese jenseits der Vorschusslorbeeren ganz individuell auf uns wirken. Sie werden bestehen und für den einen wird es eine völlig neue Facette des Menschseins. Für den anderen vielleicht nicht. Aber auch das ich kein Problem, sondern geistige Freiheit.

Anleitung zum fachgerechten Umgang mit Weltliteratur

Bei der Lektüre wie im ganzen Leben gilt: Lasst euch nicht von vermeidlichen Gscheithaferln reinreden. Montage: Ann-Marie Zell/OberpfalzECHO

Ach was – her damit und einfach los lesen! Es ist tatsächlich so einfach.

* Diese Felder sind erforderlich.