Ein großer Politiker und sein unfreiwilliger Aufenthalt in der kleinen Grenzstadt

Waldmünchen. „Ich habe das Schloss in Combourg gesehen und es war in die literarische Inspiration geschehen.“ Ein Gespräch mit dem Oberpfälzer Schriftsteller und Dramatiker Bernhard Setzwein über sein neuestes Stück „Monsieur Chateaubriands letzte Reise“.

Der Schauspieler Uli Scherr als Chateaubriand bei der Probe. Bild: Setzwein

Über den letzten Scharfrichter Johann Reichhart, den Theologen Dietrich Bonhoeffer und die Mystikerin Therese Neumann haben Sie Stücke geschrieben, die alle einen Bezug zur Oberpfalz haben. Und jetzt kommen Sie auf einmal mit dem Franzosen François-Rene de Chateaubriand daher?

Bernhard Setzwein: Ja, das ist wahr, das musste man nicht unbedingt von mir erwarten. Etwas salopp würde ich sagen: Auch im 63. Lebensjahr sollte es möglich sein, dass man seine Themenpalette noch erweitert und seinen Horizont öffnet. Und so habe ich tatsächlich meinen Blick um 180 Grad gewendet und nach etlichen Romanen und Theaterstücken, die alle die östliche Perspektive eingenommen haben und oftmals Richtung Böhmen schauten, mich nun einmal nach Westen orientiert, zu unserem Nachbarn Frankreich. Übrigens auch mit zwei Recherchereisen, nach Combourg und nach Paris. Dazu gleich noch mehr.

Ja, Chateaubriand … ein Name, der auch mir lange Zeit wenig gesagt hat, dabei hat er in Frankreich ungefähr denselben Klang wie bei uns Goethe. Beide Klassiker in ihrer jeweiligen Nationalliteratur. Beide übrigens nicht nur Autor, sondern auch Politiker. Und, noch eine dritte Gemeinsamkeit: Beide große Reisende.

Bernhard Setzwein. Bild: privat

Bei uns kennt man den Namen vor allem vom Doppellendenstück her.

Setzwein: Ja, erstaunlicherweise. Googelt man den Namen, wird einem ziemlich viel Fleisch auf den Bildschirm serviert, übrigens, weil ein vom Dichter angestellter Koch dieses Gericht erfunden haben soll. Chateaubriand entstammt halt nun einmal einer Epoche, die bei uns – ein paar Spezialisten ausgenommen – ziemlich unterbelichtet ist.

Ich meine, auch wir als Angehörige einer Generation, die Ende der achtziger Jahre anfing, wach zu werden, haben doch, wenn dann Autoren wie Albert Camus, Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir gelesen. Aber doch im Leben keinen Chateaubriand.

Wie sind Sie dennoch auf diese Geschichte gestoßen?

Setzwein: Weil es eben doch eine Verbindung zu meiner Wahlheimat Waldmünchen gibt. Und da ich Lokalgeschichte schon immer höchst aufmerksam verfolgt habe, konnte es gar nicht ausbleiben, dass ich einmal darauf aufmerksam wurde, ein berühmter Franzose sei hier bei uns gewesen und habe eine reizende Episode darüber in seiner Autobiografie geschrieben. So kam Waldmünchen übrigens in die Weltliteratur. Ich habe mir das dann besorgt, gelesen, war nett, damit aber auch wieder gut.

Es hat Jahre gedauert, bis Martina Mathes mich darauf angesprochen hat, es gebe Überlegungen, Waldmünchen ein zweites Theaterstück zu verschaffen neben dem Dauerbrenner und bald 75 Jahre laufenden Erfolgsstück „Trenck der Pandur vor Waldmünchen“. Was dabei sicher auch eine Rolle gespielt hat: Waldmünchen stand vor dem 30-jährigen Jubiläum einer Stadtpartnerschaft mit Combourg, jenem Städtchen in der Bretagne also, wo Chateaubriand seine Kindheit verbrachte. Ich bin dann mal im Rahmen dieses Austausches mit nach Combourg gefahren, habe das imposante Schloss gesehen, in dem der Dichter als Kind lebte und spätestens ab da war es dann um die literarische Inspiration geschehen.

Der Aufenthalt Chateaubriands in Waldmünchen war also der Aufhänger. Er war auf einer diplomatischen Reise nach Prag unterwegs. Was wollte er dort und warum blieb er an der Grenze hängen?

Setzwein: Etwas mit seinen Papieren stimmte nicht und ein ziemlich prinzipientreuer Grenzbeamter ließ in deswegen die Grenze nicht passieren. Chateaubriand nennt ihn eine Mischung aus Wiener Polizeispion und böhmischem Schmuggler, damals gehörte Böhmen ja zum Habsburgerreich. Der Dichter war offenbar recht ungehalten darüber, dass dieser Mensch ihn partout nicht kannte und sein klingender Name überhaupt nichts ausrichtete. Chateaubriand musste die wenigen Kilometer zurück nach Waldmünchen, sich dort Quartier nehmen und warten, bis die fehlenden Papiere nachgeschickt wurden. Er nutzte die Zeit, um sich in dem kleinen Bauernstädtchen alles ganz genau anzusehen und später dann eine hinreißende Schilderung dieses Waldmünchner Alltags im Jahre 1833 in seinem Buch „Erinnerungen von jenseits des Grabes“ zu geben. Das ist wirklich besonders und können vergleichbare Städtchen nur selten von sich behaupten.

Als es schließlich weiterging, reiste Chateaubriand an sein ursprüngliches Ziel Prag, um dort mit dem im Exil lebenden Karl X. in diplomatischer Mission zu sprechen. Der Dichter war ja großer Anhänger der Bourbonen und wünschte sie sich auf den französischen Königsthron zurück. Er bildete sich ja sogar ein, so etwas wie ein Prinzenerzieher für den Enkel Henri zu sein. Allerdings nur, um ihm beizubringen, dass er der letzte seiner Art sein würde, eine „noch lebende Vergangenheit in der Mitte der Zukunft“, wie Chateaubriand es ausdrückte. Er war nämlich der Überzeugung, die Zukunft gehöre der Demokratie. Ich erwähne das nur, um zu zeigen: politisch nicht ganz leicht einordenbar, dieser Chateaubriand.

War es für Sie schwierig, an historische Quellen zu kommen und was gibt es überhaupt an authentischen Dokumenten dazu?

Setzwein: Hauptquelle war seine Autobiografie „Erinnerungen von jenseits des Grabes“, übrigens in einer Neuübersetzung vor Jahren im Mathes & Seitz Verlag in Berlin erschienen. Chateaubriand wurde schon früh ausgiebig ins Deutsche übersetzt. Kurioserweise bemerkt Chateaubriand bei dem Wirt in Waldmünchen, wo er übernachtet hat, standen einige seiner Werke in der Gaststube auf einem Tellerbord, in deutscher Übersetzung natürlich. Der Wirt wird geschaut haben, als deren Verfasser plötzlich vor ihm saß.

Wichtig für die Recherche waren die Fahrten nach Combourg und dann noch ins Vallée aux Loups, heute ein Vorort von Paris. Dort hatte der Dichter ein Landhaus mit weitläufigem Park, heute ein Chateaubriand-Museum. Mit dem dortigen Mitarbeiter, Monsieur Grinhard, konnte ich lange sprechen. Zum Beispiel über das Verhältnis Chateaubriands zu Napoleon.

Der große Feldherr Napoleon meets den Weltbürger und Dichter Chateaubriand: Ein Treffen auf Augenhöhe? In Ihrem Stück kommt der Kaiser etwas vertrottelt daher… Wie sah die Realität aus?

Setzwein: Nun gut, ich habe ein Theaterstück geschrieben, keine historische Dokumentation. Es ist richtig, dass Napoleon bei mir nicht sehr gut wegkommt … ich meine, ein Mensch, der glaubte, so bedeutend zu sein, dass er auf die Menschenleben Hunderttausender keinerlei Rücksicht nehmen muss, hat auch nichts anderes verdient. Dass er vertrottelt, rüberkommt und zum Beispiel dauernd sprachliche Fehler macht, ist insofern abgesichert, als Biografen immer wieder berichten, Napoleon als Korse habe kein sehr gutes Französisch gesprochen. Das ist nur ein Punkt, der ihn ganz wesentlich von Chateaubriand unterscheidet.

Leute, die sich da besser auskennen, wie Monsieur Grinhard, haben mir wiederholt erklärt, Chateaubriand habe einen gewissen literarischen Stil als erster überhaupt in die französische Sprache eingebracht. Was man auch wissen sollte: Napoleon und Chateaubriand haben sich mehrfach im realen Leben getroffen, Chateaubriand hat sogar für ihn als Diplomat gearbeitet. Letztlich hielt ihn Napoleon aber für zu eigensinnig und unzuverlässig. Eine Rivalität war von Seiten Chateaubriands auf alle Fälle da. Er widmet Napoleon in seiner Autobiografie ein langes, ziemlich harsches Kapitel. Toll zu lesen.

Welche Bedeutung haben die beiden Frauen in dem Stück: Eine Halbindianerin trifft auf eine Oberpfälzer Wirtstochter?

Setzwein: Ich habe es schon erwähnt: Chateaubriand war, ähnlich wie Goethe, auch ein großer Reisender. Was sogar noch über Goethe hinausgeht: Er war in Amerika, der Weimarer dagegen hat Europa nie verlassen. Chateaubriand hielt sich mehrere Monate am Mississippi auf und lernte offenbar auch Angehörige der indigenen Bevölkerung kennen. Später schrieb er einen Roman, in dem ein Indianermädchen … natürlich heißt sie bei ihm Indianermädchen und darum nenne ich sie auch so, alles andere wäre geschichtliche Fälschung … er schrieb also einen Roman mit der Hauptfigur Atala. Eine der ersten literarischen Beschreibungen eines europäischen Schriftstellers dieser Welt.

Ja, und diese Atala kommt dann in meinem Stück als Novizin in die Dienste der Jenseitswächterin Parisienne, die auch nur so heißt, weil ihr der Franzose Chateaubriand diesen Namen anheftet. In Wahrheit heißt sie Margarete und war die Tochter des Waldmünchner Wirts. Sie kommt übrigens auch in den Memoiren von Chateaubriand vor, allerdings ganz ohne Namen. Martina Mathes hat mal wieder geholfen, den tatsächlichen authentischen Namen der realen, damaligen Wirtstochter zu erfahren.

Intellektueller, Politiker, Diplomat und Schriftsteller. Chateaubriand war eine Persönlichkeit, die sich für vieles interessierte und die (fast) ganze Welt bereiste. Kann man ihn einen modernen Europäer nennen?

Setzwein: Absolut! Was mich mit am meisten fasziniert hat an seiner Autobiografie, die übrigens nach wie vor sehr lesenswert ist, alles andere dagegen, ehrlich gesagt, weniger, was daran also faszinierend ist, ist der Epilog, das letzte Kapitel. Da sinniert er so über die Zukunft, nach einem wirklich abenteuerlichen Leben. Und formuliert dermaßen prophetische Gedanken über das Zusammenleben der Völker in Europa, das ist höchst erstaunlich. Manchmal war er mir auch recht fremd und entrückt, dieser bretonische Grafensohn, da aber überhaupt nicht.

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Karten für das Freilichtschauspiel auf der Kultur- und Festspielbühne Waldmünchen am 24. Juni, 14. und 21. Juli sowie am 8. August gibt es hier.

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