Nach Vergewaltigung in Tirschenreuth: “Bruce Lee” wird weggesperrt

Weiden/Tirschenreuth. Das Landgericht Weiden hat einen 64-Jährigen aus Tirschenreuth zu 4 Jahren und 6 Monaten Haft verurteilt. Zusätzlich ordneten die Richter die Unterbringung in der Psychiatrie nach Paragraf 63 an. Das bedeutet: Statt ins Gefängnis muss der 64-Jährige in die Forensik.

Landgericht Weiden Vergewaltigung Urteil
“The Alpha”: An Selbstbewusstsein mangelt es dem Angeklagten vor Gericht nicht. Foto: Christine Ascherl

Der Mann hat einen IQ von höchstens 53 Punkten, was dem Wert eines neun- bis zwölfjährigen Kindes entspricht. Diese Intelligenzminderung paart sich laut Gutachter mit einer deutlichen Verhaltensstörung. Der sachverständige Psychiater Dr. Dr. Roland Weißer (medbo Regensburg) hält weitere erhebliche Straftaten für wahrscheinlich. Es bestehe eine Gefahr für die Allgemeinheit.

Dem schließt sich das Gericht an. Für die Strafkammer unter Vorsitz von Richter Marco Heß besteht kein Zweifel an der Vergewaltigung, so wie von der Geschädigten (50) geschildert. Der 64-Jährige hatte die Bekannte an einem Samstagnachmittag im Mai in einem Toilettenhäuschen am Omnibusbahnhof in Tirschenreuth vergewaltigt. Beide gehörten der dortigen Trinker-Szene an. Zwei Zeuginnen eilten zu Hilfe, als der Angeklagte halbnackt auf dem Opfer lag. Schwer wiegt aus Sicht der Strafkammer, dass sich der Angeklagte als Opfer immer Schwächere aussuchte: nicht wehrhafte Frauen und Kinder.

Am Ende musste die Feuerwehr kommen

Basis des Urteils war das Gutachten von Dr. Dr. Roland Weißer. Der Psychiater der medbo kennt den Angeklagten seit Jahren aus mehreren Aufenthalten. Auch seit der Festnahme im Mai 2023 wird der 64-Jährige in der dortigen Forensik behandelt. Der Angeklagte hat sich seither eine ganze Liste von Ausrastern geleistet: Einmal verschanzte er sich in seinem Zimmer und verhakte die Tür mit einem Stuhlbein. Als der Oberarzt eindrang, schwang er einen Stuhl. Er beschimpfte Mitpatienten, malte Hakenkreuze, zerbrach eine Fernbedienung.

Als ihn die Ärzte in den „Pineapple-Raum“ brachten (benannt nach der Firma Pineapple, Hersteller besonders stabiler Möbel), entfernte er Putz von den Wänden und begann den Boden herauszureißen. Das Bettlaken zerfetzte er in Streifen und knotete ein Tau, mit dem er die Zimmertür verschnürte. Am Ende musste die Feuerwehr zur Öffnung kommen. Auch die Weidener Justiz bekommt eine Kostprobe seiner Wutanfälle: In einer Verhandlungspause zerlegt er im Haftraum des Schwurgerichtssaals die Fußbodenleisten.

Er meint, er ist Bruce Lee. Dr. Dr. Roland Weißer, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie

Sein Alter von inzwischen 64 Jahren tue seiner Aggressivität keinen Abbruch, befürchtet der Psychiater. In seiner Selbstüberschätzung greife der Senior auch Pfleger an, die fast doppelt so groß wie er seien. „Er meint, er ist Bruce Lee“, berichtet der Arzt. Den Namen des Kampfsportlers lässt er sich auf seine Handbandagen schreiben. Bei der Verhandlung am Dienstag trägt der Angeklagte einen Kapuzenpullover, auf dem „Alpha“ steht.

Der Möchtegern-Bruce-Lee mit dem Kinder-IQ hat in Tirschenreuth schon viel Angst und Schrecken verbreitet. Der Blick auf seine Strafakte nimmt fast den ganzen Nachmittag ein. Der Angeklagte wuchs mit Mutter und Stiefvater und drei Halbgeschwistern auf. Alle gelten als minderbegabt. Der Psychiater schließt nicht aus, dass der Geisteszustand des Angeklagten auf Alkohol in der Schwangerschaft zurückzuführen ist.

Weibliche Verwandte sprachen von Vergewaltigung

Eine Schule schaffte der 64-Jährige nicht, er kann bis heute nicht lesen oder rechnen. Schon mit 14 Jahren kam er mit dem Ruf eines gefährlichen Schlägers erstmals in eine „Nervenheilanstalt“. Sein ganzes Leben besteht aus vielen Aufenthalten in Einrichtungen und betreutem Wohnen, durchbrochen von einigen Jahren in Freiheit in Tirschenreuth.

Immer wieder standen auch Sexualdelikte im Raum, die aber alle nicht weiter verfolgt werden konnten. Einmal bekam die Halbschwester eine Totgeburt, die nicht erklärbar war und genetisch schließlich dem Bruder zugeordnet wurde. Sie sagte: Das war nicht freiwillig. Auch die Frau seines Halbbruders zeigte ihn wegen Vergewaltigung an; die Ermittlungen scheiterten an ihrer mangelnden Aussagetüchtigkeit. 

Während Lockdown Kinder in die Wohnung gelockt

Ins Gefängnis brachte ihn schließlich 2021 der sexuelle Missbrauch eines achtjährigen Mädchens, das er mit seinem Bruder (11) während Corona in seine Wohnung gelockt hatte. Dort zeigte er den Kindern zunächst Schießübungen, dann zwängte er dem Mädchen Zungenküsse auf. Vor und nach dem damaligen Prozesstermin bedrohte er den Buben auf offener Straße, verfolgte ihn mit dem Moped bis zum Fischhofpark, warf Steine nach ihm. 

Nach seiner Haftentlassung im Oktober 2022 ging es nur etwa ein halbes Jahr gut. Eine Betreuerin besuchte ihn einmal pro Woche und zahlte ihm wöchentlich ein Taschengeld von 70 Euro aus, das er in Alkohol umsetzte. Einmal pro Woche kam auch die Bewährungshelferin in die Wohnung. Sie hätte gern ein „ambulant betreutes Wohnen“ installiert, was zusätzliche Besuche einer Fachkraft und damit zusätzliche Kontrolle bedeutet hätte. Das scheiterte am Personalmangel beim Träger.

Staatsanwältin fordert fünf Jahre

Staatsanwältin Carolin Ammon beantragte fünf Jahre Haft wegen Vergewaltigung und Körperverletzung sowie die Unterbringung in der Psychiatrie. Verteidiger Rouven Colbatz plädierte auf Bewährung.

Paragraph 63: Unterbringung

Statt ins Gefängnis muss der 64-Jährige in die Forensik. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gilt als schärfstes Schwert des Strafgesetzbuchs. Sie erfolgt unbefristet und wird in gewissen Abständen überprüft.

Die Maßregel wird laut Gesetz vor der Strafe vollzogen. Möglicherweise – je nach Dauer – bleibt dann nichts mehr von der Strafe übrig. Es ist durchaus möglich, dass ein Verurteilter länger in der Forensik bleiben muss.

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