Notfalleinsatz eskaliert: “Ich zerleg’ eich wie a Sau”

Weiden. Ein Hoch auf die "Bodycam", die Kamera, die Polizisten neuerdings vorne auf ihrer Uniformjacke tragen. Im westlichen Landkreis Neustadt/WN ist damit ein Einsatz gefilmt worden, der zeigt, was Rettungskräfte so erleben. Das Video ist ein perfektes Beweismittel.

Symbolbild Justiz Landgericht Weiden
Ein Wachtmeister der Justiz in Weiden. Foto:Ann-Marie Zell

Dezember 2021, 0.30 Uhr. Das Rote Kreuz wird zu einem Notfall gerufen. Eine ältere Dame (78) liegt mit Verdacht auf Oberschenkelhalsbruch im Flur. Und zwar wohl schon länger. Sie ist auf dem Weg ins Bad gestürzt. Nachbarn hören ihre Schreie, müssen aber erst die Söhne erreichen, die unterwegs sind.

Helfer vor Ort, Rettungsassistenten und ein Notarzt treffen ein. Der Notarzt ist ein erfahrener Mediziner (5000 Einsätze). Er will die Frau ins Klinikum Weiden liefern lassen. Das passt dem betrunkenen Sohn (41) nicht, er bevorzugt das Krankenhaus Kemnath: “Ich bring’ euch um, wenn ihr sie nach Weiden bringt.” Den Notarzt beleidigt er als “Drecksrusski” und “Russenkrüppel”. Als der Tobende auf den Mediziner zugeht, stellt sich ein junger Rettungsassistent beherzt dazwischen.

Sohn tritt Tür ein

Das Team schiebt den Randalierer auf den Flur hinaus und behandelt weiter. Zwei Helfer halten die Wohnungstür von innen zu. Als der 41-Jährige die Tür eintritt, bricht der Notarzt den Einsatz ab. Die Rettungskräfte verlassen auf seine Anweisung hin das Haus und warten auf die Polizei.

Der Rest ist bestens dokumentiert. Um 1.20 Uhr trifft die Polizei ein. Ein Bodycam-Video zeigt, wie vier Polizeibeamte das Treppenhaus sichern. Durch die Gasse gehen die Rettungskräfte wieder in die Wohnung. Während sie arbeiten, schreit im Flur der 41-Jährige die Polizisten an: “Ich zerleg’ eich wie a Sau.” Und noch vieles mehr. Die Beamten bleiben absolut gelassen. “Bleiben Sie ruhig”, wiederholt einer immer wieder.

Angeklagter: “In den USA hätten sie mich erschossen”

Das Spektakel zieht sich über Minuten. “Lang mi a und i bring di um”, schreit der 41-Jährige und tritt auf einen Beamten zu. Sein älterer Bruder zieht ihn zurück: “Jetzt halts Maul. Du hast Bewährung.” Durch die Gasse der Polizisten wird die Verletzte nach draußen getragen.

Die Berufungskammer unter Vorsitz von Richter Marco Heß sieht sich das Bodycam-Video an. Kommentar des Richters: “Ich will nicht überlegen, was über dem großen Teich mit Ihnen passiert wäre.” Der Angeklagte sagt selbst: “In den USA hätte man mich wahrscheinlich erschossen.”

Doch noch einmal Bewährung

Hier bringt ihn sein Verhalten beinahe wieder ins Gefängnis. Aufgrund der Rückfallgeschwindigkeit sieht Staatsanwalt Benjamin Schauf keine Chance auf eine zweite Bewährung. Das Amtsgericht hatte in erster Instanz 1 Jahr Haft ohne Bewährung gegeben.

Die Berufungskammer gibt ihm diese Chance trotzdem, wenn auch nach langem Ringen. Zunächst sieht es am Verhandlungstag nicht so aus, als ob der Angeklagte reuig ist. Er habe sich um seine Mutter gesorgt (die seinetwegen eine Stunde später ins Krankenhaus kam). Er habe sich durch die Polizisten bedroht gefühlt, die nicht geklingelt oder geklopft hätten (an der Tür, die er eingetreten hatte).

Maximale Bewährungszeit von fünf Jahren

Am Ende kriegt er nach mehreren Unterredungen mit seinen Anwälten die Kurve, entschuldigt sich wortreich. Die Berufung beschränkt er auf das Strafmaß, was dem Landgericht einen mehrtägigen Prozess erspart. Er akzeptiert damit das erstinstanzliche Urteil.

Die 2. Strafkammer entscheidet auf Bewährung. Richter Heß: “Das war nicht nur dünnes Eis, da war eigentlich keines mehr. Man hat Ihnen noch ein letztes Mal den Rettungsring zugeworfen.” Die Bewährungszeit wird auf die maximal möglichen fünf Jahre ausgelegt. Noch ein Delikt: “Und Sie gehen unter.”

Delikt: Widerstand

Verurteilt wurde der 43-Jährige letztlich wegen Beleidigung sowie Widerstand gegen Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen.

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