CSU-Bürgermeister Stier: „Toni Hofreiter war besserer Grünen-Fraktionschef“

Bärnau. Grünen-Schwergewicht Toni Hofreiter ist begeistert vom Geschichtspark Bärnau, wo mit einer Symbiose von traditionellem Handwerk und moderner Technik experimentiert wird. Bürgermeister Alfred Stier (CSU) sähe den wortgewaltigen Bayern lieber als Fraktionsvorsitzenden.

Männerfreundschaft über Parteigrenzen hinweg; Bärnaus Bürgermeister Alfred Stier (CSU/links) und Toni Hofreiter verstehen sich prächtig. Foto/Bearbeitung: Jürgen Herda

Als sich nach der Bundestagswahl in Berlin SPD, Grüne und FDP zur Ampel zusammenflirteten, schien Toni Hofreiter, Münchener Biologe mit südamerikanischer Urwald-Erfahrung, die Idealbesetzung für das Landwirtschaftsministerium. Der 53-Jährige hatte deshalb auf eine erneute Kandidatur als Fraktionsvorsitzender verzichtet.

Es kam anders, Hofreiter wurde ausgebootet. „Stimmt, im Herbst gab es einige Verwerfungen“, sagt er auf Nachfrage von Bärnaus Bürgermeister Alfred Stier (CSU). „Ich habe anderen Leuten versprochen, nicht gegen sie zu kandidieren.“ Deshalb sei klar gewesen, er werde entweder Minister oder Ausschussvorsitzender. „Das Amt muss zum Menschen, nicht der Mensch zum Amt.“

Bürgermeister Alfred Stier mit Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber beim Oktoberfestzug. Foto; CSU

Habeck als nächtlicher Heizungsdieb

Ein hoher Preis sei das gewesen, findet Stier. „Was ich bei der Debatte zum Heizungsgesetz vermisse, ist jemand, der die Gesetzestexte für normale Bürger übersetzen kann, dann kann man das auch nicht so schlecht reden.“ Das traut er Hofreiter, der immer so bairisch redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, offensichtlich eher zu als dem Polit-Philosophen Robert Habeck. „Man kann das trotzdem schlecht reden“, relativiert Hofreiter, „man kann einfach was anderes behaupten.“ Etwa, dass Habeck nächtens kommt und unbescholtenen Häusle-Besitzern die Heizung rausreißt.

„Ach, erstens ist der EU-Ausschuss-Vorsitz auch nicht so schlecht“, winkt der ab, „und der Hebel, den ich in der Öffentlichkeit habe, ist auch nicht verkehrt.“ In seiner neuen Funktion hat sich Hofreiter neu erfunden, und ist als leidenschaftlicher Unterstützer der Ukraine in zahllosen Talkshows zu Gast. Vielleicht ist der Spitzen-Grüne auch deshalb gerne in die nördliche Oberpfalz gekommen, weil seine Gastgeberin eine Ebene weiter unter ein ähnliches Schicksal teilt. Landtagsabgeordnete Anna Schwamberger ist bei der Nominierung auf einen fast aussichtslosen Listenplatz gerutscht und muss nun darauf hoffen, nach vorne gewählt zu werden.

Die Grünen im Geschichtspark Bärnau: EU-Ausschussvorsitzender Toni Hofreiter (rechts) und Gastgeberin MdL Anna Schwamberger. Foto: Jürgen Herda

Europäische Klimapolitik besser als ihr Ruf

Im Übrigen sei auch die Europäische Klimapolitik besser als ihr Ruf: „Sie war die vergangenen fünf Jahre erstaunlich erfolgreich“, erzählt Hofreiter im Geschichtspark-Wirtshaus „Brot & Zeit“, „natürlich wollen wir Grüne immer noch mehr.“ Bei den fast täglichen Horrormeldungen vor allem aus Südeuropa könne man den Eindruck bekommen, es sei alles schon zu spät: „Aber es macht eben doch einen Unterschied, ob es um 1,8 oder um 3 Grad wärmer wird.“

Dass die Einschläge aber auch bei 1,4 Grad Erwärmung immer näherkommen, zeige etwa der verheerende Hagelschaden am Kloster Benediktbeuern Ende August: „Je öfter so etwas vorkommt“, sagt Hofreiter, „desto mehr kostet uns das.“ Natürlich habe es früher auch schon Unwetter geben: „Aber es macht einen Unterschied, ob es jedes Jahr oder alle 100 Jahre passiert – das ist der Unterschied zwischen Wetter und Klima.“

Hagelschaden im Biergarten des Klosterstüberls in Benediktbeuern. Foto: Klosterstüberl

Klima-Zoll für schmutzigen Stahl

Und es stimme eben nicht, dass es nichts bringe, wenn Europa beim Klimaschutz vorangehe. Das Europäische CO₂-Grenzausgleichssystem (Carbon Border Adjustment Mechanism, kurz CBAM) soll die Verlagerung von Treibhausgasemissionen in Nicht-EU-Länder verhindern. „Wenn in China Stahl billig und schmutzig produziert und in die EU exportiert wird, wird jetzt eine Art Klima-Zoll fällig.“ Es mache Sinn, dieses Ungleichgewicht auf europäischer Ebene auszubalancieren: „Deutschland allein ist viel zu klein, um mit China, Russland oder Indien auf Augenhöhe zu verhandeln.“

Die Grünen hätten auch die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Schlüsselindustrie im Blick. Die Auto-Industrie, die in der viertgrößten Volkswirtschaft nach den USA, China und Japan die meisten Arbeitsplätze stelle, müsse, um konkurrenzfähig zu bleiben, den Vorsprung des chinesischen Elektroauto- und Batterieherstellers BYD aufholen. Der verfüge inzwischen über eine 30 kWh-Natrium-Ionen-Batterie, die ohne Lithium auskommt. Die Folge: Deren Elektroauto schafft rund 305 Kilometer Reichweite und kostet gerade mal 9000 Euro.

Subventionierter Industriestrompreis „ja, aber“: Jürgen Mistol, Grüner Landtagsabgeordneter aus Regensburg. Foto: Jürgen Herda

Welches Verbrenner-Aus?

Die Hysterie, die in Deutschland wegen des angeblichen Aus des Verbrennungsmotors verbreitet werde, sorge in Brüssel für Kopfschütteln: „Wegen des großen Geschreis bei uns, dass der Verbrenner bis 2035 verboten werden soll, wird man in Brüssel gefragt, ob die bei uns nicht lesen können?“ Der Verbrennungsmotor komme in dem Text gar nicht vor.

„Da steht lediglich, dass der Motor keinen CO₂-Ausstoß mehr haben darf – wie, ist ihnen völlig egal.“ Wasserstoff, E-Fuels auf Basis erneuerbarer Energien, alles möglich. Dass aber der CO₂-Gehalt in der Atmosphäre als Dämmung wirke, sei unbestritten: „Ohne wäre es eiskalt und es gäbe kein Leben, aber wenn man die Dämmung erhöht, wird’s halt wärmer – unsere Heizung ist die Sonne, daran können wir nicht drehen.“ Die Auswirkungen sind Extremwetter wie Dürre oder Hagelstürme.

Plädoyer für Streitkultur: Tina Winklmann, Grünen-Bundestagsabgeordnete aus Schwandorf. Foto: Jürgen Herda

Fragerunde mit Toni Hofreiter

„Bei den Energiepreisen wandert die energieintensive Industrie ab – können wir da langfristig mithalten?“

Toni Hofreiter: „Das Problem ist der massive Energiepreisschock, weil Gas aus Russland unschlagbar günstig war und nicht ohne Mehrkosten ersetzt werden kann. Getrieben vom billigen Preis haben wir unser Land immer abhängiger gemacht. Deshalb gibt es die Idee eines Industriestrompreises. Jetzt sagen manche: ,Ich zahle 30 Cent, die sollen nur 4 Cent zahlen?‘ Aber das stimmt so nicht. Viele Unternehmen kaufen direkt am Strommarkt für 6 bis 7 Cent, der Unterschied ist gar nicht so groß.“

Warum nicht den Strompreis senken – es geht auch um den Mittelstand, Bäckereien, würde es gewaltig helfen?

Hofreiter: „Eine Stromsteuersenkung würde gerade im energieintensiven Bereich nur bedingt etwas bringen, weil die Industrie gigantische Mengen braucht. Eine Bäckerei steht nicht im internationalen Wettbewerb. Wenn ein Stahlwerk weg ist, kommt das nicht mehr zurück. Semmeln werden aber trotzdem noch gekauft.“

Jürgen Mistol, Grüner Landtagsabgeordneter aus Regensburg: „Ich finde es wichtig, dass wir für eine Übergangszeit einen Industriestrompreis bekommen. Aber es darf dadurch nicht zu neuen Ungerechtigkeiten kommen. Die Einschätzung, dass es zu einer massiven Abwanderung kommt, teile ich nicht. Tschechien hat eine ähnliche Preisentwicklung wie wir. Ich weiß auch von Japan, dass sie von russischer Energie abhängig waren.“

Hofreiter: „Es geht dabei im Grunde um die drei Weltregionen Europa, China oder USA. Die Frage, ob die Chemie- oder Stahlindustrie abwandert, ist auch eine sicherheitspolitische Frage. Deshalb gibt der Staat Milliarden aus, um hier eine Halbleiterindustrie anzusiedeln. Es besteht die Gefahr, dass es eine Attacke von China auf Taiwan gibt. Darauf muss man sich vorbereiten. Und beim ,Critical Raw Materials Act‘ geht‘s darum, Rohstoffe wie Seltene Erden möglichst lange in der Kreislaufwirtschaft zu halten – wir müssen uns um diese Fragen kümmern.

Man stelle sich vor, in den USA kommt Trump wieder an die Macht. Deshalb ist es klug, sich auf diese Dinge vorzubereiten. Als sich die US-Administration entschied, aus Kabul abzuziehen, wären wir nicht in der Lage gewesen, den Flughafen 24 Stunden gegen ein paar Terroristen zu schützen. Deshalb müssen die Europäer endlich erwachsen werden. Dazu gehört, dass wir eine gewisse Unabhängigkeit brauchen – in der Stahlindustrie, bei Halbleitern und Erneuerbaren Energien.“

Warum bekommt Indien, das jährlich 1,6 Milliarden Euro in sein Weltraumprogramm investiert, für die Armuts- und Klimawandelbekämpfung Entwicklungsgelder aus Deutschland?

Hofreiter: „Wir sind das Land, das wie kaum ein anderes von Exporten lebt. Unser Hauptkunde China ist in großen Schwierigkeiten, das bringt unsere Autoindustrie, den Mittelstand, auch die Hidden Champions in der Region in eine Schieflage. Wir haben ein überragendes Interesse, dass wir unsere Produkte nach Indien verkaufen. Zu sagen, die viertgrößte Industrienation der Welt muss keine Geschäfte mit dem bevölkerungsreichsten Land der Welt machen – dafür keine Milliarde auszugeben, dass Indien für 100 Milliarden deutsche Produkte kauft, ist nicht schlau.“

Stefan Wolters, wissenschaftlicher Leiter des Geschichtsparks: „Wir waren auf vielen Gebieten wie der Photovoltaik Vorreiter. Das Zurückdrehen des EEG hat diesen innovativen Zweig und die beträchtliche Zahl von Arbeitsplätzen vernichtet. Eine gemeinsame europäische Energiepolitik sollte mehr Einfluss auf den Schwund von Technologie nehmen.“

Hofreiter: „Stimmt, in den letzten Jahren hat man geglaubt, dass es mit Russland immer weiter gut geht. Das hinterlässt einen technologiepolitischen Scherbenhaufen. Man hat zugelassen, dass die deutsche Solarindustrie von China kaputt gemacht wurde. Die haben in ihren Fünf-Jahresplänen klar gesagt, ,wir machen Dumpingpreise, bis wir diese Schlüsselindustrie komplett kontrollieren‘. Die deutsche Regierung hat damals gesagt, ,das ist nicht unser Problem‘. 2005 hat es noch ein halbes Jahr gedauert, um ein Windrad zu bauen – 16 Jahre später dauert es 5 bis 7 Jahre. Der Vertrag für Nordstream 2 wurde 2015, ein Jahr nach dem ersten Überfall auf die Ukraine, unterschrieben. Und dann wundert man sich, dass nach Kriegsausbruch der Gasspeicher fast leer ist.“

Tina Winklmann, Grünen-Bundestagsabgeordnete aus Schwandorf: „Wir sollten uns nicht ständig dafür rechtfertigen, dass wir um die besten Lösungen streiten. Ich kann mich auch wie die Vorgänger-Regierung 16 Jahre schweigend hinsetzen. Bei uns macht es auch mal ,busch‘. Die vielen Diskussionen sind ein Spiegelbild der vielfältigen Probleme, die wir haben. Kaum ein Land hat in den beiden Krisen so viel für die Menschen, das Handwerk, den Mittelstand getan. Aber es ist auch wichtig, jetzt wieder Rücklagen zu bilden.“

Hofreiter: „Sie machen es in Berlin oft besser, als es wirkt. Sie streiten auf offener Bühne, aber am Ende kommt ein Ergebnis raus. Und dann muss man sich auch noch mir absurden Behauptungen auseinandersetzen. Den Leuten ist erzählt worden, ,euch wird die Heizung rausgerissen‘. Dafür tragen die Verantwortung, die den Leuten bizarren Quatsch erzählen.“

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