Jahn in Liga 3: Befreiungswumms oder Aufstiegs-Knock-out bei Viktoria Köln?

Regensburg. Kein Gegner ist für den SSV Jahn nach vier sieglosen Spielen zur Unzeit ein leichter Gegner. Schon im Hinspiel quälten sich die Regensburger zu einem mühsamen 1:1. In der 97. Minute vermasselte die Viktoria den Oberpfälzern den 11-Siege-Rekord. Und nun den Aufstieg?

Hat auch nach der Pleite in Freiburg weder Humor noch Zuversicht verloren: Jahn-Cheftrainer Joe Enochs in der PK vor dem letzten Auswärtsspiel bei Viktoria Köln. Foto: jrh

Was ist nur los mit DER Mannschaft der Hinrunde, die – obwohl erst neu zusammengewürfelt – zehn Siege in Folge einfuhr, mit Mentalitäts-Pressing wie beim 4:2 in Ingolstadt begeisterte und die Tabelle mit bis zu 12 Punkten Vorsprung auf den Relegationsplatz anführte?

Wenn man ehrlich ist – und so ehrlich waren wir schon damals – war auch in dieser Phase beim Zweitliga-Absteiger SSV Jahn Reloaded nicht alles Gold, was glänzte. Die Regensburger stolperten im Zweifel eher ein 1:0 über die Ziellinie, als dass sie gestandene Drittliga-Mannschaften in Grund und Boden gespielt hätten.

Trotzdem: Mit dem Selbstbewusstsein des Seriensiegers blitzten bei so manchem jungen Talent oder alten Haudegen immer wieder mal geniale Momente auf: U21-Nationalkeeper Felix Gebhardt sorgte bis zu seiner Verletzung mit überragenden Paraden, sicherem Stellungsspiel und schnellen Spieleröffnungen für die geringsten Gegentore der Liga und so manchen Tempogegenstoß.

Auf dem Weg zum Mentalitätsmonster

Die Innenverteidigung um Florian Ballas und Louis Breunig garantierte Lufthoheit im Strafraum. Bene Saller schickte rechts Flügelflitzer Konrad Faber, Bryan Hein auf der linken Seite Kreativkünstler Dominik Kother auf die Reise. Im Zentrum umrundete Noah Ganaus mit antilopesker Leichtigkeit die gegnerische Abwehr. Eric Hottmann müllerte im Strafraum, und Elias Huth stach zur Not als Joker.

Im Zentrum rasierte Rasim Bulic alles, was nicht bei Drei aus dem Weg sprang, Kapitän Andi Geipl besorgte den Rest und leitete anschließend mit viel Übersicht die Konter ein. Auch auf die Kurzeinsätze des beinharten Robin Ziegele und des soliden Tobias Eisenhuth war stets Verlass. Alles in allem schien das Team auf dem besten Weg zum Mentalitätsmonster der Marke Achim Beierlorzer 2.0. Und dann dieser Einbruch nach der Winterpause – die Leistungsträger nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Jahn-Jubeltraube nach Noah Ganaus Geniestreich zum 2:1 gegen den MSV Duisburg. Foto: jrh

Erste Risse nach der Agy-Tragödie

Erste Risse wurden nach dem tragischen Tod von Agy Diawusie sichtbar: Schon beim schmeichelhaften 3:2 gegen Freiburg, dem 10. Sieg in Folge, lief die Mannschaft wie auf Autopilot. Und dann kam Viktoria Köln, wo der Jahn am Samstag, 14 Uhr, im Stadtteil Höhenberg entweder den Bock umstoßen oder sich aus den Aufstiegsrängen verabschieden kann – und die damals kriselnden Rheinländer verhagelten den Oberpfälzern mit dem hochverdienten 1:1 in der 97. Minute den 11. Sieg in Folge und damit den Drittliga-Rekord.

Was damals – lang, lang scheint’s her – lediglich statistischen Wert hatte, hat im Rückspiel existenzielle Bedeutung. Es geht um nicht weniger als die große Chance zum sofortigen Wiederaufstieg, auf den die Löwen, die Ingolstädter und andere Traditionsvereine schon seit vielen dunklen Jahren mit wenig Geld und viel Aufwand vergeblich hinarbeiten.

Nur noch Favoritenschrecks

Wo man derzeit auch hinschaut, kann der Jahn nur noch Favoritenschrecks erkennen: Wie Freiburg macht auch Viktoria Köln Top-Mannschaften der Dritten Liga das Leben schwer: 2:1 gegen Sandhausen, 3:1 in Ingolstadt, 2:0 in Dresden – eine 3:1 Führung gegen Münster, die das Team von Cheftrainer Olaf Janßen in einem furiosen Spiel zwar noch mit 3:5 abgeschenkt hat, aber keineswegs kampflos.

Die in der Hinrunde sportlich wie wirtschaftlich kriselnde Viktoria steht mittlerweile mit 48 Punkten auf einem gesicherten 13 Platz. Wie Jahn-Trainer Joe Enochs richtig konstatiert: „Es wird eine ähnliche Situation wie gegen Freiburg, es geht für Viktoria Köln nicht um Aufstieg und nicht um Abstieg. Die haben eine ordentliche Saison gespielt, können befreit aufspielen.“

Schockstarre in der 50. Minute: Die Spieler, einschließlich Jahn-Stürmer Noah Ganaus, der den Jahn in der 27. Minute in Führung geschossen hatte, bilden einen Kreis um Simon Handle. Foto: jrh

Schützenhilfe für Rot-Weiss Essen?

Die Kölner könnten am vorletzten Spieltag den Vierten Rot-Weiss Essen mit einem Sieg ins Aufstiegsrennen zurückkatapultieren – vorausgesetzt, die Ruhrpott-Elf erlegt selbst am Freitag die Löwen. Regensburgs Vorsprung würde vor dem Endgegner und Pokalschreck Saarbrücken auf einen Punkt dahinschmelzen. Man möchte gar nicht an das große Zittern denken, sollte es dazu kommen.

Man könnte dem 57-jährigen Janßen dabei sogar Sympathien für Regensburgs derzeit schärfsten Konkurrenten um Platz 3 unterstellen: Der gebürtige Krefelder malochte als Sportdirektor und Interimstrainer von 2005 bis 2008 an der Essener Hafenstraße. „Natürlich wollen wir noch einmal alles reinwerfen“, verspricht er auch dem eigenen Publikum. „Das sind die Spiele, auf die man hinfiebert. Und sich wie ein kleiner Junge darauf freut.“

Nur der eingewechselte Noah Ganaus trifft im Nachfassen an diesem gebrauchten Spieltag für den SSV Jahn gegen Rot-Weiss Essen. Foto: jrh

Jahn-Talente mit Abitur

Rund 500 Jahn-Fans werden trotz des Waterloo-Frustes von Freiburg wieder unverdrossen die lange Reise ans rechte Rheinufer antreten. Enochs stehen bis auf Hottmann und Tallig alle Mann zur Verfügung – sogar die beiden Youngster Leopold Wurm und Max Meyer, die diese Woche entschuldigt ein Training schwänzten: Die Burschen absolvierten ihr Abitur. Und ganz ehrlich: Der unbekümmerte Max war noch einer der wenigen Lichtblicke im düsteren Tunnel von Freiburg.

„Die Mannschaft geht sehr kritisch mit sich selber um“, nimmt der Trainer seine Jungs weiter in Schutz. „Es kostet uns extrem viel Energie, immer einen Rückstand aufholen zu müssen.“ In der zweiten Halbzeit sei man dann drauf und dran gewesen, das 2:1 zu machen: „In dieser Drangphase bekommen wir das 1:2, was extrem enttäuschend war.“ In der Trainingseinheit gestern habe die Mannschaft dann aber abgeliefert: „Das war wirklich sehr griffig. Und deswegen gilt es für uns, nach vorne zu schauen.“

Jahn-Sportchef Achim Beierlorzer freut sich mit Comebacker Alexander Bittroff samt Nachwuchs über den Heimsieg gegen den Halleschen FC. Foto: jrh

Erfahrenes Drittliga-Team mit Ausnahmekönnern

Man sei immer noch in einer sehr guten Ausgangssituation: „Wir werden uns wieder darauf fokussieren, was uns stark gemacht hat – das Spiel gegen den Ball.“ Das habe man in Freiburg bei den Gegentoren vermissen lassen. Gegen das erfahrene Drittliga-Team der Kölner könne man sich das nicht erlauben: „Die haben Ausnahmespieler mit Luca Marseiller vorne, der 14 Tore geschossen hat. Simon Handle, der jahrelang bei Erzgebirge Aue Zweite Liga gespielt hat. Gepaart mit ein paar jungen Spielern, wie Lopes Cabral Sidny auf der linken Seite, jetzt rechten Seite gegen Ulm. Florian Engelhardt im Mittelfeld, mal links raus, mal ins Zentrum.“

Mit Olaf Janßen habe Köln „einen überragenden Trainer, der die Mannschaft immer gut einstellt“. Für Enochs sei es in der jetzigen Situation „unheimlich wichtig“ gewesen, „gestern wieder Trainingsinhalte reinzubringen, wo wir uns wieder auf unsere Stärken besinnen – und das hat wirklich gezeigt, dass wir griffig sind, dass wir richtig gut gegen den Ball spielen können.“ Aber man müsse das, was die Mannschaft im Training gezeigt habe, in der restlichen Trainingswoche und halt auch im Spiel zeigen.

Psychologe Beierlorzer mit dabei

Natürlich gehe es jetzt auch „ein bisschen um Psychologie“: „Ich bin sehr froh, dass der Achim Beierlorzer im Training dabei ist und auch Gespräche übernimmt.“ In Phasen, in denen man zehnmal hintereinander gewinne und ohnehin im Flow sei, brauche man sich mental keine Gedanken zu machen. „Und jetzt müssen wir positiv sein, uns auf unsere Stärken besinnen.“

Enochs ist sich zu 100 Prozent sicher, „dass die Mannschaft nach dem Freiburg-Spiel den Fokus darauflegt, gegen den Ball zu spielen, damit es richtig schwer wird, gegen uns ein Tor zu schießen, und wieder die beste Abwehr zumindest in den letzten beiden Spielen zu sein.“

Tipp der Redaktion: Macht einen Haka-Kurs

Wer schon mal das Kampfritual der neuseeländischen Football-Nationalmannschaft vor dem Spiel gesehen hat, wird keinen Zweifel hegen: Die Gegner müssen schon hartgesotten sein, wenn sie von diesem Haka unbeeindruckt bleiben. Da die Leistungsträger des SSV Jahn derzeit nur noch ein Schatten ihrer selbst sind, würde so eine Machtdemonstration sicher nicht schaden: sowohl fürs eigene Ego als auch für die Verunsicherung des Gegners.

Klar, der Vorschlag ist nur semi-ernst gemeint: Denn nur, wenn man den Haka richtig lebt, kann er auch seine Wirkung entfalten. Wie bei Zen und der Kunst des Bogenschießens. Nur wild rumbrüllen und Grimassen schneiden reicht nicht. Man braucht Tiefenentspannung und volle Konzentration. Das Pressing funktioniert nur, wenn auch die Pässe ankommen – sonst läuft alles wie zuletzt immer in den ersten Minuten, in denen der Jahn zwar versucht zu attackieren, aber selten mit Ballgewinn, vieles ins Leere läuft und der Gegner dann plötzlich allen Raum zum Kontern hat.

Dennoch: Ein immer „weiter so“, das Joe seit Wochen predigt, hat auch seine Schwächen. Zumindest nach der Hälfte der ersten Halbzeit, wenn diese wieder so blutleer und passiv läuft wie in Freiburg, muss Schluss sein mit taktischer Vorsicht. Entweder die Regensburger rennen dann alles nieder wie kürzlich Preußen Münster – oder werden ausgekontert und riskieren drei Rote Karten. Deshalb erst einmal Haka, und erst wenn gar nichts mehr hilft Harakiri!

* Diese Felder sind erforderlich.