Kevin Coynes Kurator: Stefan Voit entreißt die Bilder des malenden Musikers dem Vergessen

Weiden. Als Musiker kannte Stefan Voit, Ex-Kultur-Urgestein des Neuen Tags, Kevin Coyne seit den 80er Jahren. „Ich habe ihn dreimal in Weiden gehört“, erzählt er, „tolle Konzerte, ein wunderbarer Performer.“ Als er die Ausstellungen für die Weidener Kulturtage kuratierte, wurde er auf den Maler Coyne aufmerksam.

Kurator Stefan Voit vor Werken Kevin Coynes und Oberpfälzer Künstlern. Bild: Anett Neumann

Kevin Coyne hatte in unseren Kreisen einen Namen“, sagt Stefan Voit im Redaktionsgespräch. „Ich habe ihn 1989 im JUZ gehört, 1997 und 1998 im Club – einmal mit Paradise Band, einmal unplugged.“ Musikalisch schätze er den eigenwilligen Künstler sehr. „Besonders seine frühen Sachen sind top“, beschreibt Voit dessen Entwicklung.

„In den 80ern ist er etwas abgefallen wie viele Rockstars, als die Synthesizer-Sachen hochkamen, aber textlich war er immer stark.“ Sein Problem: „Nach Virgin Records war er bei vielen Labels“, bedauert Voit, dass er immer der „famous Unknown“ geblieben ist. „Er ist immer noch ein Geheimtipp.“

Dem Doors-Ruhm so nah

Dabei war der Ruhm so nah: „Nachdem Jim Morrison gestorben war, hatte Elektra Records die Idee, Kevin mit den Doors zu verbandeln“, schildert Voit die Chance auf eine Weltkarriere. „Das Treffen kam nicht zustande.“ Auch Iggy Pop sei mit den Doors in Verbindung gebracht worden. „Die sollen aber abgewunken haben, nach dem Motto: Nicht noch ein Alkoholiker!“ Ein Nobody war Coyne dennoch nicht. Immerhin war er nach Mike Oldfield die zweite Verpflichtung von Virgin-Records-Gründer Richard Branson: „Kevin machte 12 LPs bei Virgin“, sagt Voit, „doch trotz euphorischer Rezensionen war der kommerzielle Erfolg gering.“

Vielleicht ist das Gesamtkunstwerk Coyne nur in der Wechselwirkung mit seinen bildnerischen Wurzeln und sozialem Engagement zu verstehen: Bevor er Rockmusiker geworden ist, studierte er in seiner Heimatstadt, einer Industriestadt in den englischen Midlands, am Derby College of Art Grafik und Malerei. „Kevin war danach einige Jahre als Sozialarbeiter in der Psychiatrie tätig“, erzählt er, „die Beschäftigung mit Drogensüchtigen und psychisch Kranken hat ihn zu Songs wie Asylum, Mad Boy oder Where’s My Trousers inspiriert.“

Beschäftigung mit Außenseitern

Zwischen 1965 und 68 habe er hauptberuflich als Pfleger und Kunsttherapeut gearbeitet: „Die Beschäftigung mit Außenseitern hat ihn sehr geprägt“, charakterisiert Voit seine mitfühlende Seite. „Es gibt Filme über ihn, in denen deutlich wird, wie wichtig ihm diese Arbeit war.“ Wie ein roter Faden ziehe sich das Leben am Rande der Gesellschaft durch seine Texte. „Er beschäftigte sich mit der Hässlichkeit des Lebens, mit Ausgestoßenen und Aussätzigen, schaut genau hin – aber immer auch mit einem Schuss Humor.“

Coynes Texte kreisen nicht ums seichte Genre des „She loves you, yeah, yeah, yeah“. In Deutschland machte ihn ein Auftritt im Rockpalast einem breiteren Publikum bekannt. Das Thema, mit dem er sich literarisch auseinandersetzte, holte ihn schließlich auch selber ein: „1981 erlitt er nach wiederholten Alkoholexzessen einen Nervenzusammenbruch“, sagt Voit. „Es war gar nicht so überraschend, dass er Deutschland als neuen Lebensmittelpunkt wählte.“

Nach Zusammenbruch Neuanfang in Nürnberg

Er habe „good old Germany“ durchs Touren gekannt: „Nach seinem Zusammenbruch war er ein körperliches Wrack“, weiß Voit, „seine Ehe ging in die Brüche, er kam bei einem Freund unter.“ In einer WG traf er auf den Bruder seiner späteren, zweiten Frau Helmi, einer Religionspädagogin. „Sie hat sich sehr um ihn gekümmert“, sagt der Kultur-Journalist. Mit dem neuen Wohnsitz in Nürnberg rückte der Künstler geografisch schon nah an seinen späteren Kurator heran.

„Beim Anti-WAA-Festival war er noch hackedicht“, schildert Voit Rückschläge, „ab 1987 dann trockener Alkoholiker.“ Coyne litt an einer Lungenfibrose, brauchte ein Sauerstoffgerät und teilweise einen Rollstuhl. „Aber er hat bis zum letzten Atemzug gemalt und war immer auf der Bühne“, sagt Voit bewundernd, „eine echte Rampensau halt.“ Am 26. November 2004 spielte er sein letztes Konzert in Hamburg, am 2. Dezember ist er gestorben. „Klar war absehbar, dass er nicht mehr ewig lebt, dass es dann aber so schnell ging, hätte niemand gedacht.“

Zwischen Pop Art und Comic

Als Maler trat Kevin Coyne erst posthum in Stefan Voits Leben: „Ich kuratierte 2012 die Ausstellungen für die Weidener Kulturtage.“ Das Motto: Künstler mit Verbindung zu Literatur und Musik. „Etwa Klaus Voormann, der das Beatles-Cover mit Revolver gestaltet hatte.“ Dann sei ihm eingefallen: „Kevin Coyne hat auch gemalt.“ In seiner Biographie sei eine kunsthistorische Einschätzung zu finden: „Kevin kam ja von der bildenden Kunst“, sagt Voit, „man kann bei ihm Elemente des Pop Art, des Comic finden, er arbeitet mit Sprache und schwarzem Humor.“

Voit nahm Kontakt zur Witwe Wilhemine „Helmi“ Schmidt auf: „Sie war sofort ganz angetan, meinte, man könnte auch die Söhne Eugene und Robert einladen.“ Beide leben in London, beide sind in die Fußstapfen ihres Vaters getreten: „Karl Bruckmaier vom B2-Zündfunk hat den Abend moderiert, die Jungs haben Texte vom Vater rezitiert und Musik gemacht.“

Stoßweise in Mappen

2014 organisiert er die nächste Ausstellung im Kunstverein Weiden: „Da hat mich Helmi gefragt, ob ich Interesse hätte, mich um den künstlerischen Nachlass zu kümmern.“ Mehrere tausend Zeichnungen und Acryl-Arbeiten lagern in Nürnberg in einem angemieteten Laden. Die Witwe ist alleinige Erbin des bildnerischen Werks, der Malerei, Zeichnungen und Texte. „Seitdem kümmere ich mich darum, die Arbeiten, die stoßweise in Mappen rumlagen, in säurefreie Kartons nach Jahren zu sortieren.“

Da man die Bilder auch gut präsentieren muss, wendet er sich an den Oberpfälzer Künstler Jeff Beer: „Wo hast du deine Rahmen her?“ Voit lässt sich zeigen, wie man Passepartouts vermisst, bestellt bei Max Aab Bilderrahmen, und intensiviert die Ausstellungen. Erst in Vilseck auf Burg Dagestein, dann 2018 im Cordon-Haus in Cham. „Das ist eine renommierte Galerie mit guter Kulturarbeit“, erzählt er, „da ist die Idee zum ersten Katalog entstanden, den wir über Crowdfunding auf Facebook finanzierten.“

Benzingeld für Schweden

Vergangenes Jahr war er Mit-Kurator der großen Retrospektive im Nürnberger Kunsthaus: „Das Revival-Konzert ist leider Corona zum Opfer gefallen“, bedauert Voit, „die Ausstellung musste nach zwei Wochen schließen.“ Immerhin: „Auf Youtube ist ein achtminütiger Film über den Autor, Musiker und Maler zu sehen.“ Angedacht als nächste Stationen sind das Literaturhaus Sulzbach-Rosenberg und der Kunstverein Graz in Regensburg.

Weil Coyne auch in Belgien, Frankreich, Schweden, Norwegen und Finnland eine Fangemeinde hat, nimmt der Weidener Kurator auch zu Galerien in diesen Ländern Kontakt auf. „Ich habe Anfragen aus Italien, Kontakte zu Berlin, einer Galerie in Antwerpen, es gibt großes Interesse in Schweden.“ Aufs Geld ist der Oberpfälzer dabei nicht aus: „Ich habe denen gesagt, ich brauche mindestens das Benzingeld, um das Zeug rüberzufahren.“

2024: 80. Geburtstag und 20. Todestag 

Perspektivisch plant Voit mit dem Jahr 2024, dem 80. Geburtstag und 20. Todestag des Multi-Talents: „Ich habe die Fühler ausgestreckt zum Rockmuseum Kronau an der holländischen Grenze, das auf Udo Lindenberg zurückgeht.“ Auch das Herman-Brood-Museum im niederländischen Zwolle – der holländische Rockstar, Maler und Dichter hatte sich 2001 vom Dach des Hilton-Hotels in Amsterdam gestürzt – zeigte Interesse: „Die haben gerade noch eine Queen-Ausstellung laufen.“ 

Für Stefan Voit sind die Ausstellungen eine Chance, das Ausnahmetalent dem Vergessen zu entreißen. Für viele Musiker-Kollegen ist Kevin Coyne unsterblich. „Will Oldham nahm Sachen von ihm auf, auch der österreichische Liedermacher Sigi Maron.“ Geschätzt wurde der Exzentriker von Sting, Johnny Rotten und Wolfgang Niedeken. „Mit Hans Jürgen Buchner war er befreundet“, sagt Voit, „er besorgte ihm den ersten Plattenvertrag bei Polydor und der Bandname Haindling geht auch auf Coyne zurück.“ 

Kevin-Coyne-Ausstellung in Neustadt/Waldnaab

  • Noch bis Januar sind die Arbeiten von Kevin Coyne im „KaffeeKollektiv“ am Stadtplatz in Neustadt/WN zu sehen.
     
  • 40 Arbeiten des Malers, Dichters und Musikers Kevin Coyne (1944 bis 2004) sind ausgestellt. Stefan Voit, Kurator und künstlerischer Nachlassverwalter des Engländers, hat die Ausstellung organisiert.
     
  • Bei der Vernissage las er mit dem Malerpoeten Jürgen Huber und Gisela Bender vom Regensburger Gisela-Verlag aus dessen neuestem Buch „Die Gedichte stehen zwischen den Zeilen“.
     
  • Der Künstler und Lyriker Jürgen Huber, der in Altenstadt/WN als Sohn eines Fabrikarbeiters aufgewachsen ist, fühlt sich dem britischen Musiker eng verbunden. Beide hatten eine ähnliche Kindheit. Deshalb sind in seinem neuen Lyrikband erstmalig auch Texte und Zeichnungen von Coyne veröffentlicht. Voit las Gedichte des Briten teils in englischer Sprache mit anschließender deutscher Übersetzung.

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