Prozess gegen WohnSachWerte: Anwälte erheben Vorwürfe gegen Ermittler

Weiden. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft ist gewaltig: Die WohnSachWerte eG soll 21.000 Anleger um 13,5 Millionen Euro betrogen haben. Die Verteidigung kontert mit einem "Opening Statement": Die Wohnungsbaugenossenschaft hätte sich prächtig entwickelt – wenn die Ermittler nicht gestört hätten.

WSW Wohnungsbaugenossenschaft Betrug Landgericht Weiden
Die Vorständin mit ihren Anwälten Jörg Meyer und Rouven Colbatz. Foto: Christine Ascherl

Am Montag um 9.07 Uhr kann Staatsanwalt Wolfgang Voit endlich mit seiner Anklage starten. Er wirft der Vorständin (50), ihrem Ehemann (54) und ihrem Sohn (30) gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs in 20.955 Fällen sowie 40.495 Fällen des Versuchs vor. “Insgesamt erlangten die Angeklagten von den ,Genossen’ Zahlungen in Höhe von 13,452 Millionen Euro, auf die sie, wie sie wussten, weitestgehend keinen Anspruch hatten.” Etwa die Hälfte ging an Broker-Agenturen in ganz Deutschland, die Kundendaten geliefert hatten.

Von Anfang an geplant

Aus bloßer Habsucht sollen die drei Angeklagten – das Ehepaar Tina und Ralf K. sowie ihr erwachsener Sohn – eine Wohnungsbaugenossenschaft betrieben haben. Voit: “Maßgebliches Ziel sollte die eigene Gewinnmaximierung und nicht die Verfolgung der Genossenschaftszwecke sein.” Die WSW besaß eine einzige Wohnung in der Regensburger Straße im Wert von 78.000 Euro. Die Angeklagten wussten laut Voit, dass es für die WSW aufgrund fehlender Kreditwürdigkeit praktisch unmöglich war, Immobilien zu erwerben.

Es sei von vorneherein geplant gewesen, die Gelder auf eigene Konten weiterzuleiten. Aufgrund von Schulden und ihres Lebensstils seien die Drei dringend auf die Generierung von Einnahmen angewiesen gewesen. Laut Anklage wurden die Kunden online mit “Fördergeld vom Staat” angelockt. Ohne es zu bewusst zu wollen, sollen die Kunden per digitaler Unterschrift “Genossen” geworden sein. Ihre Arbeitgeber erhielten ein Schreiben, wonach sie die vermögenswirksamen Leistungen künftig an die WSW überweisen sollten.

Verteidigung: Einseitige Ermittlungen

Anwalt Jörg Meyer erklärt seine Mandantin Tina K. für unschuldig: “Sie hatte zu keinem Zeitpunkt die Absicht, sich durch die Genossenschaft zu bereichern.” Im Gegenteil: Die 50-Jährige habe ihr eigenes Vermögen in die WSW gesteckt und sich verschuldet, um die Genossenschaft zum Laufen zu bringen. Der Verteidiger geht noch weiter: Erst die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft hätten dazu geführt, dass geplante Immobilienankäufe scheiterten.

Der Regensburger Anwalt wirft Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei einseitige Ermittlungen vor. Jede Erkenntnis sei so ausgelegt worden, dass die Ermittlungshypothese des Bandenbetrugs bestätigt wurde. Warum? “Die Genossenschaft ist durch die Maßnahmen zerstört worden.” Letztlich seien 12.000 Genossen geschädigt worden, das müsse man rechtfertigen.

Aston Martin und Rolex: “Reißerische Berichterstattung”

Stoßrichtung der Verteidigung: Die Wohnungsbaugenossenschaft hätte nur mehr Zeit gebracht, dann hätte sie ihren Genossenschaftszweck (Wohnraum) schon noch erfüllt. Für Immobilien brauche man erst Einnahmen und für Einnahmen bedürfe es Mitgliedern. Es sei völlig normal – “in der Natur der Sache” – dass in den ersten 24 Monaten einer Baugenossenschaft die Einnahmen in die Vertriebsstruktur flössen.

Verteidiger Meyer bemängelt “reißerische und vorverurteilende Berichterstattung”, die auf einer Pressemitteilung von Staatsanwaltschaft und Polizei im März 2022 beruhte. Darin wurde über das Ermittlungsverfahren gegen acht Beschuldigte, 29 Durchsuchungsbeschlüsse und die Sicherstellung von teuren Uhren und eines Aston Martin informiert. “Schon hier wurde suggeriert, dass Geld für private Zwecke verwendet wurde.”

Es gibt Chatverkehr, in dem sich die Beteiligten über die rechtliche Problematik der Online-Vertragsabschlüsse ausgetauscht haben. Aus Sicht des Verteidigers ziehen die Ermittler aber den falschen Schluss, nämlich Vertuschungsabsicht. Das Gegenteil sei das Ziel gewesen: Tina K. habe alles richtig machen wollen.

Vorwurf: Kind wird Mutter entfremdet

Verteidiger Meyer erhebt zudem heftige Vorwürfe, was die Besuche des minderjährigen Kindes bei der Angeklagten in der JVA angeht. So habe das Kind (im Grundschulalter) seine Mutter in den 19 Monaten der Untersuchungshaft genau 20 Mal besuchen dürfen: also etwa einmal im Monat für eine Stunde, überwacht von einem Polizeibeamten.

Teilweise lagen zwischen den Besuchen 64 Tage. “Das führte zu einer Entfremdung von der Mutter, so dass das Kind ohne Begleitung nicht mehr zur Mutter wollte”, so Meyer. Das werde der Rechtsprechung durch das Bundesverfassungsgericht nicht gerecht (Erhaltung von Ehe und Familie). Bei der Angeklagten fließen Tränen.

Vorständin will am Mittwoch aussagen

Für Mittwoch (9 Uhr) kündigt Tina K. eine umfassende Erklärung an. Der Sohn möchte nach Auskunft seines Anwalts Dominic Kriegel aktuell keine Angaben machen, ebensowenig der Ehemann Ralf K.

Die Anwälte des Sohnes, Kriegel und Gunther Haberl, beantragten zudem Nachermittlungen. Ihr Mandant war nach wenigen Wochen aus der Untersuchungshaft entlassen worden, weil er seine Kooperation anbot. Aus seiner Sicht sei das Interesse der Ermittler aber nicht groß gewesen. Ohnehin zweifle ihr Mandant an den Fähigkeiten des IT-Beauftragten der Kriminalpolizei.

Die verwendete Programmiersprache bei der WSW sei “Golang”, die nicht sehr verbreitet sei. Der 30-Jährige habe den Eindruck, man sei seinen Hinweisen gar nicht nachgegangen: “Das bislang genutzt Passwort ist unverändert. Es liegt nahe, dass die sich das gar nicht angesehen haben.”

Die Verteidiger sind überzeugt, dass die Dateien die Angeklagten entlasten würden. Sie würden zeigen, dass jeder Kunde über seinen Genossenschaftsbeitritt sehr wohl informiert worden sei. Automatisch sei innerhalb von zehn Minuten nach Vertragsabschluss eine Begrüßungs-E-Mail angestoßen worden.

Die Fußfesseln kamen am zweiten Prozesstag – zumindest während der Verhandlung – ab. Foto: Christine Ascherl

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