Wie ein Schluck “Champagner” ein komplettes Leben verändert hat

Weiden. Sie ist – außer dem verstorbenen Mann – das wohl am härtesten betroffene Opfer des Champagner-Unglücks im La Vita vor zwei Jahren: Carola Potrz.

Carola Potrz malt seit dem Unglück Aquarellbilder. Foto: Udo Fürst

Am 12. Februar jährte sich das Schrecken zum zweiten Mal. 778 Tage danach kämpft Carola Potrz immer noch mit den Folgen des schrecklichen Unglücks in einem italienischen Restaurant in der Weidener Fußgängerzone. Acht Menschen tranken damals aus einer Magnumflasche Champagner, die flüssiges MDMA enthielt, den Rohstoff für Ecstasy-Tabletten. Als die heute 39-Jährige tags darauf in der Uni-Klinik Regensburg aufwacht, ist ihr erster Gedanke: “Ok. Ich hab’s überlebt.” Noch nicht ahnend, welche Leidenszeit ihr bevorsteht.

Nichts ist mehr, wie es war

Seit diesem unglückseligen Tag im Februar 2022 ist für die einstige Krankenschwester nichts mehr, wie es war. Sie leidet heute immer noch an einer Dystonie, der durch das Gift ausgelösten neurologischen Bewegungsstörung, die durch unwillkürliche Muskelkontraktionen gekennzeichnet ist. Ausgelöst wurde das durch eine Gehirnblutung, die der Giftcocktail bei ihr verursacht hat. Die Zuckungen zwingen bestimmte Körperteile zu wiederholten Verdrehbewegungen oder schmerzhaften Haltungen. Bei Carola Potrz ist es die rechte Seite, die ihr bis heute und wohl auch für immer zu schaffen macht. Ein normales Leben? Nicht daran zu denken für die von ihrem Mann getrennt lebende Mutter von Sophia (13) und Maximilian (17).

In einer ähnlichen, größeren Magnumflasche Champagner befand sich das flüssige MDMA, der Rohstoff für die Herstellung von Ecstasy-Tabletten. Foto: Vino&more

Caro, wie ihre Freunde sie nennen, kann sich noch recht gut an die Ereignisse des 12. Februar 2022 erinnern. “Ich habe nur genippt am Glas, aber sofort gemerkt, dass da was nicht stimmt.” Sie habe sofort den komischen Geschmack wahrgenommen und dann sei ihr schnell schwindlig geworden, “wie im Karussell”. Sie sei dann auf die Straße gerannt, habe wie verrückt um Hilfe geschrien und sei dann zusammengebrochen. “Ich hatte das Gefühl, dass sich meine Extremitäten auflösen und ich durch den Asphalt durchlangen kann.” Dann wurde es dunkel. Sie war bewusstlos.

Dystonie durch Gehirnblutung

Wie Carola Potrz später erfährt, wurde sie ins Klinikum Weiden gebracht und intubiert. Von dort wird sie mit dem Rettungshubschrauber in die Uni-Klinik Regensburg geflogen, wo sie am anderen Tag gegen 18 Uhr erstmals aufwacht. “Es war aber nach wie vor alles sehr schwammig.” Sie realisiert auch noch nicht, was genau passiert ist an diesem Samstagabend. “Erst als mich am Dienstag die Polizei befragte, wurde mir einiges klar.” Nach einem kurzen Aufenthalt in der Bezirksklinik geht es am 28. Februar zur Reha. Bis dahin registriert sie nur eine leichte Schwäche auf der rechten Seite, die dann aber als Hemiparese (Lähmung) diagnostiziert wird.

Mit der Zeit spürt sie, dass auch die linke Seite nicht richtig funktioniert und sie ihren Körper kaum stabilisieren kann. “Ich war wie gelähmt. Bei bestimmten Bewegungen ist der Rumpf unkontrolliert nach vorne gefallen und ich konnte oft überhaupt nicht mehr gehen. Es fühlte sich an, als würde Strom durch meine Füße laufen.” Eine Neurologin stellt dann die Dystonie fest.

Muskelzucken und Herzrasen

Das unkontrollierte Zittern hält bis heute an. Trotz Reha, trotz Physio-, trotz Ergotherapie, trotz Medikamenten. Es ist zwar ein bisschen besser geworden, aber weiter als einige Hundert Meter und ohne Stöcke kann sie nicht gehen. Mittlerweile war sie bei zahlreichen Ärzten, doch keiner kann ihr wirklich helfen. Das ist aber noch nicht alles. Carola kann auch ihre Augen nicht hin und her bewegen, weil ihr dann sofort schwindlig wird. Zu allem Übel bekommt sie immer wieder auch unvermittelt Herzrasen. Das ist auf die extremen Muskelverspannungen im Körper zurückzuführen, die kaum zu kontrollieren sind. “Es ist sehr schwer zu akzeptieren, dass das nie mehr weggeht”, sagt sie.

Erst vor wenigen Tagen hatte Potrz wieder ein Krankheitsschub – ausgerechnet beim Physio. “Nach der Behandlung konnte ich einfach nicht mehr laufen, musste nach Hause gefahren werden.” Schlimm ist für sie die Ohnmacht, nichts dagegen tun zu können. “Das belastet mich schon sehr.”

Nur echte Freunde sind geblieben

Auto- oder Fahrradfahren, einkaufen, bummeln, längere Spaziergänge? Unmöglich. Unterstützt wird sie bei all dem von ihren Kindern, den Eltern, von Freundinnen oder von Nachbarn. Einmal ist sie mit einer guten Freundin in der Stadt. Wenige Tage später hört sie, dass andere Leute ihren Zustand angezweifelt hätten. “Die kann ja schon wieder shoppen und sie lacht auch. Die kann doch nicht krank sein”, habe es geheißen. “Das tut dann richtig weh”, sagt Potrz und berichtet von einigen angeblichen Freundschaften, die daran zerbrochen seien. “Diese Menschen wissen nichts über meine Krankheit, können sich nichts darunter vorstellen. Und vor allem wissen sie nicht, wie es mir damit geht. Ich kann ja nichts dafür, möchte auch ganz normal leben, arbeiten und gesund sein.” Dafür würde sie liebend gern auf die Rente verzichten, die sie jetzt bekommt.

Am Anfang sei ihre Geschichte wohl noch spannend gewesen. Danach sei sie für viele eher zur Last geworden, erzählt sie. “An und für sich bin ich ein positiver und kommunikativer Mensch, ganz nach dem Motto ‘Leben und leben lassen’. Aber für einige aus meinem früheren Umfeld ist es wohl zu kompliziert mit mir.” Heute hat Carola weniger Freunde – “aber das sind die echten”.

Lebensfreude durch Malen

Zumindest eine – kleine – positive Seite hat Carola Potrz’ Krankheit: Sie hat vor gut einem Jahr wieder angefangen zu malen. Ein Dutzend farbenfroher Acrylbilder hängen jetzt in ihrer schmucken Wohnung am Weidener Stadtrand. Allesamt sehr bunte, sehr beeindruckende Bilder, die spontan entstehen. “Ich fange einfach an zu malen, meist ohne genau zu wissen, was es wird. Das Ergebnis sind aber immer Farbe und Glanz. Wahrscheinlich will ich damit auch meine Lebensfreude ausdrücken, die nach wie vor in mir steckt.” Beim Malen kann sie auch abschalten und für einige Stunden fast vergessen, was passiert ist. “Es ist wohl ein langer Prozess, das Geschehene zu verarbeiten und damit umzugehen.”

Ihre Bilder sind auf ihrem Instagram-Kanal la_caroart zu sehen.

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