WSW-Prozess: Staatsanwalt fordert 6 Jahre 3 Monate für Vorständin
Weiden. Im WSW-Prozess haben die Plädoyers begonnen. Staatsanwalt Wolfgang Voit fordert eine Gefängnisstrafe von 6 Jahren 3 Monaten für die Vorständin.
Voit plädiert zudem auf 4 Jahre 3 Monate für den Sohn und 4 Jahre für ihren Ehemann. Der Staatsanwalt beantragt die Einziehung von jeweils 5,1 Millionen bei den Eheleuten sowie 320.000 Euro beim 31-Jährigen.
Nach fünf Monaten Prozess sind nach Ansicht des Staatsanwalts 16.326 Fälle des gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs wasserdicht nachgewiesen. Den Gesamtschaden beziffert er auf knapp 6,5 Millionen Euro.
Gemeinsames Ziel: Einnahmequelle für die Familie
Die Merkmale des Betrugs sind aus seiner Sicht erfüllt: Die Arbeitnehmer und Arbeitgeber wurden über den Genossenschaftsbeitritt getäuscht. Ihnen sei ein wirksamer Vertrag vorgegaukelt worden. In Wahrheit hatte die WSW kein Recht auf die Zahlungen.
“Sie wollten sich durch das Konstrukt eine Einnahmequelle verschaffen, um den Lebensunterhalt finanzieren.” Keinen Zweifel gebe es auch an der “Bande”: Die Familie habe sich zusammengeschlossen, um ein System zu betreiben, mit dem aus rechtswidrigen Verträgen Geld verdient wurde.
Bitterer Beigeschmack: Durch Betrug das eigene Kind verloren
Voit anerkennt die Belastungen durch das Ermittlungsverfahren und die lange andauernde Untersuchungshaft. Beim Ehepaar gehe das Problem noch weiter: Sie haben ihr minderjähriges Kind verloren. “Das ist Fakt.” Das Kind halte sich momentan lieber beim Kindermädchen auf, als den Kontakt zu den Eltern zu suchen. “Ich habe selbst ein kleines Kind daheim. Das wünsche ich niemandem.”
Tina K. habe vor Gericht bei der Aufklärung geholfen, was ihr anzurechnen sei. Es spreche aber auch viel gegen sie: So stand die 50-Jährige unter offener Bewährung, sei viermal vorbestraft (siehe Infobox). “Sie ist die zentrale, leitende Position in diesem Konstrukt. Immer bereit, manipulativ vorzugehen. Sie war sogar in der Familie bereit zu manipulieren.”
“Keine Sektenführerin, aber ein Menschenfänger”
Es sei im Prozess einmal der Begriff der “Sektenführerin” gefallen: “Das trifft es vielleicht nicht”, sagt Staatsanwalt Voit. “Aber sie ist ein Menschenfänger.” Die anderen beiden Angeklagten hätten ohne sie vermutlich nichts gemacht. Der Sohn habe zwischendurch durchaus Bedenken geäußert, sei der Mutter aber letztlich gefolgt. Andererseits war es der 31-Jährige, der das technische System zum Laufen brachte.
Alle Drei hatten nach Ansicht von Voit ein klares Unrechtsbewusstsein: “Ihnen war völlig klar, dass diese Zahlungen nicht rechtmäßig erlangt werden können.” Zeugen dafür sind die beratenden Anwälte der WSW aus Weiden, die schon früh deutlich auf die Gefahr der Unwirksamkeit der Verträge hinwiesen.
Gezielt “unbedarfte, naive Kunden” gesucht
Beweismittel war auch ein “Handbook”, das für die Mitarbeiter den Umgang mit Kunden regelte. Es enthalte irreführende Textvorlagen. Man habe verschleiert, wo es nur ging. Belastet wurden die Angeklagten auch durch ein mitgeschnittenes Gespräch mit ihrem Broker Peter H. aus Hannover. Es zeige deutlich, dass man gezielt bei Leuten auf Kundenfang ging, “die das nicht kapieren, die ohnehin kein Geld haben”. Die Genossenschaftsmitglieder gerieten über falsche Versprechungen im Internet (“staatliches Fördergeld sichern”) oder Online-Kreditanträge an die WSW.
Es gibt eine grundlegende Abweichung zur Anklage: Es habe sich nicht bestätigt, dass die Angeklagten von vorneherein von dem Betrugssystem leben wollten. “Die Angeklagten haben sich in einem Graubereich bewegt”, erklärt des Voit. Man habe es darauf angelegt, “unbedarfte, naive Kunden erwischt, denen man etwas leichter Geld aus der Tasche ziehen kann”. Aber, wie der Verbraucherschützer aus Berlin vor Gericht sagte: “Nicht alles, was unklar oder manipulativ ist, ist ein Betrug.”
Das geforderte Strafmaß entspricht dem oberen Rand der ausgehandelten Verständigungen. Im Januar war es bereits zum “Deal” mit der Vorständin und dem Aufsichtsratsvorsitzenden gekommen: Für sie wurden 5,5 bis 6,5 Jahre Haft in Aussicht gestellt, für ihn 3,5 bis 4 Jahre. Dies führte am 15. Januar zur Aussetzung des Haftbefehls bei dem 54-Jährigen, der sich seit März 2022 in Untersuchungshaft befand. Letzte Woche kam es zur Verständigung mit dem 31-jährigen IT-Experten (3 Jahre 9 Monate bis 4 Jahre 3 Monate).
Das Vorleben der Vorständin: Betrug und Lügen
Einer der letzten Schritte in einem Gerichtsverfahren ist die Verlesung des Bundeszentralregisters. Im WSW-Prozess gibt es da beim Aufsichtsratsvorsitzenden (54) und dem IT-Experten (31) wenig zu sagen: Sie haben keine Einträge.
Anders sieht das bei der 50-jährigen Vorständin aus. Sie hat Vorahndungen aus zwei Insolvenzverfahren. Und – was für den WSW-Prozess von Interesse ist – sie stand unter Bewährung aus einem Betrugsprozess 2015. Damals war sie am Amtsgericht München zu zwei Jahren Haft verurteilt worden, fünf Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Die Zeit lief also noch, als die “Wohnungsbaugenossenschaft” WSW gegründet wurde.
Vorsitzender Richter Peter Werner verlas am Dienstag Auszüge aus diesem Urteil. Demnach hatte die Angeklagte mit einem Partner eine Agentur betrieben und einen blinden Kunden um 58.000 Euro betrogen, in dem sie ihm eine Vermögensanlage versprach. Das Geld teilte sie sich mit dem Geschäftspartner.
Eine halbe Million Euro sahnte sie laut Urteil bei einem weiteren Opfer ab. 300.000 Euro sollten in ein vielversprechendes Immobilienprojekt fließen. Diesem Mann spielte sie zudem eine Erkrankung vor und erschwindelte allein dafür 100.000 Euro für eine angebliche Klinik-Behandlung.
“Lüge und Manipulation” attestierte 2018 auch das Landgericht Weiden der Frau. Sie hatte sich damals für ihren Verein “Karolina e.V.” gegen schlechte Presse gewehrt. Ein Strafverfahren gegen den Verein war eingestellt worden, die Zivilklage gegen die Berichterstattung verlor die 50-Jährige aber. Die Kammer war überzeugt, dass die Frau Geschichten über misshandelte Kinder erfunden hatte, um aufgewühlte Spender zu manipulieren.
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