Plädoyers der Anwälte: WSW-Prozess von Drama um Kind überschattet

Weiden. Die Plädoyers der Verteidiger standen am Dienstag im Mittelpunkt des Prozesses um die WohnSachWerte eG (WSW). Das Drama um das minderjährige Kind der Angeklagten nimmt dabei großen Raum ein.

Prozess WSW WohnSachWerte Kiener Karolina
Die Angeklagte Tina K. mit ihren Anwälten Rouven Colbatz und Jörg Meyer (rechts). Foto: OberpfalzECHO/David Trott

Alle sechs Verteidiger fordern Strafen am unteren Rand der Verständigung: 5 Jahre und 6 Monate für Tina K., 3 Jahre und 9 Monate für den Sohn sowie 3 Jahre 6 Monate für den Aufsichtsratsvorsitzenden.

In ihrem “letzten Wort” beteuert die angeklagte Vorständin (50) unter Tränen, “dass es mir von ganzem Herzen leid tut um die Anleger, die geschädigt worden sind”. Sie wisse, dass sie eine Strafe verdient habe. “Aber die größte Strafe ist die Tatsache, dass durch mein Tun mein kleiner Sohn seine Eltern verloren hat.” Ihr Mann schließt sich ihren Worten an. Der 31-Jährige Sohn “bereut zutiefst” und bittet um Entschuldigung.

Anwälte von Tina K.: “Sie hat von Beginn an Verantwortung übernommen”

Die Anwälte von Tina K. plädieren auf 5 Jahre 6 Monate Haft. Verteidiger Jörg Meyer rechnet Vorständin Tina K. hoch an, immer Verantwortung übernommen zu haben: “Sie hat noch nie mit dem Finger auf andere gezeigt.” Im Mai 2020 war die WSW von ihrer beratenden Anwaltskanzlei vor der Formunwirksamkeit der Verträge gewarnt worden. “Hier hätte sie ,Stopp’ sagen müssen.” Aber gerade zu diesem Zeitpunkt sei die WSW regelrecht überrannt worden. Eine Heilung der Verträge durch echte Unterschriften sei allein durch die Masse nicht mehr möglich gewesen.

Die Untergrenze der Verständigung hält Meyer für völlig ausreichend. Die “stigmatisierende Presseberichterstattung” sei anzurechnen: Es sei so dargestellt worden, als ob sich Tina K. “die Taschen vollgemacht hätte”, dabei habe sie nur einen Monatslohn von 1300 Euro erhalten. Auch die belastende Entfremdung des neunjährigen Sohnes (er will beim Kindermädchen bleiben) müsse berücksichtigt werden.

Ihr Anwalt Rouven Colbatz beleuchtet die rechtlichen Schwierigkeiten des Verfahrens. Wo sei eigentlich der Schaden entstanden? Beim Arbeitgeber, beim Arbeitnehmer? “Man sollte sich seine Lohnabrechnung anschauen.” Auch die Frage nach der “Bande” stelle sich aus seiner Sicht. Der Prozess habe gezeigt, dass der Ehemann – obwohl Aufsichtsratsvorsitzender – sehr wenig über die Genossenschaft gewusst habe. Für den “bandenmäßigen Betrug” braucht es drei Personen.

Der technische Prozess war automatisiert: Die Online-Anmeldung löste E-Mails an die Arbeitgeber aus. Colbatz sah daher nicht 16.000 Fälle des Betrugs, sondern eine Tat (den Automatisierungsprozess). Der Anwalt protestiert auch gegen die beantragte Einziehung von fünf Millionen Euro von Tina K. Die eingenommenen Gelder seien von der WSW auf die Konten ihres Mannes geflossen. Ja, sie habe eine Verfügungsberechtigung für das Konto gehabt: “Aber sie hat das Geld rechtlich nicht erlangt.”

Prozess WSW WohnSachWerte Kiener Karolina
Der angeklagte Sohn mit seinen Verteidigern Dominic Kriegel und Gunther Haberl. Foto: OberpfalzECHO/David Trott

Anwälte des Sohnes (31): “Er hat die Zukunft noch vor sich”

Die Anwälte des Sohnes (31) plädieren auf 3 Jahre und 9 Monate Haft. Rechtsanwalt Gunther Haberl erinnert, dass Audi-Vorstand Rupert Stadler vom Landgericht München zu Bewährung verurteilt wurde: nach 171 Prozesstagen, einem späten Geständnis und einem Schaden von 41 Millionen Euro.

Der Sohn (31), ITler und Aufsichtsrat der WSW, war erst spät der Verständigung beigetreten. Damit hatte sich der Prozess um einige Wochen verlängert. Sein Anwalt Haberl verteidigt das. Für den 31-Jährigen stehe viel auf dem Spiel. Er müsse mit Anschlussprozessen rechnen. “Er hat die Zukunft noch vor sich, ist intelligent und arbeitsbereit.”

Andere Beteiligte kamen ungeschoren vor. Haberl nennt einen Broker, der gut verdient hat: “Der kam hier als Zeuge herein, sagte ‘Hab ich nicht gewusst’ und durfte wieder gehen.” Für Verteidigerkollege Dominic Kriegel ist es “kaum zu fassen”, dass der Ideengeber des Vertriebsmodells, Peter H. aus Hannover, überhaupt nicht belangt wird.

Wichtig ist für Kriegel, dass der ganz große Betrug vom Tisch ist: Es konnte nicht belegt werden, dass die WSW nur zum Zwecke des Betrugs gegründet wurde. Die Tatbeute des Sohnes sei mit 320.000 Euro vergleichsweise gering. Strafmildernd sei seine persönliche Situation zu berücksichtigen: “Seine Familie ist zerbrochen, er steht völlig allein auf der Welt da.” Die wirtschaftliche Existenz sei vernichtet, er stehe vor einer mehrjährigen Haftstrafe.

Prozess WSW WohnSachWerte Kiener Karolina
Der angeklagte Aufsichtsratsvorsitzende mit seinen Anwälten Michael Haizmann und Philip Roth. Foto: OberpfalzECHO/David Trott

Anwälte des Aufsichtsratsvorsitzenden (54): “Zermürbt und gebrochen”

Die Anwälte des Aufsichtsratsvorsitzenden plädieren auf 3 Jahre 6 Monate Haft. Verteidiger Philip Roth: “Das Kind ist aktuell weiter entfernt denn je von den Eltern. Es kam zu einer völligen Entfremdung in der Untersuchungshaft.” Besuchszeiten waren knapp und rar. Dem Schutz der Familie laut Grundgesetz sei man nicht gerecht geworden. Die Angeklagten seien “zermürbt, wenn nicht gebrochen” worden. Es sei den beiden Eltern vor Weihnachten gar nichts anderes geblieben, als sich im Sinne einer Prozessbeschleunigung auf die Verständigung einzulassen.

Roth schildert die Situation des 54-Jährigen: “Das Kind ist weg, die Frau nach wie vor in Haft. Das Haus ist weg, die Vermögenswerte sind eingefroren.” Im Haus der Familie sei es zu “zahlreichen Entwendungen” gekommen, sagt der Verteidiger, Ermittlungen wurden angestoßen. Die Rolle des 54-Jährigen stuft er als gering ein. Er habe sich auf die anderen beiden verlassen, darauf vertraut, dass die Probleme gelöst werden.

Verteidiger Michael Haizmann weist darauf hin, dass bei den Ermittlungen “nicht immer alles glücklich gelaufen” sei. Der Hauptsachbearbeiter der Kripo habe selbst im Prozess noch seine persönlichen Bewertungen einfließen lassen. Die Fragebogenaktion der Ermittler habe eine “Fülle an Suggestivfragen” enthalten. Die Buchhalterin der Kripo habe an Buchungen alles als Privatausgaben vermerkt, was sie nicht habe zuordnen können.

Die Strafe für den 54-Jährigen sei am unteren Rand der Verständigung anzusiedeln. Er habe mit dem Online-Vertrieb nichts zu tun gehabt. Zudem will Haizmann erreichen, dass die Strafe so niedrig ausfällt, dass der Aufsichtsratsvorsitzende nicht mehr in Haft muss. Der nicht vorbestrafte 54-Jährige ist seit Januar nach 22 Monaten Untersuchungshaft auf freiem Fuß. “Seine bürgerliche Existenz ist vernichtet.”

* Diese Felder sind erforderlich.