Abschied auf dem Amberger Jüdischen Friedhof: Drei Rabbiner verneigen sich vor Alexander Fried

Amberg/Tirschenreuth. Bewegender Abschied von einem der letzten Holocaust-Überlebenden in Bayern. Drei Rabbiner aus Amberg, Prag und Jerusalem würdigten Professor Alexander Schani Fried auf dem Jüdischen Friedhof in Amberg. Jonathan Fried rührte mit Erinnerungen an den Vater zu Tränen.

Jonathan Fried stützt Dorothea Woiczechowski-Fried (rechts), František Fendrych, Vorsitzender der Tschechischen Liberalen jüdischen Union (von links), Rabbi Manis Barash von der Chabat-Gemeinde in Prag und der Amberger Rabbiner Elias Dray verneigen sich am offenen Grab. Bild: Jürgen Herda

Vor dem Jüdischen Friedhof in Amberg begrüßte Jonathan Fried an diesem kalten Dezembertag jeden der Trauergäste mit Handschlag: „Die Sonne scheint heute für meinen Papa“, sagte der aus Dubai angereiste Sohn, der die letzten Tage seines Vaters miterleben konnte, mit Tränen in den Augen und einem Lächeln im Gesicht.

Drei Rabbiner, der Sohn und weitere Mitglieder der jüdischen Gemeinde trugen den einfachen Holzsarg zur Begräbnisstätte. „Einer der letzten Zeitzeugen des Holocaust in Bayern ist von uns gegangen“, sagte der Amberger Rabbiner Elias Dray am offenen Grab. „Jetzt ist es an uns, das Vermächtnis weiterzutragen.“

Als Kind sah Fried einen Engel

Jonathan Fried hielt auf Englisch die bewegende Laudatio an seinen Vater: „Ich weiß noch, wie er mein Gesicht in Händen hielt und sagte, ,du barmst mich so sehr’.“ Für die Überlebenden des Holocaust sind die Kinder das größte Geschenk. Der lebende Beweis, dass die Nazis ihr mörderisches Ziel verfehlten. Vermengt mit der Angst um die Söhne und Töchter, denen das eigene Schicksal erspart bleiben möge. „Er dachte an seine eigene verlorene Jugend“, sagte Fried, „und wollte, dass ich ein gutes Leben haben sollte.“

Diese Erinnerung sei Ausdruck für die emotionale Tiefe seines Vaters, der so viel Leid erlitten und doch so viel Liebe zu geben hatte. Der Sohn erinnerte auch an einen unwirklichen Moment im Leben Alexander Frieds, der sich im Gedächtnis eingebrannt hat: „Beim Spielen hat er als Sechsjähriger in einem gleißenden Licht eine Gestalt am Himmel gesehen, die er als Engel deutete.“ Im Nachhinein habe sein Vater diese Erscheinung als Warnung vor der ungeheuren Gefahr interpretiert – und als seinen Schutzengel. „Umso bemerkenswerter, da er ansonsten ein sehr rationaler Mensch war.“

Bewegt erinnert Jonathan Fried an seinen geliebten Vater Schani. Bild: Jürgen Herda

Enkel Jakob wachte weinend auf

Jonathan sei zutiefst dankbar, die letzten Tage und Stunden bei ihm sein zu dürfen und ihm seine Bewunderung und Liebe versichern zu können. Den letzten Atemzug seines Vaters werde er nie vergessen: „Gerade atmete er noch, dann er hörte auf zu atmen, völlige Stille – und nach zehn Sekunden, bäumte er sich auf und sog noch einmal tief Luft ein, so sehr liebte er das Leben.“ Zur selben Zeit habe sich in Dubai Wunderliches zugetragen, wie ihm seine Frau Olga am nächsten Tag erzählt habe: „Mein Sohn Jakob, der ihm sehr ähnlich ist, wachte exakt zur selben Zeit, als mein Vater starb, auf und begann zu weinen – ich bin sicher, da gibt es eine Verbindung zwischen diesen beiden.“

Jonathan Fried bedankte sich herzlich für das Kommen der vielen Gäste aus aller Welt – besonders bei Rabbi Manis Barash von der Prager Chabad-Gemeinde und bei František Fendrych, Vorsitzender der Tschechischen Liberalen Jüdischen Union: „Prag war immer der Herzensort meines Vaters.“ Besonders freute er sich über den Besuch von Rabbi Netanel Lauer aus Jerusalem, einem Nachkommen des Bruders von Frieds Mutter Julischka. „Dass so viele von euch heute hier sind, ist ein Beleg dafür, dass überall, wo mein Papa hinkam, ob Prag, Kanada, Israel oder Dubai, er Menschen beeindruckte.“

Rabbi Netanel Lauer fand erst vor kurzem heraus, dass noch ein Verwandter seiner Mutter in Tirschenreuth lebt und besuchte Alexander Fried. Bild: Jürgen Herda

Prag lauschte Frieds Lesung

Eindringlich bedankte sich Fried bei Dorothea Woiczechowski-Fried, „Shanis wundervollen Frau, die in den vergangenen 20 Jahren immer für ihn da und eine wundervolle Partnerin meines Papas war“. Mit Tränen erstickter Stimme schloss er: „Wir liebten dich so sehr, Papa, wir werden dich nie vergessen.“

Rabbi Manis Barash von der Chabat-Gemeinde in Prag erinnerte an die beeindruckende Stimme Alexander Frieds, wenn dieser das große Solo Unetaneh Tokev intonierte: „Wenn er das an den hohen Feiertagen, zu Jom Kippur und Rosch Haschana gesungen hat, herrschte ergriffene Stille.“ Der Text geht auf die mittelalterliche Legende um den Rabbi Amnon von Mainz zurück, der ihn unter dem Eindruck von Pogromen an Juden durch christliche Kreuzritter geschrieben haben soll – grausige Todesarten sind dort beschrieben, die Fried nicht von ungefähr an das Schicksal seiner Leidensgenossen erinnerten.

Rabbi Manis Barash von der Chabat-Gemeinde in Prag. Bild: Jürgen Herda

Nie verlöschte Trauer um Mutter Julischka

Rabbi Netanel Lauer, der erst ein Jahr vor der Corona-Pandemie in Erfahrung gebracht hatte, dass in Tirschenreuth ein Nachkomme lebt, rühmte Frieds phänomenales Gedächtnis: „Er erinnerte sich noch genau an meinen Großvater.“ Besonders beeindruckt sei er von Frieds Schilderungen der geliebten Mutter Julischka gewesen: „Wenn er über seine Mutter sprach, weinte er noch als 90-Jähriger, weil er es nie verkraftet hatte, sie auf seiner Flucht verlassen zu haben – ihm wurden die besten Jahre seiner Jugend gestohlen.“ Bis zuletzt habe er unter Angstzuständen gelitten, dass ihn die Nazis doch noch holen und ermorden würden.

Nach der Grablegung bedeckten die Trauergäste den Sarg mit jeweils drei Schaufeln Erde – „denn du bist Erde und sollst zu Erde werden“ – und legten kleine Steine an das offene Grab. „Die Tradition geht auf die Zeit zurück, als die Juden durch die Wüste wanderten“, erklärt Woiczechowski-Fried. „Wenn sie Verstorbene im Wüstensand begraben mussten, beschwerten sie das Grab mit großen Steinen, um sie vor Wildtieren zu schützen.“ Der Brauch, Steine aufs Grab zu legen, ist ein Relikt. „Heute zeigt man damit, dass man an den Toten denkt.“

Drei Schaufeln Erde auf den Sarg. Bild: Jürgen Herda

Trauer-Kaddisch und Kaddisch an der Mauer

Anschließend las Sohn Jonathan Fried am Grab das Trauer-Kaddisch, eines der wichtigsten Gebete im Judentum, im Wesentlichen eine Lobpreisung Gottes. Obwohl sich mit der Zeit Assoziationen mit Tod und Trauer entwickelt haben, erscheinen diese Begriffe selbst nicht im Gebet. Die wichtigsten Gedanken des Kaddischgebetes finden sich auch im christlichen Vaterunser.

An der Friedhofsmauer sprach abschließend ein Minjan, zehn jüdische Männer, noch das einfache Kaddish, das auch bei jedem Gottesdienst als Teil der Liturgie gebetet wird. Nach der Beerdigung gibt es im jüdischen Ritus keinen Leichenschmaus. Stattdessen bereitete Dorothea eine Mahlzeit für die Trauernden zu Hause in Tirschenreuth.

Der Amberger Rabbiner Elias Dray (links) mahnt, das Vermächtnis Alexander Frieds, einer der letzten Holocaust-Überlebenden in Bayern, zu wahren. Bild: Jürgen Herda
Der Amberger Rabbiner Elias Dray (links) mahnt, das Vermächtnis Alexander Frieds, einer der letzten Holocaust-Überlebenden in Bayern, zu wahren. Bild: Jürgen Herda
Nach der Grablegung bedeckten die Trauergäste den Sarg mit jeweils drei Schaufeln Erde – „denn du bist Erde und sollst zu Erde werden“ – und legten kleine Steine an das offene Grab. Bild: Jürgen Herda
Nach der Grablegung bedeckten die Trauergäste den Sarg mit jeweils drei Schaufeln Erde – „denn du bist Erde und sollst zu Erde werden“ – und legten kleine Steine an das offene Grab. Bild: Jürgen Herda
Sohn Jonathan Fried liest am Grab das Trauer-Kaddisch. Bild: Jürgen Herda
Sohn Jonathan Fried liest am Grab das Trauer-Kaddisch. Bild: Jürgen Herda
An der Friedhofsmauer sprachen abschließend ein Minjan, zehn jüdische Männer, noch den einfachen Kaddish, der auch bei jedem Gottesdienst als Teil der Liturgie gesprochen wird. Bild: Jürgen Herda
An der Friedhofsmauer sprachen abschließend ein Minjan, zehn jüdische Männer, noch den einfachen Kaddish, der auch bei jedem Gottesdienst als Teil der Liturgie gesprochen wird. Bild: Jürgen Herda
Alexander Fried bei einer gemeinsamen Schabbat-Feier. Bild: Jürgen Herda
Alexander Fried bei einer gemeinsamen Schabbat-Feier. Bild: Jürgen Herda
Der Amberger Rabbiner Elias Dray (links) mahnt, das Vermächtnis Alexander Frieds, einer der letzten Holocaust-Überlebenden in Bayern, zu wahren. Bild: Jürgen Herda
Nach der Grablegung bedeckten die Trauergäste den Sarg mit jeweils drei Schaufeln Erde – „denn du bist Erde und sollst zu Erde werden“ – und legten kleine Steine an das offene Grab. Bild: Jürgen Herda
Sohn Jonathan Fried liest am Grab das Trauer-Kaddisch. Bild: Jürgen Herda
An der Friedhofsmauer sprachen abschließend ein Minjan, zehn jüdische Männer, noch den einfachen Kaddish, der auch bei jedem Gottesdienst als Teil der Liturgie gesprochen wird. Bild: Jürgen Herda
Alexander Fried bei einer gemeinsamen Schabbat-Feier. Bild: Jürgen Herda

Ein Leben voller unwahrscheinlicher Wendungen

Wie viele Tragödien, unwahrscheinliche Wendungen, Glücksfälle passen in ein Leben? Alexander Fried durchlebte und durchlitt in seinen 97 Lebensjahren die himmelschreienden Ungerechtigkeiten des nationalsozialistischen Terrorregimes. In den mörderischen Konzentrationslagern der Nazis verlor er fast seine gesamte Familie. Der antisemitische Wahnsinn zwang ihn als Jugendlichen zur Flucht aus seiner slowakischen Heimatstadt Žilina, zwang ihn in drei deutsche Vernichtungslager und trieb ihn auf einen Todesmarsch von Sachsenhausen bis Crivitz, wo er am Vortag der deutschen Kapitulation seinen 20. Geburtstag erlebte.

Zu Fuß, mit Pferdewagen und der Bahn gelang dem völlig ausgemergelten jungen Mann die Rückkehr nach Žilina – nur um festzustellen, dass nur sein Bruder Iču den Massenmord überlebt hatte. Nur kurz war Fried bei einem Studium in Prag etwas Normalität vergönnt, als er erneut ins Visier eines verblendeten Regimes geriet. Die kommunistische Machtübernahme in der Tschechoslowakei und der stalinistische Terror der Nachkriegsjahre zwang ihn zur riskanten Flucht nach Wien – unter anderem zusammen mit Miloš Havel, Onkel des späteren Dichterpräsidenten Václav Havel und Gründer der Prager Barrandov-Studios, des tschechischen Hollywoods.

Und dennoch hat diesen außerordentlich klugen und herzensguten Humanisten niemals der Lebensmut verlassen. Im Gegenteil: Sein Schicksal war ihm Auftrag, als Zeitzeuge dafür einzutreten, die Opfer niemals zu vergessen und eine Wiederholung dieses Menschheitsverbrechens zu verhindern. Eine internationale wissenschaftliche Karriere führte den jungen Professor mit der großen Sprachbegabung unter anderem nach Deutschland, England, Kanada und Israel – eine glückliche Fügung schließlich nach Tirschenreuth zu seiner großen Liebe Dorothea Woiczechowski-Fried, mit der zusammen er die vergangenen 20 Jahre unermüdlich junge Menschen mit seiner Geschichte beeindruckte.

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