Alexander Fried friedlich entschlafen: Abschied von dem Lieblingsmenschen, der alles überlebte

Tirschenreuth/Amberg. Wie kann ein Mensch die Qualen dreier Konzentrationslager, eines Todesmarsches und einer Flucht aus der stalinistischen ČSSR überstehen und dennoch fast 100 Jahre alt werden? Mir schien Alexander Fried fast unsterblich. Jetzt ist er mit 97 Jahren „von Gott geküsst“ entschlafen.

Alexander Fried genoss die Maisonne auf seinem Balkon. Archivbild: Jürgen Herda

Alexander Nesanel Meir Avraham Fried, genannt Schani, hat den Nazi-Wahnsinn überlebt: drei Konzentrationslager, den Todesmarsch an die Ostsee, die Flucht aus der Tschechoslowakei – und dann auch noch Corona.

Und noch wichtiger: Dieser herzensgute Mensch ließ nicht zu, dass der Hass der Antisemiten seine Seele vergiftete. „Ihr seid nicht schuld an den Verbrechen eurer Vorfahren“, rief er in rund 300 Vorträgen jungen Deutschen zu. „Aber ihr habt die Verantwortung, dass so etwas nie wieder geschieht.“

Zerbrechlich, aber unverwüstlich

Dieser zerbrechliche kleine Mann, Kind zweier frommer Ostjuden aus Korolevo in der heutigen Ukraine, war ein menschlicher Riese. So zerbrechlich er bei jeder Umarmung erschien, so unverwüstlich überstand er das schreckliche 20. Jahrhundert. „Wir wollen mit dir deinen 100. Geburtstag feiern“, habe ich ihn oft geneckt, sobald ihn der wieder erstarkte Antisemitismus deprimierte. Wenn er dann froh lächelte, hoffte ich inständig, er möge wirklich unsterblich sein.

Eine schwere Bronchitis hat dieser Illusion ein trauriges Ende bereitet. „Er ist ohne Angst gestorben“, tröstet Dorothea Woiczechowski-Fried, seine geliebte Frau, bei der er die letzten zwei Jahrzehnte eine neue Heimat in Tirschenreuth und seinen Seelenfrieden gefunden hat. „Sie ist mein ganzes Glück“, hatte der 97-Jährige immer wieder mit Tränen in den Augen über die ehemalige Kinderärztin gesagt, die Tag und Nacht für ihn da war. „Er ist mit einem Kuss von Gott von uns gegangen“, beschreibt sie den Moment, als er endgültig loslassen konnte.

Abschied auf dem Jüdischen Friedhof in Amberg

„Ich bin nicht tot, ich tausche nur die Räume, ich leb‘ in euch und geh‘ durch eure Träume.“ Dieses, dem Renaissance-Genie Michelangelo Buonarroti zugeschriebene, Zitat haben wir für seine Sterbeanzeige gewählt. Und tatsächlich: „Wir vermissen dich, aber wir vergessen dich nie, Schani, du gütiger, lieber Mensch, der trotz allen Leids immer zu verzeihen bereit war.“ Seine ihn liebende Familie, seine Verehrer und besten Freunde nehmen am Dienstag, 13 Uhr, Abschied auf dem Jüdischen Friedhof in Amberg.

Der 7. Mai war für den Holocaust-Überlebenden Alexander Fried Jahr für Jahr eine Erinnerung an die Wiedergeburt. Am 7. Mai 1945 überlebte der gerade 20-Jährige die vorerst letzte Etappe eines unsagbaren Leidensweges – das Ende des Todesmarsches vom KZ-Sachsenhausen zur Ostsee. Am 7. Mai dieses Jahres feierten Familie und Freunde den 97-Jährigen ein letztes Mal. Alexanders Sohn Jonathan Fried, war mit Frau Olga und den Kindern Jakob und Daniel aus Dubai, sein zweiter Sohn Dani Fried aus Brüssel angereist.

Warum hat Gott das zugelassen?

In den folgenden Monaten blühte Alexander noch einmal auf. „Seinen Glauben hatte er nach dem Schrecken der Konzentrationslager zwar etwas verloren“, erzählt Doro. „Aber er liebte die wunderbaren jüdischen Rituale.“ Sein Verhältnis zu Gott lasse sich am besten mit einer Anekdote erklären: „Einige Juden halten ein Gericht über Gott, weil er den Holocaust zugelassen hat. Schuldig, lautet das Urteil. Und jetzt lass uns beten gehen.“ Man kritisiere den Einzigen, aber man respektiere die Rituale, die Alexander von Kindesbeinen an in Fleisch und Blut übergegangen waren. „Auch als er elend war, haben wir immer zumindest einen Schabbat-light gehalten“, sagt die Tochter einer jüdischen Ärztefamilie. „Jeden Freitagabend, nicht ewig lang, aber mit Freude und manchmal auch Freunden.“

Über den Tod habe das Paar immer wieder mal gesprochen. „Ich werde sterben“, habe er gesagt, als es ihm noch verhältnismäßig gut gegangen sei. „Ich bin jetzt alt genug.“ Jeder müsse sterben, habe Doro geantwortet. „Aber doch noch nicht gleich, Schatzile.“ Am liebsten wollte Fried am Jüdischen Friedhof in Marienbad begraben werden. „Der ist sehr schön, und Alexander hat bei der Gedenksteinlegung für die zerstörte Synagoge eine wunderbare Rede gehalten.“ In Pilsen habe man den beiden allerdings bedauernd gesagt: „Wir haben keine Karte, wo wer liegt, und wissen nicht, wo noch ein freier Platz ist.“ Nach dem Corona-Lockdown habe sich Fried dann endgültig von dem Gedanken verabschiedet.

Großer Humanist Alexander Fried

„Wir waren oft in Amberg, haben uns mit Rabbi Elias Dray angefreundet“, erklärt Doro den Bezug zur ehemaligen Hauptstadt der Oberpfalz. „Der hatte sich sehr gefreut, als wir offiziell Mitglieder in der dortigen Gemeinde wurden.“ Als Alexander vergangene Woche dann mit einer schweren Bronchitis ins Weidener Klinikum eingeliefert wurde, wurde das Nachdenken über den Tod konkret. „Jonathan und Olga kamen aus Dubai, um bei ihm zu sein.“

Rabbi Dray, der eigentlich in Berlin lebt und gerade erst aus Straßburg zurückgekehrt war, versuchte, selbst gesundheitlich angeschlagen, eine nach jüdischer Tradition möglichst schnelle Beerdigung zu organisieren. „Er will unbedingt einen Minjan, also mindestens zehn erwachsene Juden, um aus der Tora zu lesen“, schildert Doro die Hürden der Diaspora. „Das ist in einer kleinen jüdischen Gemeinde nicht so einfach.“ Für den großen Humanisten Alexander Fried wird sie keine Mühe scheuen.

Bundesverdienstkreuz und -medaille für die Frieds

„Es gibt kein Ende des Erinnerns“, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 4. Dezember 2018 bei einer Feierstunde für verdiente Bürger. Der damals 93-jährige Historiker Alexander Nesanel Fried wurde mit dem Bundesverdienstkreuz, seine Ehefrau Dr. Dorothea Woiczechowski-Fried im Schloss Bellevue mit der Bundesverdienstmedaille ausgezeichnet für ihr herausragendes Engagement für die Gedenk- und Erinnerungskultur in Deutschland – eine späte Genugtuung für erlittenes Unrecht.

Das Paar widmete sein Leben dem Kampf gegen Vorurteile. In über 300 Vorträgen und Diskussionen an Schulen vermittelten beide den Jugendlichen, was die Gräuel des Nationalsozialismus für die Betroffenen bedeuteten. „Was wollen diese Nationalisten?“, konnte Fried, zuletzt zunehmend resigniert, den Zulauf für Rechtspopulisten nicht verstehen. „Damals haben die Nazis Deutschland völlig zerstört – hat man nicht genügend gelitten?“

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Eine Biografie von Ulrike Wendt: „Dos pintele jid“ – Alexander Nesanel Fried: Leben und Überleben eines slowakischen Juden im 20. Jahrhundert

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2 Kommentare

Ewald Zenger - 04.01.2023

Was für ein berührender Kommentar über das Leben dieses wunderbaren Mannes! Danke, Herr Herda!

Erich Naab - 15.12.2022

Danke für den guten Artikel. Jede Begegnung mit Alexander bleibt unvergessen. Er war Zeuge des Ewigen, des Leides und der Barmherzigkeit. Seine Seele sei eingebunden ins Leben.