Anita Eichhorns „Dahoam“-Porträt (1): Die bayerische Dorf-Lindenstraße

Weiden. Für die einen ist es Heimatkitsch, für die anderen ein Stück Heimat. „Dahoam is Dahoam“ ist bei genauerer Betrachtung mehr kritisches Volkstheater, als das Feuilleton meint. Die Weidenerin Anita Eichhorn als freche Apothekerin Tina Brenner ist Garantin für dezentes Werben um Toleranz in Lansing.

Einfach gut drauf: Die Weidener Schauspielerin Anita Eichhorn im Café „Le Père“ beim ECHO-Interview. Foto: Jürgen Herda

Als die schrill geschminkte Tina Brenner mit „Damien Hirst“-Totenkopf am Kittel ihre Stelle beim biederen Apotheker Bamberger antritt, wird schnell klar: Da ist Feuer unterm Dach des fränkischen Dipferlscheißers. Die junge wilde Oberpfälzerin strapaziert aber nicht nur die Nerven des im Grunde seines Herzens gutmütigen Pharmazeuten von „Dahoam is Dahoam“ (DiD).

Der Freigeist aus Weiden stellt als Atheistin, Liebhaberin ohne Bindungsabsichten, Nasche-Schwammerl-Konsumentin und Agent provocateur in ihrer WG die Toleranz ihrer Mitbürger auf die Probe. Eine zu laxe Medikamentenausgabe, die fast zur Tragödie führt, ein Schäferstündchen in der Apotheke und leidenschaftliche Umarmungen in der Waldhütte ausgerechnet mit Bambergers „Buu“ Patrick passen nicht ins Weltbild aller Dorfbewohner.

Mit Tusch ins grelle Licht

Dass die alltäglichen Geschichten der Lansinger seit 2007 inklusive Mediathek rund 800.000 Zuschauer an vier Abenden in der Woche in ihren Bann ziehen, liegt auch daran, dass die Figuren keineswegs scherenschnittartig konstruiert sind. Um es an Anita Eichhorn festzumachen: Die Charaktere treten mit einem großen Tusch ins grelle Licht der Serienmacher – und werden Folge um Folge feiner gezeichnet.

So wird aus der wilden Tina im Laufe ihres Seriendaseins eine tiefgründige Frau mit Ecken und Kanten, die ihre Position deutlich macht, aber auch den rührenden Volksglauben der 90-jährigen Theres und des indischen Pfarrers gelten lässt. Sie genießt das Leben in vollen Zügen, übernimmt aber dennoch Verantwortung für ihre Umwelt.

Absolventin der Neuen Münchner Schauspielschule

Diese Wandlung setzt Anita auch schauspielerisch überzeugend in Szene. Wie Andrea Sawatzki oder Robert Atzorn besuchte die 32-Jährige die Neue Münchner Schauspielschule. „Ich möchte die Ausbildung nicht missen“, schildert sie die Lehrjahre, „wir hatten Gesangsunterricht, Tanzunterricht, Stimmtraining.“ Eichhorn übt sich im Bühnenkampf, Fechten und Method Acting: „Die auf der Lehre Konstantin Stanislawskis beruhende Methode arbeitet mit deiner eigenen Erinnerung, mit deiner Psyche, mit allen Sinnen.“

Method Acting arbeitet mit deiner Erinnerung, mit deiner Psyche, mit allen Sinnen.Anita Eichhorn

Eigentlich zieht es die in Nabburg geborene, mit Zwischenstation in Pfreimd aber vor allem in Weiden sozialisierte Elly-Heuss-Gymnasiastin zunächst zum Tanz. „Was heute für mich Schauspiel ist, um mich auszudrücken, war damals Tanz, nur eben ohne Worte“. Erklärt sie. „Das war einfach cool, auch dieses Gemeinschaftsgefühl in Tanzgruppen, das unheimlich zusammengeschweißt hat.“ „Dance your Style“, „Elly tanzt“ in der Max-Reger-Halle – alles, was mit Tanz zu tun hat, ist damals ihr Leben. „Als ich angefangen habe, war ich so 10 oder 11, als es noch die Musik-Videos gab. So ging das los.“

Dorniger Weg zum ersten Engagement

Schauspiel war für die Jugendliche noch unbekanntes Terrain – weder Schüler- noch Bauerntheater kann sie als Trainingslager vorweisen. „Nüx“, wie ihre zu früh verstorbene Großmutter sagen würde. Die Vorstellung von der Verstellung reizt sie aber durchaus: „Ich habe immer davon geträumt, mich mal auf dem Bildschirm zu sehen“, erinnert sich Anita. „Ich fand es einfach so spannend, dass du alles sein kannst, was du willst.“ Und bei den Tanzfilmen gab es ja bereits Berührungspunkte mit ihrer damaligen Leidenschaft: „Step up, Street Style, Street Dance, diese ganzen Filme waren zur damaligen Zeit für mich das Höchste.“

Ich fand es einfach so spannend, dass du alles sein kannst, was du willst.Anita Eichhorn

Lehrjahre sind keine Herrinnenjahre. Der Weg von der Schauspielschule zum ersten Engagement ist dornig: „Gefühlt war es eine halbe Ewigkeit.“ 2017 hat sie die Schule abgeschlossen, ging dann erst einmal nach Berlin: „Ich habe geschaut, was gibt’s für Jobs, habe mich viel beworben, aber das Dahoam-Engagement kam erst nach mehr als drei Jahren.“ Kontakte über die Schauspielschule? Fehlanzeige. „Man lernt, worauf man achten muss, wenn man sich bewirbt, wo muss ich mich überall registrieren, welche Caster sind wichtig? Aber dann wird man wirklich in die freie Wildbahn rausgeschubst.“

Prekäres Großstadtleben mit Mindestlohn

Eichhorn schreibt Caster an, bewirbt sich bei Agenturen, macht bei studentischen Low-Budget-Projekten mit: „Hauptsache, man bekommt ein wenig Demo-Material.“ Zum Überleben im teuren Berlin reicht das nicht. „Ich musste nebenbei in Serviceberufen jobben, und habe immer gehofft, dieses kleine Quäntchen Glück zu haben, dass einem irgendjemand, der was zu sagen hat in der Branche, eine Chance gibt.“ Vom Fachkräftemangel im Film keine Spur: „Ich habe in meiner Schauspiellaufbahn von anderen Schauspielschulen wahnsinnig talentierte Kolleginnen und Kollegen kennengelernt, aber man muss einfach Glück haben, dass einem jemand die Chance gibt zu zeigen, was man kann.“

Man muss einfach Glück haben, dass einem jemand die Chance gibt zu zeigen, was man kann.Anita Eichhorn

Dier chaotische Hauptstadt, das Hollywood Deutschlands, ist ein hartes Pflaster: „Berlin ist eine schöne, große, bunte, vielfältige Stadt“, sagt Anita, „wo viel gedreht, viel produziert wird – aber natürlich hast du da noch mehr Konkurrenz, es gibt noch mehr arbeitslose Schauspieler, die genau das Gleiche wollen wie du.“ Eine spannende Phase für eine junge Frau, „aber ich bin jetzt sehr froh, wieder in Bayern zu sein – wirklich!“ Bei „Dahoam“ zu sein bedeutet für sie: „Dass ich als Schauspielerin mein Geld verdienen darf, was nur vier Prozent der 20.000 Schauspieler in Deutschland können – inklusive der Theaterschauspieler.“

Anita Eichhorn zeigt uns Method Acting, oder so. Foto: Jürgen Herda

Dahoam angekommen, mit stattlicher Gage

Aus ihrer prekären Berliner Perspektive ist die Gage bei der bayerischen Erfolgsserie stattlich. „Wie viel genau, verrat’ ich nicht, das schwankt auch zwischen den Kollegen, aber es geht uns allen sehr gut.“ Gerade nach entbehrungsreichen Jahren mit einem Verdienst entlang des Mindestlohns: „Am Monatsende musste ich immer schauen, komme ich noch über die Runden, kann ich noch irgendwie meine Miete bezahlen?“ Unbefristet sind die Verträge gleichwohl nicht. „Man ist immer in Rücksprache, wie lange es noch geht von beiden Seiten, aber man hat schon eine gewisse Sicherheit.“

Seit ich bei Dahoam bin, werde ich als Schauspielerin wahrgenommen.Anita Eichhorn

Das DiD-Image der eher biederen Soap hat Anita Eichhorn nie gestört: „Dass diese Bedenken von ganz vielen Seiten kommen, finde ich sehr schade, weil man als Schauspieler vielseitig sein sollte.“ Vor allem aber bedeute „Dahoam“ für sie weit mehr, als nur ihr Geld zu verdienen: „Es bedeutet für mich, auch Teil zu sein eines wirklich ganz tollen Ensembles, eines tollen Teams, jeden Tag das machen zu dürfen, was ich lieb’.“ Und überhaupt: „Seit ich bei Dahoam bin, werde ich als Schauspielerin wahrgenommen.“

 „Anita, das ist wirklich ein 6er im Lotto“

Wer glaubt, den Knochenjob einer Daily Soap könne doch jeder – frei nach dem Motto: Mein Kleiner kann auch Picasso – der sollte sich mal mit einem Profi unterhalten. „Selbst mein Agent, der fast 30 Jahre in dem Beruf tätig ist, hat gesagt: ,Anita, das ist wirklich ein 6er im Lotto, und das habe ich so noch nie erlebt, dass für eine neue Schauspielerin eine Rolle geschrieben wird‘.“ Eichhorn bewirbt sich als Aushilfsköchin und wird nach dem Casting zu „Achgehzus“ Halbtags-Apothekerin befördert – ein Karrieresprung innerhalb der Bewerbung. „Tina würde sagen, mega!“

Das habe ich so noch nie erlebt, dass für eine neue Schauspielerin eine Rolle geschrieben wird.Anita Eichhorns Agent

Wie ist das als Neuling auf so einem Set – gibt’s da schon so was wie Mitspracherecht und Gestaltungsfreiraum bei der ersten Serienrolle? „Klar, wir haben Drehbücher und können nicht etwas komplett verändern, worauf wir gerade Lust haben.“ Aber es sei wichtig, dass das, was die Schauspieler von sich geben, authentisch rüberkommt. „Ich mach’ das ganz oft, dass ich Sätze vertausch’, dass ich ein Wort mit hinzufüg’, dass ich sag’, Mensch, das kann ich doch jetzt auch weglassen.“ So hat sie am Porträt der Tina mitgeschliffen: Das „Möga“ sei so entstanden und ein paar andere Sprüche. „Wenn der Regisseur sagt, ja, passt, cool‘, dann machen wir das.“

DiD als praktische Lebenshilfe

Wie nah ist der Oberpfälzerin aber nun die Farbenwut und der Schert-sich-nix-Mut des extrovertierten Alter-Egos? „Privat bin ich ein bisschen dezenter“, gibt Anita zu. „Tina könnt’ hier durch die Weidener Altstadt gehen und alle tuscheln und sagen, ,um Gottes Willen, wie schaut denn die aus, des geht ja gar ned‘, das wär’ der wurscht, die würd’ hinterherwinken.“ Wo sie selbst noch ein bisschen unsicher sei, stehe die Tina drüber. „Ich hab’ aber gemerkt, dass ich mir innerhalb eines Jahres, in der ich die Tina jetzt spiel’, tatsächlich so ein paar Sachen angeeignet hab’.“ DiD als praktische Lebenshilfe, auch ein Bonus des Arbeitgebers.

Ich hab‘ mir tatsächlich so ein paar Sachen von Tina angeeignet.Anita Eichhorn

Die Toleranz-Botschaft der Serie als bayerische Lindenstraße, die dem Stammtisch und der Frauenunion Asyl, indische Priester, LGBTQ und sogar ein gewisses Verständnis für die schiefe Bahn näherbringt, gefällt der Schauspielerin. „Auf der einen Seite sind wir eine traditionelle bayerische Serie, und das ist auch den Autoren wichtig. Auf der anderen Seite ist es auch allen wichtig, dass man mit der Zeit geht und Themen aufgreift, die unter die Haut gehen.“ Wie die Angst Uschis vor Brustkrebs und wie sie damit umgeht. „Die Mischung macht’s.“

DiD-Tina Anita Eichhorn in ihrem ersten Dahoam Weiden. Foto: David Trott

Zur Person: Anita Eichhorn im Schnelldurchlauf

Anita Eichhorn, 1991 in Nabburg geboren, Kindheit in Pfreimd, verbringt die prägenden Sturm-und-Drang-Jahre in Weiden. In ihrer Schulzeit am Elly-Heuss-Gymnasium fällt sie weniger als begnadete Mathematikerin, denn als begeisterte Tänzerin auf. Von 2014 bis 2017 besucht sie die Neue Münchener Schauspielschule, nimmt an Workshops der Medienakademie München und der Douglas Studios teil. Zu ihren Lehrern zählen Mirja Mahir, Holger Borggrefe und Inga Helfrich.

Filmografie

  • 2020: Aktenzeichen XY … ungelöst (Fernsehserie, eine Episode)
  • 2020: Hubert ohne Staller (Fernsehserie, eine Episode)
  • 2020: Dengler (Fernsehreihe, eine Episode)
  • 2021: Watzmann ermittelt (Fernsehserie, eine Episode)
  • 2021: Dahoam is Dahoam (Fernsehserie, Hauptrolle seit Dezember 2021)
  • 2022: Schweigend steht der Wald

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