Bockboanig [ˈbɔkbaɪ̯nɪç]: Die Macht der kleinen Geste

Nordoberpfalz. Gutmensch, Weichflöte, realtitätsfremder Sozialromantiker: In meiner Glosse möchte ich mich diesmal einem Thema widmen, das scheinbar in unserer Gesellschaft keine Rolle mehr spielt - der Anstand.

Hereinspaziert, herzlich willkommen in meiner kleinen Gedankenwelt. Foto: Ann-Marie Zell

Manchmal glaube ich, uns ist das letzte bisschen Anstand abhandengekommen. Prollige Ex-Rüpel im Maßanzug dürfen in der Höhle des Löwen Nachwuchsunternehmer quälen und jeder glaubt in der Anonymität des Netzes seine geistigen Ergüsse ohne Konsequenzen absondern. Beruflich bedingt bin ich täglich mit den Pressemeldungen der Polizei vertraut. Pöbeleien und körperliche Übergriffe gegen engagierte Leute sind erschreckenderweise scheinbar inzwischen an der Tagesordnung. Wer also höflich und freundlich ist, ist einfach nur ein Gutmensch, der die Zeichen der Zeit nicht verstanden hat? Das sehe ich ganz anders.

Manche Leute glauben, größere Eigenschaften berechtigen sie, die kleinen gesellschaftlichen Konventionen, die Regeln des Anstands, der Höflichkeit oder der Vorsicht zu vernachlässigen – das ist nicht gutgetan.Adolph Freiherr Knigge (1752 – 1796)

Anstand in der Politik

Wenn ich dann noch einen Blick auf die augenblicklichen Wirtschafts- und Polit-Juppies werfe, weiß ich oft nicht, wo ich mir hinlange soll – der Kopf ist mir zu schade dafür. Ich höre sie im tiefsten Adenauer-Barock schwadronieren, es fehlt tatsächlich – quasi “zum Bleistift” – nur noch der Klassiker “Da müssen wir uns endlich mal wieder auf den Hosenboden setzen”. Doch was ernte ich, wenn ich nun zu so jemanden sage: “Das ist unanständig von ihnen”? Bestenfalls Mitleid. Und den Deppenstempel aufs Hirn. Oder die Brille fliegt drei Meter weit.

Getuntes Verhalten und schmackhafte Nasenrammeln

Eigentlich hätte ich es wissen müssen, aber ich war gleichsam überrascht wie auch schockiert: Wenn man die Begriffe “Coaching” und “Knigge” in die Suchmaschine eingibt, findet man eine beeindruckende Menge an Seminaren, die einem den kleinen Businessknigge beibringen wollen.

Von “Wie verhalte ich mich dem Chef gegenüber” bis zum souveränen Handling des Flying Buffet reicht die Palette an Pseudopsychologie. Oder frei nach Monika Gruber: Die machen einen auf dicke Hose und wenn man nicht hinsieht fressen sie ihre Naselrammeln. Aber die Richtung ist mal wieder klar – wenn ich schon höflich bin, dann muss es auch im Geldbeutel klingeln.

Einfach nur nett und freundlich sein und sich selbst nicht zu ernst nehmen – das öffnet vielleicht nicht die Geldbeutel, aber macht doch vieles leichter. Foto: Ann-Marie Zell

Einfach nur eine nette Geste

Aber lassen wir die große weite Welt beiseite und werfen einen Blick auf die eigene kleine Scholle: Denn hier gibt es sie Gott sei Dank, die kleinen Inseln der Zwischenmenschlichkeit, Freundlichkeit und des Anstandes. Ich bin ein absoluter Freund der “kleinen Geste”. Mein Geheimtipp zum Einstieg für Anfänger: Einfach mal wieder “bitte” und “danke” sagen und dem Nachfolgenden nicht die Tür aufs Hirn knallen. Für den Tipp wäre man übrigens beim Personalcoaching schon mindestens 1.000 Euro los.

Wer will an der Supermarktkasse sitzen und sich von den bestens gelaunten Mitbürgerinnen und Mitbürgern blöd anschnauzen lassen, nur weil sie meinen, man gehört ihnen, weil man einen Euro in den Einkaufswagen gesteckt hat? Wer will einen Tag am Bau buckeln, eine Woche auf der Straße leben oder nur einen Monat von Grundsicherung? Ich nicht und deshalb behandle ich die Menschen, die das ertragen beziehungsweise leisten, so wie sie es verdienen – nett und freundlich.

Meine abschließende Binsenweisheit lautet (inkl. 19 Prozent Mehrwertsteuer): in Sachen Knigge einfach mal kurz innehalten und sich erinnern, was wir so als Hausanstand gelernt haben. Da wäre auf jeden Fall ein guter Anfang.

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