Entsetzen über den Hamas-Terror: Verwandte im überfallenen Kibbuz Beeri vermisst

Weiden/Tirschenreuth. Zu Besuch bei unserer lieben jüdischen Freundin Dorothea Woiczechowski-Fried, die sich um ihre Verwandten in Israel sorgt. Auch Imam Maher Khedr ist entsetzt über den brutalen Terror der Hamas. Und die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit ruft zur Solidarität mit Israel auf.

Dorothea Woiczechowski-Fried versucht voller Sorge ihre Verwandten in Israel zu erreichen. Foto: Jürgen Herda

Die Augen von Dorothea „Doro“ Woiczechowski-Fried sind stark gerötet. Das hat mehrere Ursachen. Auch eine kürzliche Augen-Operation. Vor knapp einem Jahr hat sie ihren geliebten Mann Alexander „Schani“ Fried verloren. Shani ist unersetzlich. Am Tisch, an dem wir oft gemeinsam saßen und wo Schani so gerne gelacht, gegessen und gesungen hat, steht jetzt das Bild des sanften Mannes, der drei Konzentrationslager, einen Todesmarsch und Corona überlebte. „Er fehlt mir so“, sagt Doro mit Tränen in den Augen.

Die zierliche, frühere Kinderärztin sitzt gramgebeugt mit dem Telefonhörer in der Hand am Küchentisch mit Schanis Porträt. Noch immer kein Lebenszeichen von einigen Verwandten in Israel. Cousine Ruthi und ihr Mann Amatja aus Naharija, einer Stadt am Mittelmeer nördlich von Haifa mit rund 56.000 Einwohnern, vermissen eine Cousine aus dem Kibbuz Beeri nahe dem Gaza-Streifen, in dem die Hamas ein Massaker anrichtete.

Doro und ihr geliebter Schani: Die ehemalige Kinderärztin Dorothea Woiczechowski-Fried war auch Alexander Frieds größtes Glück. Bild: Jürgen Herda

Das Massaker im Kibbuz Beeri

Die Terroristen kamen im Morgengrauen. Das Video einer Überwachungskamera zeigt, wie sich um 5 Uhr 55 zwei Männer in Militärkleidung und mit Kalaschnikows dem Kibbuz Beeri nähern. Einer trägt ein grünes Hamas-Stirnband, der andere einen schwarzen Bart mit rasierter Oberlippe. Sie warten, bis ein Auto durch das Metalltor fährt. Ein Kibbuz-Bewohner hält den blauen Mazda an, auf der Beifahrerseite und der Rückbank sitzen zwei Teenager. Der Terrorist mit dem Hamas-Stirnband stürmt zum Auto und schießt. Vier Mal. Auch der Bärtige feuert aus dem Hinterhalt. Vier Mal.

Alle drei Insassen sind tot. Innerhalb von acht Sekunden. Der Mazda rollt die Straße entlang, bis er auf einem Trottoir zum Stehen kommt. Was hier am frühen Samstagmorgen beginnt, wächst sich zu einem 17-stündigen Albtraum für die tausend Bewohner von Beeri aus. Am Ende des Tages werden mindestens 100 unschuldige Menschen tot sein. Viele bleiben vermisst. Wie Ruthis und Amatjas Cousine. Den beiden geht es den Umständen entsprechend gut. „Eine Rakete der Hamas ist am Stadtrand eingeschlagen“, erzählt Ruthi. Normalität für Israelis.

Cousine Shoshana und der Jom-Kippur-Krieg 1973

Ruthi und ihr Bruder, die beide bei Doros und Schanis Hochzeit in Prag mitfeierten, wollten eigentlich die Verwandte in Tirschenreuth besuchen. „Daran ist natürlich jetzt nicht zu denken“, sagt Doro traurig. Sie versucht es bei ihrer drei Jahre älteren Cousine Shoshana aus Zichron Ja’akov (rund 23.000 Einwohner), einer Gemeinde im israelischen Bezirk Haifa am Südende des Karmelgebirges. Sie hat die alten Leutchen bisher nicht erreicht. „Als junge Frau hatte sie zusammen mit Freunden ein verlassenes Kibbuz unterhalb der Golan-Höhen wieder aufgebaut“, erzählt Doro.

„Als sie an Jom Kippur des 6. Oktober 1973 von einem Ausflug auf den Golan zurückkam, schossen bereits die Syrer.“ Tante Miriam hatte den Überfall Ägyptens, Syriens und weiterer arabischer Staaten nicht mitbekommen, weil die streng gläubige Jüdin am Feiertag niemals Nachrichten hörte. Ein Kalkül der Feinde Israels: Man wollte arglose Israelis im Gebet ermorden. Es ging den feindlichen Nachbarn um nicht weniger als die Vernichtung Israels. Kein Zufall für Doro, dass die neuerliche Attacke der Hamas genau 50 Jahre danach erfolgte.

Hoffnung in Rabins Blut ertränkt

Doro ist aber auch wütend auf Premier Benjamin „Bibi“ Netanjahu vom konservativen Likud-Block, der sich – mit Unterbrechungen – mit wechselnden radikalen Koalitionspartnern seit Jahrzehnten an der Macht hält und zuletzt auch noch gegen massive Proteste mit seiner Justizreform das Verfassungsgericht entmachtete. „Wenn das vorbei ist“, sagt Doro, „ist es auch mit ihm vorbei, denn er hat alle Soldaten abgezogen, um die Siedler zu schützen, die sich immer weiter ausbreiten – und ließ alle anderen schutzlos zurück.“

Zu Zeiten des am 4. November 1995 am Rande einer großen Friedenskundgebung auf dem Platz der Könige Israels in Tel Aviv vom rechtsextremen Jurastudenten Jigal Amir ermordeten Premiers und Friedensnobelpreisträgers Jitzchak Rabin habe so große Hoffnung auf Versöhnung bestanden. Das Motto der Veranstaltung „Ja zum Frieden, Nein zur Gewalt“ wurde in Rabins Blut ertränkt. „Heute sind die Menschen nur noch verbittert.“ Bei allem Verständnis für die armen Menschen im Gazastreifen. „Sie sind Geiseln der Hamas, die sich an die Macht putschten und sie nicht mehr hergeben wollen.“

Imam Maher Khedr lehnt Gewalt aufs Schärfste ab. Foto: Jürgen Herda

Imam Khedr: „Angst regiert, dieses Klima ist nicht normal“

Auch der Weidener Imam Maher Khedr denkt zurück an den hoffnungsvollen Friedensprozess zwischen dem damaligen israelischen Premier Rabin und PLO-Chef Jassir Arafat, den US-Präsident Bill Clinton begleitete. „Damals hatte ich noch die Hoffnung, dass Frieden im Nahen Osten möglich ist, den wir uns als gläubige Muslime wünschen.“ Dass Friede und Freundschaft zwischen Arabern und Israelis möglich sind, hätten die Annäherung Israels an sein Vaterland Ägypten gezeigt: „Heute kommen jedes Jahr 400.000 Touristen, das funktioniert ohne Konflikte.“ Die Zwei-Staaten-Lösung sei damals unterschriftsreif gewesen.

„Die furchtbare Gewalt der Hamas provoziert die Gegengewalt der Israels“, sagt der Imam. „Mein Herz leidet für alle Opfer, egal ob Juden oder Araber.“ Jede Seite müsse etwas nachgeben, auch ein palästinensischer Staat müsse möglich sein. „Der Hass wächst bei jungen Menschen, die in so einer Atmosphäre aufwachsen“, beschreibt Khedr die Lage. „Angst regiert, dieses Klima ist nicht normal, diese Gesellschaft ist nicht normal.“ Der Zünder seien Hass und Rache. „Wir alle müssen Verantwortung übernehmen und diesen Konflikt stoppen.“

Extremisten nutzen die Unwissenheit“

Maher Khedr benennt aber auch klar den Aggressor: „Wir müssen dagegen kämpfen, dass Extremisten wie die Hamas oder der IS die Unwissenheit der Menschen ausnutzen.“ Für den Imam sei das ein politischer und kein religiöser Konflikt: „Es gibt Palästinenser, die einen israelischen Pass haben und in Israel integriert sind.“ Das sei der Hamas ein Dorn im Auge: „Sie verliert dadurch an Macht und will das verhindern.“ Gewalt sei im Islam nur unter einer Bedingung legitim: „Zur unmittelbaren Verteidigung der Familie.“

Der von Terroristen zweckentfremdete Appell, Ungläubige zu töten, entstamme einer historischen Kriegssituation, die für heute so wenig Aussagekraft besitze, wie das biblische „Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ Eindringlich appelliert der islamische Geistliche, der erst kürzlich die zweijährige deutsche Imam-Ausbildung in Osnabrück abschloss, an alle Gläubigen: „Wenn einer erhält jemanden am Leben: es soll sein, als hätte er erhalten die Menschen am Leben, allesamt.“ Umgekehrt wird die Tötung eines Menschen im Koran gewertet, „als hätte er getötet die Menschen, allesamt“ (Koran 5,32).

Menschen nicht nach Religionen bewerten

Der humanistische Imam verwehrt sich dagegen, Menschen nach ihren Religionen zu sortieren: „Moslems, Juden und Christen sind alles Gläubige.“ Und auch Atheisten, solange sie den Glauben nicht gewaltsam bekämpften, könnten beispielsweise Gläubige der Wissenschaft oder Natur sein. Auch wenn der Prophet Mohammed als letzter Prophet ein Alleinstellungsmerkmal im Islam genieße – auch Adam, Abraham, Hiob, Mose und Jesus werden als Vorbilder, Lehrer und Wegweiser gewürdigt.

„Wir glauben an Gott und an das, was uns wurde herabgesandt, und was Abraham wurde herabgesandt, Ismael, Isaak, Jakob und den Stämmen, und was empfingen Mose und Jesus, und was empfingen die Propheten von ihrem Herrn. Nicht unterscheiden wir unter ihnen und Ihm wir sind ergeben.“ (Koran 2, 136). Als Imam bewerte Khedr Menschen nicht nach ihrer Religion, sondern nach ihren Taten: „Ein Verbrecher bleibt ein Verbrecher, auch wenn er Muslim ist.“

Die Vorstandschaft der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit: (sitzend von links) Pfarrer Alfons Forster, Pfarrerin Edith Lang, Werner Friedmann. Stehend von links: Otmar Singer, Constanze Schöner, Franz J. Häring, Andreas Hartung und Astrid Wieland. Bild: Fred Lehner

Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit: Solidarität mit Israel

„75 Jahre Israel – unter diesem Motto steht das Jahr 2023 für die Israelis, für die Freunde Israels und für die Juden in der ganzen Welt. Aber seit acht Tagen ist allen die Freude am Feiern vergangen. Am 7. Oktober, am Schabbat, dem jüdischen Feiertag, am Vortag von Simchat Thora, dem Fest der Freude an der Thora, einem hohen jüdischen Festtag, erfolgte der völlig unerwartete Großangriff der Terrormiliz Hamas aus dem Gazastreifen heraus auf den Süden Israels. Vorher schon waren Hunderte von Raketen in Israel eingeschlagen. Es gab ein Massaker in den Kibbuzim, auf einem Musikfestival und in den Grenzdörfern mit Hunderten von toten Zivilisten.

Die Reaktion Israels blieb nicht aus. Das Land schlug nach einer Schockstarre zurück und verteidigte sich. Da die Hamas ihre Terrorstruktur bewusst in dicht besiedelten Wohngebieten aufgebaut hat, kann die Zivilbevölkerung als Schutzschilde benutzt werden und wird auch dafür benutzt! Das wiederum hat den Tod vieler Zivilisten zufolge. Das ist eine andere Form von Terror. In Israel und im Gazastreifen, dem dicht besiedeltsten Landstrich der Erde, leiden die Menschen.

Verfolgung, Vertreibung, Vernichtung

Als im Jahre 135 nach Christus durch den Bar Kochba Aufstand die jüdische Bevölkerung aus Israel bzw. Palästina vertrieben wurde, verblieb im Land nur noch eine ganz kleine Gruppe von Juden, die den Römern auf deren Landsitzen als Sklaven dienen mussten. Zudem wurde das Land mit römischen Veteranen, Syrern und Phöniziern besiedelt.

Die vertriebenen Juden, die sich daraufhin in Nordafrika vor allem in Europa angesiedelt hatten, erlebten besonders in Europa in all den Jahrhunderten Verfolgung, Vertreibung, Ausgrenzung und Pogrome. Das alles gipfelte in der Nazizeit in der geplanten totalen Vernichtung der Juden mit über sechs Millionen Todesopfern, der sogenannten Shoa oder dem Holocaust.

Von Beginn an ein fast unlösbarer Konflikt

1948, vor 75 Jahren wurde den Juden in Israel, ihrem Ursprungsland, von den Vereinten Nationen eine neue Heimstätte zugesprochen. Das Problem war, dass dort schon eine andere Bevölkerungsgruppe, die Palästinenser, seit Jahrhunderten lebte. Schon mit der Staatsgründung erbte der junge Staat Israel einen fast unlösbaren Konflikt. Noch in der Gründungsnacht, nach der Verlesung der israelischen Unabhängigkeitserklärung erklärten Ägypten, Saudi-Arabien, Jordanien, der Libanon, der Irak und Syrien dem jungen Staat den Krieg.

Von Anfang an musste sich Israel wehren und verteidigen gegen teils übermächtige Nachbarn. Als 1967 der Sechs-Tage-Krieg ausbrach, fühlte sich das an wie der Kampf Davids gegen Goliath im Alten Testament. […] Nach dem Krieg, aus dem Israel als Sieger hervorging, entstanden – nach meinem Wissen – die palästinensische Terrororganisationen, die seitdem in Israel und in der Welt immer wieder Überfälle und Anschläge verüben. Es formierten sich im Gazastreifen 1985 die radikale Hamas und im Libanon 1987 die militante Hisbolllah.

Iran und Katar finanzieren den Terror

Es ist zu befürchten, dass nun im Nahen Osten ein Flächenbrand entsteht. Damals 1967 war nach nur sechs Tagen der Krieg zu Ende. Heute, an diesem Sonntag, dauert er schon länger. Es ist hinreichend bekannt, dass Katar und der Iran diese Terrormilizen unterstützen. Die Hamas und die Hisbollah verfügen über ein großes Arsenal von Raketen. Kriege werden leider immer moderner und gefährlicher geführt.

Wir wissen nicht, wo das alles endet. In Israel und auch im Gazastreifen haben die Menschen Angst. In Israel hat die Bevölkerung Angst vor den weitreichenden Raketen, die aus dem Gazastreifen und aus dem Libanon abgefeuert werden. Und im Gazastreifen haben die Menschen, die von der Hamas als Schutzschilde benutzt werden, Angst vor den Bomben der israelischen Flieger und der Bodenoffensive. Zudem sind sie dort von allen lebenswichtigen Gütern abgeschnitten.

Gedenken am Mahnmal des Holocaust

Deshalb haben wir uns bewusst heute am Mahnmal des Holocaust versammelt, um der vielen Todesopfer zu gedenken. Wir wollen aber auch für den Frieden in der Region beten, damit kein Flächenbrand entsteht, der dann nicht mehr beherrschbar sein wird. Und wir wollen schließlich auch ein Zeichen der Solidarität setzen für Israel, das völlig überraschend von der Terrormiliz Hamas angegriffen wurde. […]

Wir wissen, dass auch auf der palästinensischen Seite unschuldige Menschen in hohem Maße leiden, verletzt und getötet wurden. Die Verantwortung für die aktuelle Eskalation der Gewalt liegt jedoch allein bei der Hamas. Allen, die wirklich Freiheit und Frieden für den Nahen Osten wollen, sagen wir: Beides wird es durch Terror nicht geben. Die Hamas, der islamische Dschihad und die Hisbollah bringen nicht Befreiung und Gerechtigkeit für die Palästinenser, sondern nur noch mehr Gewalt und Blutvergießen. Was Israel jetzt braucht, ist echte internationale Solidarität.“

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