Hammerschlag auf Kopf: Wie wird aus einer ganz normalen Frau eine Täterin?

Weiden/Vohenstrauß. Sommerkleid, Ballerinas und eine hübsche Frisur. Unvorstellbar, dass diese Frau vor neun Monaten quasi in der Gosse lebte. Im Juli 2023 schlug sie einem Saufkumpan mit dem Hammer auf den Kopf.

Landgericht Weiden
Unterbringung in der Psychiatrie oder nicht? Vor dieser Frage steht die Strafkammer des Landgerichts Weiden im Fall einer 38-Jährigen, vertreten durch Anwalt Rouven Colbatz. Foto: Christine Ascherl

Die Tat ereignete sich im Suff und unter dem Eindruck einer psychischen Störung. Heute, neun Monate später, ist die 38-Jährige nicht wiederzuerkennen. Seither befindet sie sich in einer Klinik für forensische Psychiatrie. Sie ist medikamentös eingestellt. Sie nimmt an Arbeitstherapie und psychologischen Sitzungen teil. Die Bilanz der betreuenden Psychologin: „Keine Konflikte, keine Regelverstöße, beginnende Krankheitseinsicht.“

Fazit des zweiten Verhandlungstages am Donnerstag: Für die Unterbringung nach Paragraph 63 wird es eng. Diese hatte die Staatsanwaltschaft, vertreten durch Staatsanwalt Matthias Biehler, beantragt. Die 1. Strafkammer mit den Richtern Peter Werner, Matthias Bauer und Florian Bauer wird ihre Entscheidung am Freitag, 10. Mai, 9 Uhr, verkünden. Alternative wäre die Entlassung in ein überwachtes „ambulantes Setting“ – mit allen Unwägbarkeiten.

Früher völlig normal: Abitur und Meisterprüfung, Ehe und Kinder

Selbst Sachverständiger Dr. Johannes Schwerdtner muss am Donnerstag zugeben: Seine Einschätzung vom Herbst 2023 kann er nicht halten. „Der Befund ist deutlich anders.“ Eine höhere Wahrscheinlichkeit schwerer Taten könne er heute nicht mehr begründen. Nur eine „abstrakte Gefahr, aus der Erfahrung der Vergangenheit“.

Die Frau ist seit 2018 über ein Dutzend Mal in bayerischen Bezirkskrankenhäusern behandelt worden. Letzte Diagnose: eine schizoaffektive Störung mit Wahnvorstellungen. Immer wurde sie innerhalb weniger Wochen nach Entlassung rückfällig. Dabei hat die 38-Jährige Abitur. Sie hat eine Meisterprüfung abgelegt. In einer früheren Ehe in München hat sie drei Kinder bekommen. Knackpunkt in ihrem Leben war der Tod des Vaters. Seither ging es steil bergab. Ihre Ehe ging auseinander, sie verlor die Kinder, die beim Vater blieben.

Immer wieder Vergewaltigungen angezeigt

Die letzten Jahre lebte sie mit einem stadtbekannten Alkoholiker in Vohenstrauß zusammen. Höchst aggressiv und stark alkoholisiert – so kennen sie die Beamten der Inspektion. Ihre Haarprobe: ein Desaster. Innerhalb der letzten zwölf Monate vor der Tat nahm sie einen Medikamentencocktail von Tilidin, Benzo-Diazepinen („Benzos“), vier verschiedenen Antidepressiva, Antipsychotika und Schlafmitteln ein.

Zur Tatzeit hatte sie zwei Promille und bildete sich ein, von dem Bekannten sexuell angefasst worden zu sein. Auch das ist nicht neu: In der Vergangenheit hatte sie bei der Polizei x Vergewaltigungen angezeigt, für die es keine Anhaltspunkte gibt. Möglicherweise ist dies Teil wahnhafter Vorstellungen.

Staatsanwalt Matthias Biehler plädiert für den unbefristeten Aufenthalt in einem psychiatrischen Krankenhaus. Die Frau und ihr damaliger Lebensgefährte hätten die Polizei Vohenstrauß die letzten Jahre massiv beschäftigt. Der Hammerschlag war Höhepunkt einer ganzen Serie von Straftaten: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Körperverletzung, Beleidigung, Verleumdung, Betrug, Diebstahl …

Verteidiger: „Es zählt das Jetzt“

Anders sieht das Verteidiger Rouven Colbatz. Die Voraussetzungen für den „63er“ („schärfstes Schwert des deutschen Strafrechts“) lägen nicht vor. „Es zählt das Jetzt. Nicht der Stand von vor neun Monaten.“ Seine Mandantin sei medikamentös sehr gut eingestellt.

Im letzten Wort bekräftigt die 38-Jährige, die Krankheit einzusehen und ihre Medikamente zu nehmen. „Auch die Sache mit dem Alkohol ist für mich abgeschlossen. Das war eine schlimme Zeit, ich bin froh, dass ich da raus bin.“ Sie wolle schon deshalb gesund bleiben, um den Kontakt zu ihren Kindern wieder herstellen zu können. „Ich fühle mich endlich wieder wohl.“

Lebensgefährte inzwischen in Haft

Ihr Ex-Lebensgefährte befindet sich seit einigen Tagen in Haft. Ihm wird eine Falschaussage am ersten Prozesstag vorgeworfen. Da hatte er sich als „Verlobter“ bezeichnet und von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Nur verflixt: Er hatte im Gericht seine neue Freundin dabei.

Der 42-Jährige stand bei seiner Aussage zudem sichtlich unter Alkohol. Er hatte um 10 Uhr morgens nach eigenen Angaben eine halbe Wodka intus. Das ist bei der Weidener Justiz auch nicht neu: Der 42-Jährige hatte im Mai 2023 als Angeklagter vor dem Amtsgericht eine Flasche „Coca-Cola“ unter dem Tisch stehen – versetzt mit Schnaps, wie sich herausstelle. Er war damals wegen Trunkenheitsfahrten auf dem Fahrrad zu einem Jahr Haft ohne Bewährung verurteilt worden. Die Berufung ist inzwischen verworfen.

Beweismittel auf Facebook gepostet

Sehr aufschlussreich waren die letzten Beweismittel vom Donnerstag. Die 38-Jährige und ihr 42-jähriger Partner hatten Fotos und Videos vom geschlagenen Bekannten gemacht. Ein Bild zeigt den 40-Jährigen aus dem Landkreis Tirschenreuth schlafend mit blutigem Poloshirt. In seinem Mund steckt ein Hamburger. Der Lebensgefährte postete das Foto auf Facebook. Unterschrift: „Wer meine Frau anmacht, kriegt ins Maul.“ In einem Video wird er von der Beschuldigten angefeuert: „Hau rein, gib’s ihm.“

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