Jahn in Liga 3: Sandhausen blamiert Regensburg bis auf die Knochen

Sandhausen. Vor dem Spiel fragten wir: Bekommt der SSV Jahn nach dem 1:3 gegen Essen jetzt das Nervenflattern? Nach der 3:6-Klatsche in Sandhausen muss man leider feststellen: Es kam schlimmer. Regensburg verspielt eine 3:0-Führung. Der Anfang vom Ende der Aufstiegsträume?

Jahn-Trainer Joe Enochs schaut nach dem 3:6 in Sandhausen in bedröppelte Gesichter. Foto: jrh

Die ersten 11 Minuten kann mich sich nur die Augen reiben: Drei Standards für den SSV Jahn, drei Tore. Andi Geipls Freistoß wird per Kopf auf Noah Ganaus verlängert, der schlenzt ein, 0:1 (3.). Niclas Anspach dreht einen Eckstoß von links auf den ersten Pfosten, Christian Viet köpft unbedrängt in die Maschen, 0:2 (8.). Und noch einmal legt sich Regensburgs Kapitän den Ball für einen Freistoß zurecht: Dominik Kother köpft mühelos zum 0:3 (11.) ein, Wahnsinn!

Hier scheint heute alles möglich für den Tabellenführer, eine Retourkutsche für das dominante 7:2 von Verfolger Dynamo Dresden gegen Lübeck? Erinnerungen an den 5:0-Triumph beim HSV werden wach. Von wegen! Triumph und Schmach können so nahe beieinanderliegen.

Sandhausen trifft mit der ersten Offensivaktion: Die Regensburger Abwehr begleitet Luca Zander auf der rechten Seite freundlich bis zu dessen Flanke mit seltsamer Flugbahn, die Kugel fliegt Patrick Greil auf den Kopf, von dort findet die Bogenlampe das lange Eck, 1:3 (13.). Noch denkt man an einen Schönheitsfehler.

Wie gewonnen, so zerronnen

Aber nicht lange. Nur zwei Minuten später, Ecke von rechts, Ben Balla springt am höchsten, der größere Florian Ballas schaut zu, schon wieder zappelt die Kugel im Netz, 2:3 (15.). Regensburg ist jetzt verunsichert, nach vorne geht gar nichts mehr. Der Ausgleich liegt in der Luft. Immerhin: Die Sandhäuser lassen sich gute 20 Minuten Zeit, um auch das noch vor der Pause zu erledigen.

Dem Ballgewinn – erneut auf Bene Sallers rechten Abwehrseite – geht zwar ein klares Foul voraus, das der auf beiden Seiten großzügige Schiedsrichter Florian Badstübner genauso übersieht wie der Linienrichter. Die Flanke verlängert Greil per Absatz, den schwer anzunehmenden Ball legt sich Livan Burcu mit eleganter Drehung zurecht und netzt unhaltbar für den bis dahin völlig unschuldigen Jahn-Schlussmann Alexander Weidinger rechts unten ein, 3:3 (38.).

Nur zu Beginn darf auch der SSV Jahn in Sandhausen jubeln. Foto: jrh

Von wegen bester Abwehr

So zufällig wie die 3:0-Führung zustande kommt, so aus dem Nichts zerrinnt sie den Oberpfälzern zwischen den Fingern: Sie bekommen das Spiel nicht mehr in den Griff. Von wegen bester Abwehr der Liga: Jede Flanke verursacht Herzflattern. Zweikämpfe kommen schon deshalb nicht mehr zustande, weil die Regensburger viel zu weit von ihren Gegenspielern weg sind. Die Gastgeber wirken in dieser Phase gedankenschneller, quirliger, entschlossener. Man hofft auf den Halbzeitpfiff nach quälend langen 50 Minuten.

Natürlich muss Jahn-Trainer Joe Enochs reagieren: Er nimmt Rasim Bulic und Niclas Anspach aus dem Spiel – weniger, weil sie sich mehr Fehler als andere geleistet hätten. Viel mehr wegen ihrer beiden Gelben Karten. „Mir geht’s darum, der Mannschaft zu helfen“, verneint er die Frage, ob es in der Kabine ein Donnerwetter gegeben hat. „Wir wollen zwei Jungs, die eine Gelbe Karte bekommen haben, schützen, deshalb wechseln wir die aus.“ Beide seien ganz wichtige Spieler für den Jahn: „Wir wollen lieber, dass sie 90 Minuten auf dem Platz sind.“

Sechs Richtige: Das halbe Dutzend kann der SV Sandhausen gegen Regensburgs ehemals beste Abwehr der Liga vollmachen. Foto: jrh

Weidingers erster Kapitalbock

Die Veränderungen scheinen zunächst zu greifen. Nicht etwa, weil Robin Ziegele und Elias Huth sofort eingeschlagen hätten. Vielmehr scheinen sich die Sandhäuser treu zu bleiben und in Hälfte zwei wie bei den vergangenen drei Remis einen Gang zurückzuschalten. Wenn auf beiden Seiten wenig Produktives zustande kommt, muss eben ein kapitaler Bock her, um dem Spiel abermals eine Wendung zu geben. Zum ersten Mal, seit er den verletzten Stammkeeper Felix Gebhardt vertritt, unterläuft dem armen Weidinger ein folgenschwerer Fehler: Ballas lässt einen Ball durchlaufen, Weidinger will die Kugel auf die linke Seite spielen, Greil lauert auf den zu laxen Pass, klaut sich die Kugel und schlenzt am rücklaufenden Weidinger vorbei aus gut 20 Metern zum 4:3 (60.) ein.

Anschließend wehrt sich der Jahn redlich, hat auch einige gute Gelegenheiten, sich das Duell noch einmal zurechtzulegen. Kother legt rechts raus zu Konrad Faber, der nur einen Gegenspieler in der Nähe sieht – aber anstatt einen Schritt weiter in die Mitte zu machen, drischt er aus spitzem Winkel drauf. Nikolai Rehnen pariert mit beiden Fäusten zur Ecke (64.). Dann schaltet sich Louis Breunig in die Offensive ein, lässt einen Schwarzweißen stehen, flankt auf den Fünfer, wo Elias Huth Richtung Kugel fliegt und knapp daneben köpft (65.).

Spiel gedreht: Patrick Greil nutzt Alex Weidingers Bock zur 4:3 Führung. Foto: jrh

Auch das noch: Ausgerechnet Otto

Das muss man neidlos anerkennen: Sandhausen macht es besser. Ohne ein Feuerwerk abzufackeln, nachdem das Ergebnis klingt, verwerten die Gastgeber ihre Konter schnörkellos: Abwehrmann Christoph Ehlich ist bei seinem Vorstoß auf der rechten Seite nicht zu stoppen, flankt knapp am Fuß des letzten Regensburgers vorbei nach innen, Weidinger zu unentschlossen, Burcu drückt die Kugel über die Linie, 5:3 (68.).

Und um die Blamage vollständig zu machen, schickt dann SVS-Coach Jens Keller auch noch den, beim Jahn früher eher glücklosen David Otto ins Getümmel. Der für Regensburg eingewechselte Tobias Eisenhuth trifft den Ex-Regensburger im Strafraum unglücklich am Spann, Schiri Badstübner zeigt auf den Punkt. Otto verlädt Weidinger und netzt rechts unten ein, 6:3 (82.). Und die Sandhäuser haben wenig Probleme, diesen satten 3-Tore-Vorsprung über die 95 Minuten zu retten.

Ex-Regensburger David Otto mach für Sandhausen per Elfer den Deckel drauf. Foto: jrh

Der Trend ist nicht Regensburgs „Friend“

Das sitzt: Auch wenn sich Kapitän Andi Geipl, mit Abstand der beste Regensburger an diesem erneut gebrauchten Tag, und Jahn-Trainer Joe Enochs in ihren Stellungnahmen (Info-Kasten) redlich um Schadensbegrenzung bemühen – zwei deftige Niederlagen in Folge mit neun Gegentoren, zum Teil hilflosem Kick-and-Rush, hinten kratertiefe Löcher in der Abwehr, außer in den ersten Minuten wenig zu spüren vom aggressiven Pressing. Der Trend geht eindeutig in die falsche Richtung. Hatte man zu Beginn der Saison und während der Siegesserie noch den Eindruck: Hier kann was Großes entstehen, tut man sich inzwischen schwer, seit dem überzeugenden Sieg in Ingolstadt – lang, lang ist’s her – eine Weiterentwicklung festzustellen.

Und natürlich gewinnt auch der SSV Ulm das Verfolgerduell in Essen, festigt Rang drei, rückt Dynamo Dresden auf die Pelle und verkürzt den Abstand zum SSV Jahn auf fünf Punkte. Die Oberpfälzer müssen nächsten Samstag, 14 Uhr, gegen Erzgebirge Aue ihren Negativtrend stoppen – und gleichzeitig hoffen, dass eben diese Veilchen-Bergmänner am Sonntag im Sachsen-Derby dem mächtig aufgedrehtem Dynamo Paroli bieten können.

SVS-Coach Jens Keller kann sein Glück beim 6:3 gegen den Spitzenreiter kaum fassen. Foto: jrh

Stimmen zum Spiel

Jahn-Trainer Joe Enochs: „So was habe ich schon mal erlebt“, hat der Coach ein Déjà-Vue. „Dass man in der ersten Phase wirklich gut ist, mit drei Standardsituationen, drei Tore macht, und dann halt Sandhausen zu schnell wieder ins Spiel kommen lässt.“ Man habe ja gewusst, dass der SVS qualitativ eine sehr gute Mannschaft habe. „Das 3:1 ist zu früh gekommen, beim 3:2 haben wir nicht besonders gut verteidigt und beim 3:3 ist es ein Geschenk, das war ganz klar Foulspiel davor.“ Dann wollte man in der zweiten Halbzeit wie bei einem 0:0 von vorne beginnen. „Wir waren auch gut im Spiel, dann machen wir einen Fehler, der zum 4:3 führt, und dann ist es schwer zurückzukommen.“ Den erneuten Rückschlag habe man nicht wegstecken können.

„Ich bin sauer auf die Situationen, nicht auf meine Mannschaft“, nimmt er die Spieler in Schutz. „Wir haben gesehen, dass wir wenig Zugriff gehabt haben. Deshalb haben wir die Grundordnung ein wenig verändert. Das hat gut funktioniert bis zum Gegentor, danach haben wir ein bisschen den Faden verloren.“ Zu seiner Gelben Karte am Ende des Spiels sagt er: „Ich habe immer mit dem vierten Schiedsrichter ein gutes Verhältnis gehabt, in meiner Laufbahn vier Gelbe Karten bekommen – heute habe ich eine Gelbe Karte bekommen, weil ich über die Bande gestolpert bin und dann gegen die Bande getreten habe.“ Er dürfe halt keine Emotion zeigen: „Deshalb nehme ich es hin.“

SVS-Trainer Jens Keller: „Ich bin ja schon ein paar Wochen im Fußballgeschäft“, sucht er nach vergleichbar verrückten Spielen. Das Einzige, das ihm einfällt: „Dass wir mal mit Eintracht Frankfurt in der 81. Minute 1:3 zurücklagen und noch 6:3 gewonnen haben und dann aufgestiegen sind.“ Aber nach der 11. Minute 0:3 zurückzuliegen und so zurückkommen, sei ihm noch nicht untergekommen. „Vor allem die Art und Weise, wie wir dann Fußball gespielt haben, mit Mut und voller Selbstbewusstsein – wo die Jungs das hergeholt haben nach dem 0:3, weiß ich nicht.“

Dabei habe man auch zuvor bei den frühen Gegentoren nicht viel zugelassen: „Es waren ja drei Standardsituationen, es war ja nicht so, dass Regensburg uns ausgespielt hat.“ Die habe man eben schlecht verteidigt. „Wir sind aber mutig geblieben und haben Fußball gespielt und haben auch hoch verdient auch in dieser Höhe das Spiel noch so gedreht.“ Man habe immer gesagt: „Wir sind da, wir wollen dahin.“ Insofern sei das heute ein ganz wichtiges Spiel für die Moral gewesen: „Wir haben drei Spiele 1:1 gespielt, wobei wir gewinnen hätten können. Dass wir so gegen den Tabellenführer zurückkommen, zeigt, was das für eine geile Truppe ist.“ Und der habe er für morgen frei gegeben.

Jahn-Kapitän Andi Geipl: „Das ist typisch Fußball“, relativiert er den kuriosen Spielverlauf. „Wir kommen super in die Begegnung rein, machen durch drei Standards drei Tore, kriegen dann viel zu schnell das 3:1 und das 3:2 – bei dem 3:3, ich weiß nicht, für mich ist das ein Foul vorher.“ Dann gehe man in die Halbzeit, komme wieder gut rein in die Partie, mache dann hinten einen Fehler und bekomme so das 4:3. „Dann haben wir Chancen und sind hinten zu offen, weil wir nach vorne spielen, weil das auch unser Spielstil ist und bekommen dann auch noch das 5:3 und das 6:3 – über den Elfmeter will ich keine Worte verlieren.“

Nach der Pause habe es nur zwei Möglichkeiten gegeben: „Entweder man sagt, wir haben 3:0 geführt, jetzt steht es 3:3 – oder man sagt, es steht unentschieden, und wir hauen jetzt einfach alles raus.“ Das habe man versucht bis zum Slapstick-4:3. „Die Gegentore, die wir kriegen, sind einfach zu viel, gerade die letzten zwei Spiele, gegen Essen und Sandhausen 9 Gegentore, da müssen wir einfach schauen, dass wir in der Defensive wieder stabiler werden.“ Natürlich werde man das aufarbeiten: „Da muss jeder vor der eigenen Haustür kehren und an sich selber arbeiten, und wir als Mannschaft daran arbeiten, dass wir wieder in die Spur finden.“ Umhauen lassen werde man sich davon nicht.

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