Patientin gilt als hirntot: Familie wehrt sich gegen Abschalten

Weiden. Seit September gilt eine Patientin im Klinikum Weiden aus ärztlicher Sicht als hirntot. Dazu liegen zwei Gutachten vor. Aber ihre Familie verhindert, dass die Maschinen abgeschaltet werden – mit allen juristischen Möglichkeiten.

Landgericht Weiden Zivilkammer
Keine leichte Entscheidung: Die 2. Zivilkammer mit den Richtern Franziska Attenberger, Landgerichtspräsident Josef Weidensteiner und Magdalena Stahl muss ein Urteil fällen, ob die Behandlung einer als hirntot geltender Patientin weitergeführt wird. Foto: Christine Ascherl

Am Dienstag verhandelt die zweite Zivilkammer am Landgericht Weiden in dieser Sache. Die schwere Entscheidung verteilt sich damit auf drei Paar Schultern: Den Vorsitz hat Landgerichtspräsident Josef Weidensteiner, ihm zur Seite sitzen die Richterinnen Franziska Attenberger und Magdalena Stahl.

In erster Instanz hatte Amtsrichterin Sabine Nickl im Oktober vorläufig die Fortführung lebenserhaltender Maßnahmen angeordnet. Eine Tumortherapie musste wieder aufgenommen werden. Zu diesem Zeitpunkt lag erst ein ärztliches Gutachten vor. Gegen diese einstweilige Verfügung der Richterin hat das Klinikum Berufung eingelegt. Es will die Patientin nicht länger behandeln.

Um es vorwegzunehmen: Dieser Einspruch wird von der Berufungskammer am Dienstag abgewiesen. Das bedeutet: Die Frau (57) „lebt“ zunächst weiter. Eine finale Entscheidung wird erst im Hauptsacheverfahren getroffen. Ein Termin steht noch nicht fest.

„Hohe emotionale Belastung“ für alle Beteiligten

Landgerichtspräsident Weidensteiner schickt am Dienstag voraus, dass der Fall mit „hohen emotionalen Belastungen“ für alle verbunden ist. Auf der einen Seite stehen der merklich verzweifelte Ehemann mit den beiden erwachsenen Söhnen. Auf der anderen Seite steht das Klinikpersonal der Intensivstation, das eine vermutliche Hirntote versorgen muss. „Es ist ein Sachverhalt, der ethische Fragen aufwirft und die Kammer nicht unberührt lässt.“

Es habe „viele Scherben“ gegeben, sagt der Landgerichtspräsident. In der Klinik sei es schon im Vorfeld der Hirntodesfeststellung zu „heftigsten Auseinandersetzungen“ gekommen, sagt Klinik-Anwalt Dr. Philip Schelling. Aktuell hat der Ehemann nach Auskunft von Klinik-Justiziarin Christa Kraemer Hausverbot. Er hat zudem Strafanzeige erstattet. Die Verhandlung hört sich auch ein Kriminalbeamter des Kommissariats 1 (Tötungsdelikte) der Kripo Weiden an. Zwei Wachtmeister sind im Sitzungssaal.

Tumore im Kopf

Die Vorgeschichte: Die Frau leidet an einer fortgeschrittenen Krebserkrankung mit Tumoren im Kopf. Ihr Gehirn schwoll in der Folge an. Eine CTA (computertomografische Untersuchung der Blutgefäße) ergab am 31. August kaum noch Blutzufuhr ins Gehirn. Am 29. September ergab das EEG eine Nulllinie (keine Gehirnaktivität).

Ein Arzt stellte offiziell den Hirntod fest. Dafür müssen Kriterien nach einer Richtlinie der Bundesärztekammer erfüllt sein. Schon dazu holte das Klinikum Weiden einen Oberarzt der Neurologie in Bamberg nach Weiden, um „unangreifbar zu sein“, so der Anwalt. Die Familie zweifelt dieses Ergebnis dennoch an: Zum einen wegen dämpfender Medikamente (Valproinsäure), zum anderen aufgrund von Bewegungen der Frau.

Transport nach Hause nicht umsetzbar

Auch eine Verlegung der Frau nach Hause in den Landkreis Schwandorf sei schon diskutiert worden, sagt der Klinik-Anwalt. Problem: Die Patientin sei beatmungspflichtig und müsste daher in einem Rettungswagen transportiert werden. „Im Rettungswagen ist es aber nach dem Gesetz verboten, hirntote Patienten zu transportieren.“

Am 21. Oktober zog das Klinikum einen zweiten externen Arzt hinzu. Prof. Dr. Frank Erbguth war über 20 Jahre Chef der Neurologie am Klinikum Nürnberg. Der Ehemann wurde über diese Untersuchung nicht informiert. Diese sei „hinterrücks“ erfolgt, sagt die Anwältin. Auch Erbguth kam zu dem Schluss: Die Patientin ist hirntot. „Zweifelsfrei“, wie er vor Gericht wiederholt: „Es liegt ein Maß an Gewissheit vor, das Zweifeln Schweigen gebietet und sie sogar völlig ausschließt.“

Sohn berichtet von Bewegungen und Zucken

Der Ehemann glaubt ihm nicht. Der Mann aus dem Landkreis Schwandorf hat sich in die Materie eingelesen. Er hat inzwischen Fachleute bis in den USA kontaktiert. Er zitiert eine argentinische Studie. Vor der Verhandlung telefonierte er mit dem bekannten Medizinrechtler Rainer Beckmann (Autor eines Beitrags „Hirntod = wirklich tot?“). Man hat den Eindruck, er klammert sich an jeden Strohhalm.

Sein Sohn (31) bestätigt als Zeuge die Bewegungen der Mutter. „Sanft, aber deutlich“, sagt er. „Gestern habe ich ihre Hand gehalten und sie hat den Kopf langsam hin und her bewegt.“ Der Sohn ist Wissenschaftler, er promoviert gerade. Er schildert eine Bewegung des Fingers, ein Zucken der Schultern. Einmal habe sie die Augen zusammengekniffen, als er ihr über den schmerzenden Bauch strich. Sein Vater sagt unter Tränen: „Ich habe sie an der Wange angefasst, da hat sie sich bewegt.“

Lazarus-Phänomen

Aus Sicht des Neurologen Dr. Erbguth sind zumindest alle Bewegungen abwärts der Kinnkante „spinal erklärbar“. Auch bei seiner Untersuchung hat er Bewegungen bei der Patientin registriert. Er hält sie für typisch. Wenn das Gehirn ausfalle, übernähme das Rückenmark. „Wenn der obere Chef zugrunde geht, machen die unteren Instanzen, was sie wollen.“ Der Neurologe hat sich viel mit dem „Lazarus-Phänomen“ beschäftigt: „Ich verstehe jeden Angehörigen, der den Todesbegriff mit so einem Geschehen schwer in Übereinstimmung bringen kann.“

Für ihn sind die spontanen Bewegungen aber Beweis für den Hirntod. Der Mensch reagiere wie „innerlich geköpft“. Früher hätten Studenten zum Beweis dafür „Mäuse geköpft, die weiterliefen“. Der „Restleib“ werde durch intensivmedizinische Behandlung und Beatmung aufrechterhalten. Theoretisch könne sogar ein kopfloser Mensch an einer Herz-Lungen-Maschine überleben: „Der Körper lebt weiter, und er zuckt auch.“

Ehemann: „Wir werden gefoltert!“

So drastisch die Worte des Neurologen, so wenig überzeugen sie den Ehemann. Nach Aussage der Anwältin Alexandra Glufke-Böhm ist der einzige Wunsch der Familie Klarheit. „Sie können nicht trauern, weil sie nicht wissen, ob die Frau und Mutter tot ist.“

Der Ehemann ergreift mehrmals das Wort und wird emotional, kassiert einige Rügen. Man müsse sich „diesem zermürbenden Verfahren“ aussetzen: „Das Ableben meiner Frau, dem können wir uns nicht widmen. Das ist grausamst.“ Er fordert eine weitere Untersuchung durch einen unabhängigen Sachverständigen: „Wir werden gefoltert. Zwei Monate kämpfen wir für die Untersuchung, dass die noch gemacht wird. Mit allen Mitteln.“

Möglicherweise läuft es nun genau auf das hinaus. In dem bevorstehenden Hauptsacheverfahren könnte das Gericht einen eigenen Gutachter benennen. Zuständig wäre dann die 1. Zivilkammer. Einen Termin gibt es noch nicht. L

Die Entscheidung ist damit aufgeschoben. Die Patientin „lebt“ damit zunächst weiter. Und Ärzte und Pfleger müssen weiterhin eine möglicherweise Hirntote behandeln.

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9 Kommentare

M. Fleischmann - 13.12.2023

@Peter Müller. Eigentlich müsste Prof. Erbguth, aufgrund seiner Expertise als geeignet angesehen werden. Wenn dieser aber in so einem wichtigen Gutachten, den wichtigsten Fakt im Hinblick auf die Anwendung der Richtlinie für Hirntodesfeststellung 4-mal vollständig ausblendet und dadurch zu einem gegenteiligen Ergebnis, sprich Hirntod kommt, dann frage ich mich, warum macht er das?

Peter Müller - 07.12.2023

@ Silvia Matthies: Soweit ich das hier verstehe, wurde die Diagnostik von Prof. Erbguth aus Nürnberg durchgeführt. Zweifel an seiner Eignung sollten hier also nicht bestehen.

Silvia Matthies - 06.12.2023

@Peter Müller. Deshalb müssen die Ärzte aber noch lange nicht speziell für die komplexe, komplizierte Hirntoddiagnostik mit all ihren Fallstricken zertifiziert sein. Oder nachweisen, dass sie diese Diagnostik schon einmal durchgeführt haben. Soweit ich weiß, reicht für den Facharztnachweis ein Jahr als Assistenzarzt auf einer Intensivstation und ein Jahr als Facharzt gearbeitet zu haben. Die Mediziner bescheinigen sich die Kompetenz für die Diagnostik selbst. Ob sie diese schon einmal durchgeführt haben, spielt keine Rolle. Wenn Sie in der neuesten BÄK-Richtlinie strengere Voraussetzungen gefunden haben, bitte ich um einen Beleg. Ansonsten ist hochinteresssant, was der ehemalige Präsident der Leitenden Krankenhausärzte und ein Tranplantationsmediziner an der Richtlinie von 2015 scharf kritisieren. Weiser/Gubernatis: Die neue Richtlinie zur Hirntoddiagnostik- persönliche Risiken und Fallstricke für beteiligte Ärzte. Arzt und Krankenhaus, 7/2015, S. 229 ff

M. Fleischmann - 30.11.2023

Sehr geehrter Herr Peter Müller, danke für Ihren Beitrag. Denn das ist genau der Punkt. Die Ärzte haben bei der Hirntodesfeststellung die Richtlinie nicht befolgt und das ist das Schlimme an der Sache. Sie versuchen nun, sich fadenscheinig aus der Affäre zu ziehen. Man darf hierbei nicht vergessen, dass eine massive Falschbehandlung im Raum steht, welche diese oftmals tödliche Hirnschwellung laut Fachinformation hervorruft. Eine Anzeige bei der Kripo wurde getätigt. Prof. Erbguth hat meines Erachtens ein schwerwiegendes Falschgutachten abgegeben. Er hat den wesentlichsten Fakt einfach in seinem Gutachten, mindestens viermal komplett ausgeblendet. Solch ein Verhalten ist der wichtigen Sache der Organtransplantation nicht dienlich. Es wird jetzt, mit all den erdenklichen Mitteln versucht, die Sache herunterzuspielen und dadurch leichter zu vertuschen. Die Wahrheit kommt ans Licht, es ist nur eine Frage der Zeit.

Peter Müller - 29.11.2023

@ Matthies, Silvia „….Die den irreversiblen Hirnfunktionsausfall in der Intensivmedizin feststellenden und protokollierenden Ärzte müssen Fachärzte sein und über eine mehrjährige Erfahrung in der Intensivbehandlung von Patienten mit akuten schweren Hirnschädigungen verfügen. Sie müssen die Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten besitzen, um die Indikation zur Diagnostik des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls zu prüfen, die klinischen Untersuchungen durchzuführen und die Ergebnisse der angewandten apparativen Zusatzdiagnostik im Kontext der hier beschriebenen diagnostischen Maßnahmen beurteilen zu können….“ https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/BAEK/Themen/Medizin_und_Ethik/RichtlinieIHA_FuenfteFortschreibung.pdf

Matthies, Silvia - 27.11.2023

@ Hoffmannr Wie kommen Sie auf folgende Aussage, Zitat: “Der Hirntod gilt als bestätigt,wenn 2 in der Untersuchung erfahrene Ärzte,darunter ein Neurologe,jeweils nach einem bestimmten Zeitintervall den Hirntod diagnostizieren”. Für die Hirntoddiagnostik gibt es bisher keine Zertifizierung. Sie kann also auch von Ärzten vorgenommen werden, die die Diagnostik noch nie gemacht haben. Sie müssen lediglich ein Jahr als Assistenzarzt und ein Jahr als Facharzt auf einer entsprechenden Station gearbeitet haben. Kritisiert wird das z. B. in dem Publikationsorgan der Leitenden Krankenhausärzte. Weiser, Gubernatis: Die neue Richtlinie zur Hirntoddiagnostik- Risiken und Fallstricke für beteiligte Ärzte. Arzt und Krankenhaus 7/2015, S. 229 ff

Silvia Matthies - 27.11.2023

In den USA laufen bereits Dutzende solcher Verfahren. Es geht um Grundsatzfragen. Darf ohne Einwilligung der Patienten oder seiner Angehörigen (Vorsorgebevollmächtigten) eine Hirntoduntersuchung gemacht werden? Immerhin behinhaltet die Hirntoddiagnostik den sog. Apnoe-Test, der prüft, ob die Eigenatmung noch funktioniert. Dieser Test ist nicht ganz ungefährlich und wird in der US-Fachliteratur von einigen Wissenschaftlern auch als “selffulfilling prophecy” bezeichnet. In meiner ARD-Dokumentation: Wer bestimmt am Lebensende? (ARD 2013) geht es auch um einen Fall, in dem die Angehörigen das Abstellen der Beatmung trotz Hirntoddiagnose verweigert haben. Allerdings fehlte in der Patientenakte der Irreversiblitätsnachweis. Warum auch immer. Der Beitrag ist noch auf youtube zu finden.

Hofmannr - 23.11.2023

Ich frage mich hier ,wie so ein Urteil möglich ist.Der Hirntod gilt als bestätigt,wenn 2 in der Untersuchung erfahrene Ärzte,darunter 1 Neurologe,jeweils nach einem bestimmten Zeitintervall den Hirntod diagnostizieren oder von der Bundesärztekammer anerkannte apparative Untersuchungen zur Diagnose angewendet werden.Beides liegt hier vor. Die Diagnose endet mit der Ausstellung einer Todesbescheinigung,der Abmeldung vom Einwohnermeldeamt und dem Erlöschen der Krankenversicherung.Eine Fehldiagnose bzgl. Hirntod ist bisher noch nicht beschrieben worden. Werden jetzt die hier den Hirntod festellenden Ärzte wegen einer Fehldiagnose verklagt(die hier ,so wie es aussieht sicher ,nicht vorliegt)oder wer bezahlt die Behandlung bei vorliegender Hirntoddiagnose,insbesondere dann ,wenn in zukünftigen Verfahren dem ursprünglichem Sachverhalt stattgegeben werden sollte.Oder handelt es sich dann lediglich um eine richterliche Fehldiagnose ohne Haftungsrelevanz?

Helmut Faulhaber - 22.11.2023

Für mich ist das Verhalten der Familie Egoismus in seiner reinsten Form an die Frau denkt hier keiner