US-Prozess um totes Baby: Mutter stundenlang im Kreuzverhör

Vilseck/Weiden. Die 31 Jahre alte Mutter eines im März 2022 in Vilseck verstorbenen Babys sagt am Mittwoch vor dem US-Militärgericht aus. Der Vater des Kindes, ein US-Soldat (29), ist des Mordes an dem Buben angeklagt.

Das Militärgericht in Vilseck. Hier sagte am Mittwoch die Mutter des verstorbenen Babys aus. Foto: Christine Ascherl

Die Verteidiger des Amerikaners nehmen die deutsche Arzthelferin stundenlang ins Kreuzverhör. Sie möchte keinen Übersetzer, macht ihre Angaben auf Englisch. Haben Sie jemals Ihr Kind verletzt? “No.” Haben Sie Ihr Kind getötet? “No.” Haben Sie in der Nacht etwas gehört? Schläge? Schreie? Das Baby? No, no, no, no.

Die Staatsanwaltschaft befragt die junge Frau zur Ehe und Elternschaft mit dem Sergeant. Das Paar heiratete 2021. Sie habe sich über die Schwangerschaft gefreut. “Ich wollte immer Mutter sein.” Die Schwangerschaft war dann nicht einfach. Das Baby kam im Oktober 2021 zur Welt. Das Neugeborene schrie viel, schon früh musste es für eine Operation ins Klinikum. Er habe sich wenig gekümmert, seine Frau betrogen.

Mutter: Schon früher Verletzungen bemerkt

Bereits im Februar 2022 seien ihr Verletzungen aufgefallen, als sie nach einem mehrstündigen Arztbesuch nach Hause kam. Der Vater hatte sich in dieser Zeit um das Baby gekümmert. Die Frau fotografierte die Blessuren mit dem Smartphone. Die Fotos werden auf den Bildschirmen des Gerichts gezeigt. Der Säugling hat Kratzer, auf einem anderen Foto hat er ein blaues Auge.

Als sie die Tatnacht im März 2022 schildert, fließen Tränen. Der Zeugin wird eine Box mit Papiertaschentüchern gereicht. Sie sei um 18 Uhr von einem Besuch bei ihrer Familie heimgekehrt, habe das Baby gewickelt und schlafen gelegt, dann selbst gekocht, gegen 21 Uhr gegessen. Die Stunden bis Mitternacht habe sie mit dem schlafenden Kind im Schlafzimmer verbracht und Videogames gespielt. Als das Baby quengelte, bat sie ihren Mann, es zu füttern. Er sollte mehr Zeit mit dem Sohn verbringen und habe ihn auch bereitwillig übernommen, um im Wohnzimmer das Fläschchen zu geben.

Aussage: Nichts gesehen, nichts gehört

Sie habe sich hingelegt. Das Nächste, an das sie sich erinnere, sei, dass der Kindsvater zur Tür hereinkam und sagte: “There is something wrong.” Sie wisse nicht, was sich zwischen den beiden in der Zwischenzeit ereignet habe: “I have no idea.”

Es folgt ein “bad dream”, ein schlechter Traum. Das Baby war blau angelaufen. Der Disponent des Notrufs habe sie in Wiederbelebungsversuchen auf dem Küchentisch unterwiesen, bis der Sanka kam. Im Klinikum Weiden räumt man den Eltern noch die Möglichkeit ein, sich von dem Buben zu verabschieden. Nur die Mutter betrat das Zimmer. “Seine Wange war kalt”, schildert die 31-Jährige unter Tränen. Sie hätte länger bleiben dürfen, wollte aber nur noch weg.

Es gibt Widersprüche in den Aussagen vor dem US-Gericht und bei der Kripo Amberg am Tag danach. Beispielsweise hatte die Mutter dort angegeben, dass der Vater um Mitternacht nur “fünf Minuten” mit dem Baby allein war. Jetzt ist von einer Stunde die Rede, was auch eher zur Notrufzeit von 1.04 Uhr passt. Wie sie sich diese Widersprüche erklären könne, fragt Verteidiger Patrick Hitt. Antwort: “Ich hatte damals gerade mein Kind verloren.”

Amberger Staatsanwalt im Zeugenstand

Sie müsste in dem Prozess vor dem US-Militärgericht nicht aussagen, und das weiß sie auch. “Es ist meine eigene Entscheidung. Ich bin für Kaleb hier.” Auch ihre Anwälte hätten ihr nicht unbedingt zugeraten. Ihr Revisionsverhandlung am Bundesgerichtshof in Leipzig steht unmittelbar bevor (3. April). Die Staatsanwaltschaft will eine höhere Strafe erreichen.

Der Amberger Oberstaatsanwalt Carsten Reichel wird spontan in den Zeugenstand gerufen. Er ist als Zuhörer im Saal und erklärt den Stand der Dinge. Die Staatsanwaltschaft Amberg hat Revision eingelegt, weil sie mit dem Strafmaß von 18 Monaten und dem Urteilsspruch auf fahrlässige Tötung durch Unterlassen unzufrieden war. Reichel hatte auf 6 Jahre und Totschlag durch Unterlassen plädiert.

Eine Mordanklage gegen die Mutter habe nie im Raum gestanden, erklärt der Staatsanwalt auf Nachfrage seines amerikanischen Kollegen Brett Erland: “Darauf gab es keine Hinweise.” Im Urteil des Landgerichts Amberg ging man zweifelsfrei von der Täterschaft des 29-Jährigen aus.

Weitere Zeugen: Rechtsmedizin und Spurensicherung

Am Vormittag sagte ein Rechtsmediziner aus dem Institut für Rechtsmedizin in Erlangen aus. Er hat die Obduktion an dem toten Baby vorgenommen. Er zählt die Verletzungen auf. “Frisch” waren ein zertrümmerter Schädel, eine Hirnblutung sowie Gesichtsverletzungen (Schwellungen, Hämatome). Auf zwei bis vier Wochen alt schätzt er drei Beinbrüche und sechs Rippenbrüche. Letztere sind nach seiner Einschätzung durch Gewalt von vorne und hinten entstanden: Der Arzt deutet einen Zangengriff um den kleinen Brustkörper an.

Die Ankläger wollen ein Foto des Babys zeigen. Die Verteidigung springt auf: “Objection!” Einspruch. Sie fürchtet um eine Beeinflussung der acht Panel-Mitglieder der Militärjury. Richter Thomas Hynes lässt das Bild schließlich zu. Auf Großbildschirm sieht das Publikum das Gesicht des verprügelten Kindes.

Die Verteidigung streut Zweifel, wo immer sie eine Chance dafür sieht. “Sind Sie Kinderarzt?”, wird der Rechtsmediziner gefragt. Hinter den drei Verteidigern und drei Anklägern sitzt das Publikum. Aber das sind keine beliebigen Zuschauer. Es handelt sich bei fast allen um Mitarbeiter der jeweiligen Seite, um angeheuerte Experten, Ärzte, Psychologen etc. Eilig bekritzelte Post-it-Zettel mit Hinweisen werden nach vorne durchgereicht.

Ins Kreuzverhör gerät auch der Spurensicherer der Kriminalpolizei Amberg. Er hat am Vormittag nach der Tat im März 2022 in der Wohnung der Familie in Vilseck Spuren gesichert. Darunter ein Stofftuch, das unter Decken und Kissen auf dem Sofa lag. Darauf war Blut. Außerdem sicherte er aus der Gäste-Toilette nicht hinuntergespülte Kosmetiktücher mit Blut dran. Beides stammt laut DNA-Analyse von Baby Kaleb.

Auch der Kriminaloberkommissar wird von den Verteidigern ordentlich beharkt. Warum nur ein kleines Stück des getrockneten Kosmetiktuchs ins Labor geschickt wurde? Und nicht der ganze Inhalt der Toilettenschüssel (die ebenfalls auf dem Screen im Gericht zu sehen ist)? Warum man dem Labor nur die DNA des Säuglings für Vergleiche zur Verfügung stellte? Der Amberger Kriminalbeamte gibt die Antwort: Weil eine Blutprobe des jetzt angeklagten US-Soldaten wegen der konkurrierenden Ermittlungsverfahren nicht zur Verfügung gestellt wurde.

Als weitere Zeugin gibt eine Molekularbiologin des Instituts für Rechtsmedizin Auskunft über die DNA-Analyse. Sie hat in ihrem Berufsleben schon 5000 DNA-Gutachten erstellt. In diesem Fall bekam sie Blut von der Obduktion und verglich es mit den Blutflecken auf den Tüchern. Ihr Schluss: Die Flecken stammen vom Baby.

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