Verlorene Heimat: 80 Jahre Erweiterung des Übungsplatzes Grafenwöhr

Grafenwöhr. Vor 80 Jahren wurde der einst königlich bayerische Übungsplatz durch das Nazi-Regime nach Westen erweitert – 3.500 Menschen mussten die vertraute Heimat verlassen. Ein Rückblick.

Von Gerald Morgenstern

Verlorene Heimat: 80 Jahre Erweiterung des Übungsplatzes Grafenwöhr
Am Rande der Impact-Area liegt die Wüstung des Dorfes Pappenberg. Die einstige Wallfahrtskirche „Maria Himmelfahrt“ ist dem Verfall preisgegeben. Die Natur holt sich zurück, was ihr einst mühsam abgerungen wurde.

Unsere Augen stehen voll Tränen, Unser Herz es schlägt so still, Wenn wir an den Abschied denken, achtunddreißig im April.

Mit den Versen aus seinem Wanderlied beschreibt der Heimatdichter Erhard Trummer, genannt der „Alte Dohler“ aus dem Übungsplatzdorf Haag, den Verlust der Heimat von 3.500 Menschen. 1938 wurde der einst königlich bayerische Übungsplatz erweitert, 58 Ortschaften, Gehöfte und Weiler wurden aufgelöst und die Menschen mussten ihre angetraute Heimat verlassen.

Verlorene Heimat: 80 Jahre Erweiterung des Übungsplatzes Grafenwöhr
3.500 Menschen mussten vor 80 Jahren bei der Erweiterung des Truppenübungsplatzes ihre angestammte Heimat verlassen. 58 Dörfer, Gehöfte und Weiler wurden aufgelöst. Am Rande der Impact-Area liegt die Wüstung des im April 1938 abgesiedelten Dorfes Pappenberg. Nur noch Mauerreste sind heut dort zu finden.

Verlust der eigenen Scholle

Die eigens gegründete Reichsumsiedlungsgesellschaft (RUGES) nahm mit mehr oder weniger Druck des Dritten Reichs vor 80 Jahren diese  Absiedelung vor. Den Familien wurden in anderen Gemeinden in allen Teilen Bayern wieder Häuser und Grund zugewiesen oder sie wurden finanziell entschädigt. Auch wenn für die Kommission der Grundsatz gelten sollte: „Niemand darf wirtschaftlich geschädigt werden“, war der Verlust der eigenen Scholle und der angestammten Heimat für die Betroffenen doch überaus schmerzlich.

Verlorene Heimat: 80 Jahre Erweiterung des Übungsplatzes Grafenwöhr
Wehmütig ist der Blick auf die Mauerreste des Elternhauses in Leuzenhof bei Pappenberg. Die Bewohner zogen in das Thurn und Taxis Gut Wolfskofen bei Regensburg.

Besonders den alten Menschen fiel es schwer, sich von den über Jahrhunderte erarbeiteten und weiter vererbten Höfen sowie von der Heimaterde zu trennen. Die Dorfgemeinschaft mit dem gesellschaftlichen und kirchlichen Leben, der Verwandten- und Bekanntenkreis, die Erinnerung vor Ort und die Bindung an die Toten auf den Friedhöfen mussten aufgegeben werden.

Verlorene Heimat: 80 Jahre Erweiterung des Übungsplatzes Grafenwöhr
Alte Grabsteine auf dem Friedhof

Nur noch wenige Mauerreste, Kellergewölbe, Grundmauern, Brunnenlöcher die Reste von Kirchen und Kapellen sowie die alten Obstbaumkulturen zeugen heute noch von den einst blühenden Ortschaften. Die Natur holt sich zurück was ihr einst mühsam abgerungen wurde. Nach dem Krieg wurden die Dörfer freigegeben zur Entnahme von Baumaterial, Wind und Wetter trugen des Weiteren zum Verfall der Gebäude bei, oft wurden die Ruinen dann auch geschliffen. Hopfenohe, Pappenberg und Haag waren die drei größten Orte und politischen Gemeinden bei der Erweiterung des Platzes, zu neuen Ehren kam der Weiler Netzaberg.

Verlorene Heimat: 80 Jahre Erweiterung des Übungsplatzes Grafenwöhr
Gruselige Orte und gespenstische Kellergewölbe findet man in den verlassenen Orten im Übungsplatz

Symbol für alte Heimat

Hopfenohe war eine der ältesten Siedlungen in der Gegend, hervorgegangen aus dem alten Rittergut „Hopfenache“. Zur Pfarrgemeinde Hopfenohe gehörten 20 kleine Dörfer, Weiler und eine Mühle.  Insgesamt zählte die Pfarrei etwa 1.000 Seelen. Die katholische Pfarrkirche „Peter und Paul“ lag inmitten des Dorfes. Im Jahre 1935 wurde das Gotteshaus unter dem sehr aktiven Pfarrer Johann Ritter aufwendig renoviert und erweitert. Der Kirchenausbau konnte die Ablösung der Gemeinde durch die RUGES jedoch nicht abwenden, die Absiedelung wurde 1939 abgeschlossen.

Im Jahr 2005 konnte die Kirchenruine direkt auf der Höhe der Europäischen Hauptwasserscheide in ihrem Bestand gesichert werden, dazu stellte die US-Armee erhebliche finanzielle Mittel bereit. Der Turm und die Mauern der ehemaligen Pfarrkirche „St. Peter und Paul“ von Hopfenohe sind heute Symbol für die aufgelassenen Ortschaften. Sie sollen Besucher und Soldaten daran erinnern, dass das Übungsareal nicht immer unbewohnt war, sondern einst in den ehemaligen Dörfern und Weilern mit ihren Kirchen und Kapellen geistliches, kirchliches und gesellschaftliches Leben pulsierte.

Erinnerung an Pappenberg im August

Verlorene Heimat: 80 Jahre Erweiterung des Übungsplatzes Grafenwöhr
Weihbischof Pappenberger besucht im August gemeinsam mit Interessierten den gleichnahmigen Ort Pappenberg im Sperrgebiet.

Viel kirchliches und gesellschaftliches Leben fand in Pappenberg statt. Neben den Festen und der Pappenberger „Kuckuckskirwa“, stand vor allem die vielbesuchte Wallfahrtskirche „Maria Himmelfahrt“ im Mittelpunkt. Die Ruine dominiert auch heute noch in der alten Wüstung am Rande der Impact Area. Im August wird das Patrozinium „Maria Himmelfahrt gefeiert“. Ein Besuch mit dem namensverwandten Weihbischof Reinhard Pappenberger aus Grafenwöhr soll dann an das Dorf erinnern.

Für die Pappenberger Landwirtsfamilien war jedenfalls der 1. April 1938 der denkwürdige und schmerzvolle Tag der Umsiedlung. Die meisten von ihnen fanden in dem Thurn und Taxis Gut Wolfkofen bei Regensburg ihre neue Heimat.

Friedhofsbesuche in Haag

„Haag war ein sehr schön gebautes Dorf, das beinahe kleinstädtischen Charakter hatte“, schreibt Eckehart Griesbach in seinem Buch „Truppenübungsplatz Grafenwöhr – Geschichte einer Landschaft“. Die alte Haupt-, Heer- und Handelsstraße, die Reichsstraße 85 führte mitten durch den Ort und war die Lebensader. Die politische Gemeinde hatte damals bereits über 500 Einwohner. Die „Hoocher“ waren durch diesen Status ein sehr stolzes Volk. Ein Schwarz-weiß Film des Lehrers Paul Huber zeigt das Leben und die Bräuche im Dorf sowie die schmerzvolle Absiedelung im Jahr 1938. Gedichte des Heimatdichters Erhard Trummer, Bilder, umfangreiche Literatur, Chroniken und das Buch der 93-jährigen gebürtigen Haagerin, Elfriede Krapf, „Haag einst ein blühendes Dorf in der Oberpfalz“ erinnern an den Ort.

Verlorene Heimat: 80 Jahre Erweiterung des Übungsplatzes Grafenwöhr
Zum Kleinod und Kulturdenkmal im menschenleeren Übungsplatz wurde der alte Gottesacker in Haag. 1992 wurde er saniert, alljährlich besuchen die alten „Hoocher“ und ihre Nachkommen um die Allerseelenzeit die Gräber ihrer Vorfahren.

Geblieben sind vom einst stolzen Haag noch der Straßenverlauf, Mauerreste, Kellergewölbe, ein Gedenkstein am Platz der Kirche St. Veit und der alte Friedhof.

Verlorene Heimat: 80 Jahre Erweiterung des Übungsplatzes Grafenwöhr
Der Friedhof in Haag sah früher so aus

Die „Generalsanierung“ des historischen Gottesackers nahmen 1992 Arbeiter der Bundeswehr, der Bundesforst und die US-Armee vor. In mühevoller Kleinarbeit wurden in der Erde liegenden Grabsteine wieder aufgerichtet, noch existent ist der untere Teil der Gruft der Familie Grafenstein. Die oft kunstvoll, reich verzierten Grabsteine stammen zum größten Teil aus der Zeit vor 1900 und sind überwiegend aus Sandstein.

Der sanierte Friedhof ist heute ein einmaliges Kulturdenkmal. Seit 1992 brechen die alten “Hoocher” und ihre Nachkommen alljährlich um den Allerseelentag im November zum Gräberbesuch nach Haag und auch nach Langenbruck auf.

Vom „Dorf Netzaberg“ zur „Stadt Netzaberg“

Zu neuen Ehren und quasi neuem Leben kam der Weiler Netzaberg. Die Siedlung mit dem Gasthof „Zur Schönen Aussicht“ lag auf dem Höhenzug des gleichnamigen Netzabergs zwischen Grafenwöhr und Eschenbach. Netzaberg hatte vor der Ablösung 1937 fünf Hausnummern. Mit der Stationierung weiterer US-Truppen wurde zwischen 2006 und 2008 die US-Siedlung Netzaberg westlich der alten Dorfstelle gebaut. Die neue Stadt verfügt über ein Village-Center mit Schulen, Kindergarten und großer Kirche sowie über Häuser mit 830 Wohneinheiten. Rund 3.500 US-Bürger haben dort eine „neue Heimat auf Zeit“ gefunden.

Verlorene Heimat: 80 Jahre Erweiterung des Übungsplatzes Grafenwöhr
Das Gasthaus „Zur Schönen Aussicht“ stand im Weiler Netzaberg. Aus dem Dorf wurde die Stadt Netzaberg für rund 3500 US-Bürger. Die alte Dorfstelle liegt links an der Zufahrtsstraße.
Verlorene Heimat: 80 Jahre Erweiterung des Übungsplatzes Grafenwöhr
Pappenberg der einst blühende Ort mit seiner Wallfahrtskirche „Maria Himmelfahrt“. Für die Pappenberger Landwirtsfamilien war der 1. April 1938 der denkwürdige und schmerzvolle Tag der Umsiedlung.
Verlorene Heimat: 80 Jahre Erweiterung des Übungsplatzes Grafenwöhr
Die stolze Kirche von Pappenberg auf einer Postkarte
Verlorene Heimat: 80 Jahre Erweiterung des Übungsplatzes Grafenwöhr
Eine Postkarte vom früheren Ort Netzaberg
Verlorene Heimat: 80 Jahre Erweiterung des Übungsplatzes Grafenwöhr
Früher ein blühendes Dorf – heute eine Ruinenlandschaft: Hopfenohe
Verlorene Heimat: 80 Jahre Erweiterung des Übungsplatzes Grafenwöhr
1962 kommen die US-Truppen nach Hopfenohe
Verlorene Heimat: 80 Jahre Erweiterung des Übungsplatzes Grafenwöhr
2005 sicherte die US-Armee mit erheblichen finanziellen Mitteln das verfallende Gotteshaus von Hopfenohe, direkt an der Europäischen Wasserscheiden. Die Ruine der Kirche „St. Peter und Paul“ wurde für Soldaten und Besucher zum Symbol für die aufgelassenen Ortschaften. Weit schweift der Blick über die Flächen des 230 Quadratkilometer großen militärischen Übungsareals, im Hintergrund ist der Rauhe Kulm zu sehen.
Verlorene Heimat: 80 Jahre Erweiterung des Übungsplatzes Grafenwöhr
Mauerreste in Hermannshof am Schlatterweiher. Heute ist die einstige Heimat das modernste militärische Übungsaral in Europa. Das Sperrgebiet hat sich auch zu einer riesigen Naturschutzfläche entwickelt.
Verlorene Heimat: 80 Jahre Erweiterung des Übungsplatzes Grafenwöhr
Nur noch wenige Mauerreste stehen in Hebersreuth. Das Dorf lag bei Haag an der Reichsstraße 85, die mächtigen Eichen am markanten Hohlweg werfen heute ihren Schatten auf die Ruinen.
Verlorene Heimat: 80 Jahre Erweiterung des Übungsplatzes Grafenwöhr
Auch von Kaundorf sind nur noch Mauerreste geblieben
Verlorene Heimat: 80 Jahre Erweiterung des Übungsplatzes Grafenwöhr
Eine Postkarte aus Haag
Verlorene Heimat: 80 Jahre Erweiterung des Übungsplatzes Grafenwöhr
Schloss Altenweiher

Fotos: Gerald Morgenstern

[box type=”info”]Fahrten und Informationen im MuseumGrafenwöhr.

Auf Initiative des Kultur- und Militärmuseum Grafenwöhr finden in Erinnerung an die Erweiterung des Truppenübungsplatzes und damit verbundene Absiedelung verschiedene Veranstaltungen statt. Die ersten begannen schon am 11. April 2018: Da zeigte der Autor des zweisprachigen Übungsplatzbuches Gerald Morgenstern Bilder der alten Ortschaften in Gegenüberstellung von „Einst und Heute“.

Am 28. April 2018 ist um 18 Uhr eine Lesung „Haag – einst ein blühender Ort in der Oberpfalz“ von der Autorin Elfriede Krapf.

Am Freitag, 29. Juni 2018 besucht das Dekanat Auerbach den Übungsplatz und feiert eine Messe in Hopfenohe.

Eine Sonderfahrt mit Andacht findet am 25. August 2018 zusammen mit dem Weihbischof Reinhard Pappenberger in die gleichnamige Dorfstelle statt.

Im Museumsbuchshop sind umfangreiche Literatur und DVD´s zu den abgelösten Ortschaften erhältlich. Ausführliche Informationen über die mehr als hundertjährige Geschichte des Truppenübungsplatzes Grafenwöhr gibt es in der Dauerausstellung des Museums. Präsentiert wird die enge Verbindung der Stadt mit dem Truppenübungsplatz vom Bayerischen Königreich über die beiden Weltkriege bis hin zum Zusammenleben mit den Amerikanern, Elvis Presley sowie die Gegenwart. [/box]

* Diese Felder sind erforderlich.

1 Kommentare

Karl Zintl - 09.03.2023

Mein Großvater, Josef Schuller kaufte Anfang der 30. iger Jahre in dem Bereich, der später für die Erweiterung des Truppenübungsplatzes benötigten Fläche, ein Anwesen mit Gasthaus. Wo finde ich Hinweise in welcher Ortschaft sich das Anwesen befand ? Für Hinweise wäre ich sehr Dankbar.