Kommentar: Die ermordeten Zivilisten von Butscha gehen uns alle an

Die Bilder von Butscha nach dem Rückzug der russischen Armee: Mit Leichen übersäte Straßen, erschossene Männer mit am Rücken gefesselten Händen, verscharrte vergewaltigte Frauen. Wenn es noch eines Beweises bedurfte, was Putins Begründung für diesen Krieg wert ist, dann sollte man nicht wegschauen.

Schreckliche Bilder nach dem Rückzug russischer Truppen aus der Region um Kiew enthüllen die Wahrheit dieses Krieges. Bild: Botschaft der Ukraine in Berlin

Putins Armee mordet, foltert und vergewaltigt Zivilisten. Nicht Putin befreit die Ukraine von Faschisten. Ein faschistoides System vernichtet rücksichtslos alles, was sich ihm in den Weg stellt.

Die Entfernung zwischen Weiden und Kiew beträgt rund 1600 Kilometer. 16 Stunden Autofahrt liegen zwischen unserer vermeintlich sicheren Oberpfalz und der Hölle rund um Kiew. Oder um es militärisch auszudrücken: am unteren Ende der Reichweite einer Mittelstreckenrakete. Es ist aber nicht die konkrete Bedrohung, die uns mitten ins Kriegsgeschehen zieht. Auch wenn wir noch so sehr betonen, dass sich die Nato nicht in einen Dritten Weltkrieg involvieren lässt.

Grosny, Aleppo, Krim: Wir haben weggeschaut

Wir haben unsere Energieversorgung von einem Regime abhängig gemacht, das lange vor der Ukraine in Tschetschenien, Georgien und Aleppo Zehntausende Menschen totbomben ließ. Von einem Kreml-Despoten, der sich bei einem Besuch in Österreich scherzhaft selbst als Diktator bezeichnet hat – als „guten Diktator“. Ein „guter“ Diktator der in Berlin und London Regimegegner vergiften ließ. Wir haben weggeschaut, weil russisches Gas als Übergangstechnologie billiger war als Flüssiggas, für das wir erst Terminals hätten bauen müssen. Moskau hat bereits mehrfach Gas als Erpressungspotenzial gegenüber der Ukraine eingesetzt – und wir konnten nicht ahnen, dass er das auch uns gegenüber machen würde?

Dass die aktuelle Bundesregierung dennoch nicht mit fliegenden Fahnen ein Energieembargo beschließt, ist nachvollziehbar. Nicht sie, sondern die Vorgängerregierungen haben uns in dieses Dilemma manövriert – auch wenn man zugunsten der damals handelnden Politiker annehmen darf, dass sie tatsächlich glaubten, die Welt durch Handelsbeziehungen nach dem EU-Modell friedlicher zu machen.

Grüne Hürden von Fracking bis Katar

Man glaubt dem Wirtschaftsminister ohne weiteres, dass er alles tut, um so schnell wie möglich Alternativen zum russischen Gas zu mobilisieren – und springt dabei über sämtliche grüne Hürden: von Fracking bis Katar. Das macht er, weil er weiß: Ohne Gas droht die deutsche Grundstoffproduktion auszufallen – mit unvorhersehbaren Folgen für die gesamte Volkswirtschaft. Denn die optimistischen Modelle der Makroökonomen können keine fehlenden Pipelines und Terminals ersetzen.

Mit jedem weiteren Tag dieses Krieges, mit jedem weiteren Schritt Putins in eine wahnwitzige Isolation steigt das Risiko, dass er selbst den Gashahn zudreht. Dass ist den Regierenden bewusst. In Berlin glaubt man, dass die Bevölkerung den möglichen wirtschaftlichen Schaden leichter akzeptieren würde, wenn Putin als erster handelt. Mit jedem weiteren Tag dieses Balanceakts steigt die Unsicherheit bei den Unternehmen. Mit jedem weiteren Tag werden die Millionen, die wir nach Moskau überweisen, egal ob in Rubel oder Euro, noch blutiger.

Wie haben wir das zulassen können?

Nach jedem der schrecklichen Kriege der vergangenen Jahrzehnte blickten die Nachgeborenen auf die unerträglichen Bilder von Opfern – bis aufs Skelett abgemagerte KZ-Überlebende und Leichenberge in den deutschen Lagern, das schreiende nackte Mädchen in Vietnam nach einem Napalm-Bombardement, die zerstückelten Leichen von Ruanda, die Massengräber von Srbenica. Und sie fragten sich: Wie haben wir das zulassen können? Auch wir werden uns das fragen lassen müssen.

Und die Politik muss sich fragen lassen: Wenn das eine Zeitenwende ist, wie kann dann eine Nachkriegsordnung aussehen, die einen solchen Krieg noch unwahrscheinlicher macht? Die deutsche Beteiligung am Kosovo-Einsatz war kein Nato-Bündnisfall. Die Kosovo-Albaner hatten lediglich das relative Glück, dass Russland in diesen Konflikt nicht involviert war. Müsste die Völkergemeinschaft – wenn es so etwas überhaupt geben kann – aber nicht jedem Volk dieser Welt Schutz vor einem Aggressor garantieren? Mit der – zugegeben – drastischen Drohung, ansonsten seinen kollektiven Selbstmord zu riskieren?

Das Monster in Schach halten

Wenn man nicht der optimistischen Hoffnung aufsitzt, die Menschheit könne in ferner Zukunft in ein Entwicklungsstadium eintreten, das nationale Interessen, rücksichtslose Machtpolitiker und skrupellose Geldgier überwinden, bleibt wohl nur dieses Mittel, um den Leviathan, das von Thomas Hobbes beschriebene Monster in uns allen, zumindest in Schach zu halten.

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