SSV Jahn schenkt die Punkte in zehn Horror-Minuten an Tabellenführer Darmstadt ab

Darmstadt. Jahn Regensburg schlägt sich bei Tabellenführer Darmstadt einmal mehr selbst – und spiegelt die Ereignisse des Hinspiels: Nach einer knappen halben Stunde muss Scott Kennedy wegen eines Trikotzupfers als letzter Mann mit Rot vom Platz.

Bittere Vorentscheidung: Rot gegen Scott Kennedy beim Spielstand von 0:1 bei Tabellenführer SV Darmstadt 98. Bild: Jürgen Herda

Das kann man als Drehbuchautor nicht besser erfinden: die Umkehrung des Hinspiels. Beim 2:0-Hinrundenauftakt gelang dem SSV Jahn der Blitzstart nach wenigen Sekunden, Joshua Mees traf zum 1:0. Eine Rote Karte gegen Darmstadts heute gesperrten Pfeiffer nach rund einer halben Stunde stellte die Weichen frühzeitig für den 2:0-Sieg der Regensburger – und die einzige Niederlage des aktuellen Tabellenführers.

An diesem kalten Januar-Samstag im kern-sanierten Darmstädter „Bölle“ sehen rund 17.000 Zuschauer das spiegelverkehrte Rückspiel. Die Lilien treffen zwar nicht in der ersten Minute, dafür unter tatkräftiger Mithilfe der Regensburger Abwehr. Der neue, junge Jahn-Keeper Thomas Urbig spielt Max Thalhammer am 16er riskant an – der erfahrene Mittelfeld-Regisseur versucht einen Hackentrick, anstatt den Ball gleich weiterzuspielen. Der giftige Marvin Mehlem schnappt sich die Kugel, serviert für Braydon Manu, der gegen den auch noch wegrutschenden Urbig keine Mühe hat, zur Führung einzunetzen.

Anschließend setzt sich die Slapstick-Parade fort: Ein langer Ball aus der Darmstädter Defensive, die Kugel springt vor Scott Kennedy auf und Manu in den Lauf, der kanadische Nationalspieler stoppt den Torschützen mit einem Trikotzupfer als letzter Mann und sieht dafür Rot – eine brutal harte Entscheidung von Schiri Daniel Schlager, aber leider auch eine vertretbare.

Eine Mitschuld am unnötigen 0:1 gegen SV Darmstadt 98 trifft auch den jungen Jahn-Keeper Thomas Urbig, Bild; Jürgen Herda

Pech und Unvermögen

Und weil zum Unvermögen dann auch noch Pech dazukommt: Seitenwechsel von Tobias Kempe nach rechts auf Matthias Bader, Flanke in die Mitte, Bene Gimbers zu kurze Kopfballabwehr auf Fabian Holland, der am kurzen Pfosten via Unterlatte zum 2:0 einköpft – die ersten zwei Torschüsse der Darmstädter plus Rot für Regensburgs besten Abwehrspieler besiegeln früh die genauso erwartbare wie vermeidbare Niederlage in Hessen.

Zwar bleibt der Jahn vorübergehend auf Platz 12 – aber noch stehen die Spiele von Braunschweig, St. Pauli, Bielefeld und Sandhausen aus. Und der Abstand zum direkten Abstiegsplatz beträgt zwei Punkte, zum Schlusslicht Sandhausen gerade mal drei. Mit solchen haarsträubenden Patzern wird diese Rückrunde ein Thriller, der nichts für schwache Nerven ist.

Manu (rechts) bringt Tabellenführer Darmstadt in Führung. Bild: Jürgen Herda

Starke Anfangsphase zunichte gemacht

Der SSV Jahn kommt gut ins Spiel. In den ersten zehn Minuten 54 Prozent Ballbesitz für die Regensburger, das bringt zwei (schwache) Ecken ein. Darmstadt sucht noch nach Passgenauigkeit, bringt keinen Ball in die Gefahrenzone. Der Jahn hält hoch engagiert dagegen, fahndet selbst nach den eigenen Laufwegen: Zu ambitionierte Bälle in die ganz lange Gasse laufen ins Leere.

Mit einer dummen Szene macht sich der SSV die ganze, mühsame Vorarbeit selbst zunichte: Riskantes Zuspiel des jungen Torwarts Thomas Urbig auf Max Thalhammer, der versucht sich mit einem Trick freizuspielen, Ballverlust, der Keeper rutscht obendrein weg, Marvin Mehlem mit der Balleroberung und Zuspiel auf Braydon Manu, Urbig macht sich vergeblich lang, 1:0 (18.).

Hollands erstes Kopfballtor ever

Weiter Darmstädter Ball in die Spitze, Scott Kennedy verschätzt sich, zupft als letzter Mann am Trikot, Schiri Daniel Schlager entscheidet auf Notbremse und Rot – Wahnsinn, die Umkehrung des Hinspiels, ohne Darmstädter Zutun fast die Vorentscheidung nach 22 Minuten, bitter und dumm. Und dann geht das einfach zu simpel, Seitenwechsel von Kempe, Baders Flanke, verunglückter Klärungsversuch von Bene Gimber, auf den freistehenden Kapitän Holland, Kopfball Unterlatte, Tor, 2:0 (28.) – erstes Kopfballtor des 1,72-Meter-Sitzriesen überhaupt.

Anschließend bekommt der Jahn das Spiel wieder einigermaßen unter Kontrolle, Konter über Prince Owusu, der bis zum gegnerischen Strafraum marschiert und dann etwas zu spät auf NicklasShipnoski abspielt, nur Ecke (44.). Zeit für etwas Regeneration und Nachdenken beim Pausentee, wie man jetzt noch das Unmögliche möglich machen könnte.

Nach Fabian Hollands ersten Kopfballtreffer für Darmstadt 98 war der Käse gegessen. Bild: Jürgen Herda

Der nächste Fast-Supergau

Man kann nicht sagen, dass die Regensburger mit dem unbedingten Willen, dieses Ding noch umzubiegen, aus der Kabine kommen. Das sieht mehr nach Schadensbegrenzung aus. Aber auch Darmstadt spielt hier nicht das ganz große Kino ab. Ganz starke Aktion von Urbig, der Zentimeter vor Manu in die Flanke hechtet und das Ding festhält – dabei allerdings den Schuh des Manu abbekommt. Er kann zum Glück weitermachen (54.). Dann aber schießt der Keeper Mehlem an, der Abpraller kullert knapp am leeren Tor vorbei, Urbig zeigt ein schmerzverzerrtes Gesicht, zum Teil wohl auch wegen dieses nächsten Fast-Supergaus.

Kleinliches Gelb für Joshua Mees, weil er den Ball nicht sofort freigibt – das kann man nach der ohnehin schon grenzwertigen Roten Karte und Regensburger Unterzahl auch mal etwas großzügiger handhaben. Das Comeback vor Sarpreet Singh, Praxis für den Abstiegskampf (64.). Gleichmal ein schöner Seitenwechsel, aber Shipnoski kann den Ball nicht festmachen (69.).

All in ohne Happy End

Jahn-Trainer Mersad Selimbegovic schickt jetzt auch noch Kaan Caliskaner für Thalhammer aufs Feld, dazu Gouras für Shipnoski. Zum Schluss geht der Coach all in, bringt den angeschlagenen   Andreas Albers und Aygün Yildirim (85.). Wenn du kein Glück hast, kommt das Pech dazu. Konter über Yilderim, Vorlage für Gouras, der von Holland im Strafraum umgerissen wird – der Schiri pfeift, aber nicht den Elfer, sondern die Situation zuvor, wo Yilderim im Duell seine Pratze nicht bei sich lassen kann – völlig überflüssig, der Ball war bereits gespielt (88.).

Und dann hat Darmstadt noch mal Glück nach Gouras‘ scharfer Flanke auf den Fünfer, Thomas Poppler-Isherwood fängt die Kugel gerade noch mit dem Schienbein vor dem einschussbereiten Stürmer ab, Schuhen muss mit dem Fuß abwehren (90.). Brrr, was für ein unglücklicher Kaltstart in Darmstadt – jetzt braucht der Jahn am kommenden Samstag, 13 Uhr, gegen Bundesliga-Absteiger und Tabellen-16. einen Sahnetag, um nicht ganz tief in das Schlamassel reinzurutschen.

* Diese Felder sind erforderlich.