Annette Karl: Jetzt hat sie endlich mehr Zeit für ihre Enkel

Neustadt/WN. 15 Jahre lang war Annette Karl SPD-Landtagsabgeordnete. Im Oktober tritt sie nicht mehr an. Im Gespräch mit OberpfalzECHO lässt sie ihre Polit-Laufbahn noch einmal Revue passieren.

Entspannt sitzt Annette Karl in ihrem Bürgerbüro. Offiziell scheidet sie am 29. Oktober aus dem Landtag aus. Aber mit dem Beginn der parlamentarischen Sommerpause endet bereits ihre Arbeit als Abgeordnete. Foto: Theo Kurtz

Die Regale mit den Ordnern lichten sich, keine Papiere bevölkern mehr den Schreibtisch. Es herrscht Abschiedsstimmung im Neustädter Bürgerbüro von Annette Karl. Die SPD-Landtagsabgeordnete hört bekanntermaßen auf, stellt sich am 8. Oktober nicht mehr zur Wiederwahl.

15 Jahre saß die heute 63-Jährige im Maximilianeum. Diese und kommende Woche noch, dann ist es vorbei, mit Terminen, Sitzungen und Reden. „Es ist schon ein komisches Gefühl, wenn man weiß, dass es die letzten Veranstaltungen sind, an denen man teilnimmt“, erzählt sie.

Stimmung im Landtag kippt

Dass sie nicht mehr kandidieren wird, hatte sie frühzeitig, im April 2022, bekannt gegeben. Eine ganz persönliche Entscheidung. „Ich weiß nicht, ob ich noch mit voller Kraft die Legislaturperiode hätte durchstehen können“, nennt sie einen Grund für den Ausstieg. Ein anderer: Mit dem Einzug der AfD in den Bayerischen Landtag hat sich die Stimmung im Maximilianeum deutlich verschlechtert. Der Umgangston unter den Parlamentariern ist rüder geworden.

Das hat mit dem Einzug der AfD zu tun. Statt parteipolitischem Disput werden die Reden immer öfter persönlich und verletzend geführt. Hatte man sich politisch noch so gezofft, ist man hinterher trotzdem noch gemeinsam auf ein Bier gegangen. „Das geht seit ein paar Jahren nicht mehr mit allen Abgeordneten“, bedauert sie.

Von Berlin über Minden nach Bayern

Der Liebe wegen war die gebürtige Berlinerin 1985 nach Bayern und in die Oberpfalz gekommen. Ihren damaligen Mann hatte sie beim Studium in der Spreemetropole kennengelernt, wohin sie nach der Schulzeit im westfälischen Minden zurückgekehrt war. Der Neustädter wollte unbedingt zurück in seine Heimat. „Ich habe damals die Leute hier kaum verstanden“, gibt sie lächelnd zu.

Den Weg in die große Politik hatte sie über das kleine Altenstadt an der Waldnaab gefunden. Damals hatte die Mutter von vier Kindern und Elternbeiratsvorsitzende sich dafür starkgemacht, dass eine Bushaltestelle nicht an einen gefährlicheren Platz verlegt wird. Sie hätte deswegen sogar ein Bürgerbergehren auf die Beine gestellt. Der Widerstand war erfolgreich. Die Gemeinde machte einen Rückzieher. „Die Bushaltestelle ist heute noch immer am gleichen Platz.“ Sie lächelt.

SPD entdeckt Annette Karl

Die SPD wurde auf die hartnäckige Kämpfernatur aufmerksam. 1995 wurde sie Parteimitglied und machte Karriere. Sie wurde stellvertretende Ortsvorsitzende von Altenstadt, engagierte sich in den verschiedensten Organisationen und Gremien und nahm Spitzenpositionen bei der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (ASF) ein.

Bei den Kommunalwahlen 2008 trat sie im Kampf um das Landrats-Mandat gegen Simon Wittmann (CSU) an. Sie verlor zwar gegen ihn, fuhr aber mit 31 Prozent ein mehr als beachtliches Ergebnis ein. Das „Preußenkind“ kam also ganz offensichtlich bei den Oberpfälzern an. Sie wurde folgerichtig SPD-Kreisvorsitzende, kandierte 2008 zum ersten Mal für den Landtag und kam rein. 2013 und 2018 wurde sie wiedergewählt.

Am Digitalbonus beteiligt

Als Oppositionspolitikerin einer zusammengeschrumpften Volkspartei schaffte sie es trotzdem, sich bemerkbar zu machen. „Die Förderbescheide überreichen medienwirksam natürlich andere“, erzählt sie. Darüber müsse man sich halt im Klaren sein. Man könne aber Debatten anstoßen und Themen besetzen.

Als Sprecherin ihrer Fraktion für ländliche Entwicklung setzte sie sich für gleichwertige Lebensbedingungen in Stadt und Land ein und war maßgeblich an der Einsetzung einer entsprechenden Enquete-Kommission beteiligt. Karl hatte sich erfolgreich für die Einführung des Digitalbonus für kleine und mittlere Unternehmen starkgemacht. 2016 wurde er ins Leben gerufen.

Neustädter Kreisverkehr

Aber auch in ihrem Wahlkreis konnte sie Projekte mit anschieben. Den Kreisverkehr in Neustadt/WN zum Beispiel, für dessen Bau zunächst die Fördermittel fehlten, oder der Fußgängerweg auf der Brücke über die Autobahn bei Waidhaus.

2018 dann erlebte sie den größten Tiefschlag in ihrer Abgeordnetenlaufbahn. Die SPD erreichte bei den Landtagswahlen nur mickrige neun Prozent und mutierte damit zur zweitkleinsten Fraktion im Landtag, noch hinter der AfD.

Warum die SPD in der Wählergunst verliert?

Die Gründe für das Abrutschen? „Ich denke, wir haben den Faden zu den Bürgern verloren“, zeigt sich Karl selbstkritisch. Man gebe sich bisweilen auch zu besserwisserisch. Ein großer Fehler. „Man muss den Bürgern zuhören, ihre Sorgen ernst nehmen, nicht belehren“, findet sie.

Außerdem müsse sich die Partei von dem Irrglauben verabschieden, in erster Linie berechtigte Interessen von Minderheiten vertreten zu wollen. „Wir müssen uns unserer klassischen Wählerklientel zuwenden.“ Ihre Zielvorgabe für die bevorstehende Landtagswahl: „Die SPD muss mindestens zwölf Prozent bekommen und die AfD hinter sich lassen.“

Karl bleibt kommunalpolitisch aktiv

Offiziell scheidet sie am 29. Oktober aus dem Landtag aus. Einen Tag später findet die konstituierende Sitzung im Maximilianeum statt. Der Politik bleibt sie erhalten, zumindest auf kommunaler Ebene. Sie sitzt im Neustädter Stadtrat. Ansonsten wird sie immer wieder mal zwischen ihrer Geburtsstadt Berlin und der Oberpfälzer Kreisstadt hin- und herpendeln.

Annette Karl ist fünffache Oma. Eine ihrer Töchter lebt mit ihrer Familie in Potsdam. Die hat schon angeklopft und nachgefragt, ob sie, jetzt wo sie ja Zeit hat, nicht öfter mal auf die Enkel aufpassen könnte. Wird sie … Und natürlich wird und will sich Annette Karl weiter engagieren. „Wo und wie, das muss ich mir aber erst noch überlegen.“

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