Auch die dritte Gutachterin sagt: “Diese Frau ist tot”

Weiden. Ein Ehemann (61) wehrt sich gegen das Abschalten der Geräte seiner Frau. Am Mittwoch verhandelt das Landgericht Weiden den Fall. Eine dritte Sachverständige wird gehört. Auch sie sagt: "Diese Frau ist tot."

Gericht
Überstunden für die Wachtmeisterei: Bis nach 19 Uhr tagte am Mittwoch das Landgericht Weiden. Auf der Tagesordnung: Der Fall um eine Patientin, deren Familie ein Abschalten der Geräte verhindern will. Foto: Christine Ascherl

Die 57-Jährige wird seit August im Klinikum Weiden behandelt. Sie leidet seit 2006 an einer Krebserkrankung. Im August 2023 trat eine Verschlechterung des Gesamtzustandes ein. Nach Komplikationen kam es zu einer Gehirnschwellung. Das EEG zeigte eine Nulllinie. Die Ärzte besprachen sich mit dem Ehemann. Entgegen der Empfehlung des Ethikkonzils bestand er auf einer Fortführung der Maximaltherapie plus Tumorbehandlung (“Familie wehrt sich gegen Abschalten”). Seitdem liegt die Frau auf der Intensivstation und wird beatmet.

Die 1. Zivilkammer des Landgerichts Weiden tagt bis nach 19 Uhr. Am Vormittag hat eine vom Gericht bestellte Gutachterin die Patientin untersucht: Dr. Stefanie Förderreuther, Neurologin an der Universitätsklinik München. Sie ist die dritte Externe am Krankenbett der Patientin: Dr. Arne Lenz (Klinikum Bamberg) und Prof. Dr. Frank Erbguth (Nürnberg) haben im September und Oktober den Hirntod festgestellt, jeweils assistiert von einem Kollegen. Eine Hirntodfeststellung muss immer durch zwei Ärzte erfolgen.

Tests mit starken Schmerzreizen

Dr. Stefanie Förderreuther kommt zum gleichen Ergebnis: Das EEG zeigt eine Nulllinie, also keine Hirnaktivität. Alle Tests fallen negativ aus, und die sind teils martialisch. Der Patientin wurde mit einer Kanüle durch die Nasenscheidewand gestochen, ein “starker Schmerzreiz”. Ihr wurde Atropin (Tollkirsche) gespritzt, was das Herz rasen lässt. Sie wurde 10 Minuten von der Beatmung genommen. Keine Reaktion, auf nichts. Die Patientin sei “tiefkomatös”, ihre Pupillen weit und lichtstarr.

Für die Sachverständige gibt es keinen Zweifel. Sie wendet sich vor Gericht an den Ehemann: “Ihre Frau hat ihren letzten Atemzug getan. Es ist vorbei. Ihre Frau ist tot.” Als dieser weiter aufbegehrt, wird die Neurologin schärfer: “Es hat mir heute wahnsinnig leid getan, dass diese Frau da liegt. Ich würde das nicht wollen.”

Das ist ein Stück weit Störung der Totenruhe. Dr. Stefanie Förderreuther

Sachverständige stellt sich vor Klinikum

Schon die Befunde vom August zeigen aus ihrer Sicht, “dass man verloren hat”: “Da ist kein Weg zurück.” Das Hirn werde durch die Schwellung so groß, dass keine Blutzufuhr mehr möglich ist. Die Sauerstoffzufuhr werde unterbrochen, es komme zu Infarkten. “Ein Teufelskreis.” Das geschädigte Gehirn könne sich nicht mehr regenerieren. Kommentar des Ehemanns: “Und die Erde ist eine Scheibe.”

Dem Klinikum Weiden bescheinigt sie korrektes Vorgehen: “Das ist alles sehr sorgfältig untersucht.” Die Ärzte hätten bis zur Hirntodfeststellung ohnehin lange gewartet. Der Totenschein ist auf 29. September ausgestellt. Die vom Ehemann vehement geforderte Untersuchung der Gehirn-Durchblutung hält sie für irreführend. Diese werde möglicherweise wieder eine Durchblutung anzeigen, weil der Druck nachgelassen hat. Doch diese durchblute kein funktionsfähiges Gehirngewebe mehr.

Vorwurf des Ehemanns: Richtlinien nicht eingehalten

Der 61-Jährige sieht alles anders (“Ehemann zweifelt an Hirntod”). Er beharrt hartnäckig darauf, dass bei den Hirntodfeststellungen die Richtlinien der Bundesärztekammer nicht eingehalten wurden. Er beruft sich auf Punkt 1.2: den “Ausschluss irreversibler Ursachen”. Seine Frau litt seit 17 Jahren an Krebs und Hirnmetastasen. Diese werden noch immer behandelt, seien also potenziell reversibel.

Dr. Stefanie Förderreuther widerspricht: “Das ist in der Richtlinie damit nicht gemeint.” Die Neurologin aus München hat die Richtlinien selbst mit verfasst. Gemeint seien Erkrankungen wie eine Hirnhautentzündung, die das Gehirn kurzfristig anschwellen lässt. Für einen Laien sei die Richtlinie vielleicht schwer zu verstehen. Sie sei für Fachärzte gedacht.

Konträre Aussagen zu Bewegungen

Großes Thema sind vor Gericht Bewegungen, die bei der Patientin zu sehen waren. Beide Söhne (31 und 35) berichten von ihren Beobachtungen. Der Jüngere, ein Wissenschaftler, hat seine Mutter seit August 70 Mal besucht. Er berichtet von Reaktionen bis zuletzt, am 29. November, als er der Mutter das Telefon hinhielt, aus dem der Vater (er hat Besuchsverbot) sprach. Sie habe mit einem Kopfnicken reagiert.

Die Söhne schildern, wie ihre Mutter Ende November reagiert habe, als sie sich am Krankenbett über den Rechtsstreit und seine Folgen unterhielten: “Mit welchen Kosten uns gedroht werde. Wie wir als Familie damit fertig werden sollen.” Ihr Blutdruck sei auf 200 geschnellt. Beide sagen aber auch: Seit Anfang Dezember haben sie keine Bewegungen mehr feststellen können.

Vor Gericht sagen vier Ärzte und Pfleger der Intensivstation aus: Es seien keine Reaktionen erkennbar. Solche Bewegungen wären doch wie ein Lauffeuer durch die Station gegangen, sagt ein Arzt. Die Gutachterin erklärt die Bewegungen – zumindest oberhalb der Kinnlinie – als typische spinale Phänomene, ausgelöst durch das Rückenmark. “Das führt bei Laien häufiger zu Irritationen, weil es sich mit unserem Todesverständnis nicht deckt.”

Entscheidung fällt im Januar

Kurz vor 19 Uhr ist das Gericht mit den Zeugen durch. Für den Anwalt der Kliniken, Dr. Philip Schelling, ist die Sache klar: “Wie viele Gutachter sollen hier noch herangezogen werden?” Mit Entsetzen reagiert Klinik-Justiziarin Dr. Christa Kraemer auf die Schriftsatzfrist bis Mitte Januar. Die Anwältin des Ehemanns besteht auf ihrem Weihnachtsurlaub. Klinikanwalt Schelling schüttelt den Kopf: “Sie belegen ein Intensivbett, das möglicherweise anderweitig gebraucht wird.”

Die Zivilkammer unter Vorsitz von Josef Hartwig bestimmt den 12. Januar als Termin für weitere Schriftsätze. Danach werden noch einmal einige Tage vergehen, ehe das Gericht seine Entscheidung verkündet. Fällt das Urteil nicht im Sinne des Ehemanns aus, hat dieser noch die Möglichkeit in Berufung zum Oberlandesgericht Nürnberg zu gehen.

Die Fronten sind verhärtet. Am Mittwoch hört sich auch ein Kripobeamter die Verhandlung an. Sechs Stunden, bis zum Ende. Hintergrund: Der Ehemann hat Strafanzeige wegen Falschbehandlung gestellt.

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2 Kommentare

M.Fleischmann - 04.01.2024

Peter Tippmann, das eine sollte doch klar sein. Wenn ein Arzt anscheinend einen Behandlungsfehler gemacht hat, welcher zu dieser Situation geführt hat, dann muss er doch dafür die Verantwortung übernehmen. Wir sind doch keine Bananenrepublik.

Peter Tippmann - 21.12.2023

Es gibt leider immer mehr unbelehrbare Egoisten, die allen anderen Schuld zuweisen. Anstatt ihren klaren Menschenverstand zu benutzen. Wenn deine Zeit auf dieser Welt abgelaufen ist so mußt du sie verlassen, da kannst du Menschen, die helfen wollen verklagen wie du willst, das nützt dir hier auch nichts. Selbst wenn du keinen Glauben hast aber Anstand kann man wohl verlangen, aber das scheint in unseren Tagen nicht mehr gefragt zu sein. Man kann nur sagen Menschheit “quo vadis”?