Ehemann zweifelt an Hirntod: „Weitere Tumortherapie wäre möglich“

Weiden. Im Klinikum Weiden wird derzeit auf der Intensivstation eine Frau behandelt, bei der Ärzte im September den Hirntod diagnostiziert haben. Die Beatmung läuft weiter – weil die Familie an der Richtigkeit der Untersuchung zweifelt.

In den kommenden drei Jahren werden die Landkreise Neustadt/WN und Tirschenreuth sowie die Stadt Weiden 52 Millionen für die Kliniken Nordoberpfalz zur Verfügung stellen. Foto: OberpfalzECHO/David Trott

Kein Gericht wollte letztlich eine Entscheidung treffen, die dem Klinikum den Weg freimacht, die Maschinen für die Frau abzuschalten. Weder der Betreuungsrichter, noch eine Amtsrichterin, noch die 2. Zivilkammer. Die Kammer unter Vorsitz von Präsident Josef Weidensteiner lehnte am 22. November die Berufung der Kliniken Nordoberpfalz ab. Nicht alle Zweifel seien ausgeräumt. Noch vor Weihnachten verhandelt nun die 1. Zivilkammer in der Hauptsache.

17 Jahre Brustkrebs, davon 10 Jahre mit Hirnmetastasen

Dem Ehemann ist es ein Anliegen, dass man versteht, warum er so handelt. “Sie ist meine große Liebe und ich sehe Hoffnung durch den medizinischen Fortschritt auf internationaler Ebene.” Der 61-Jährige hat seine Frau durch 17 Jahre Krebserkrankung begleitet. 2006 bekam die Mutter zweier Söhne die Diagnose Brustkrebs, 2013 streute der Tumor in Gehirn und Knochen. Die Ärzte gaben ihr ein halbes bis ein Jahr Überlebenszeit. Dies sei damals für die ganze Familie eine extrem belastende Situation gewesen. “Aber wir hielten fest zusammen”, so der Ehemann.

Entgegen all dieser Prognosen hatte die Patientin noch viele gute Jahre. Sie erlebte das
Erwachsenwerden ihrer Söhne, heute Anfang 30. Sie blieb trotz vieler Behandlungen sportlich und aktiv. Täglich ging sie in Vollzeit ihrer Arbeit nach. Noch im Juli saßen sie und ihr Mann im Fahrradsattel.

“An Aufgeben war nicht zu denken”

Ihr Ehemann ist in diesen 17 Jahren ein Spezialist für die Tumorerkrankung seiner Frau geworden. Täglich befasste er sich mit neuen Behandlungsmöglichkeiten auf der ganzen Welt. Mehrmals setzte er gegenüber der Krankenkasse “Off-Label-Therapien” durch, die in anderen Ländern wie den USA schon angewandt wurden. Medikamente wurden eingeflogen.

Der internationale Fortschritt im Wissen um die Zusammenhänge der Krebserkrankung auf molekularbiologischer Ebene werde immer größer. In immer kürzeren Abständen kämen neue Medikamente auf den Markt. “An Aufgeben war nicht zu denken. Meine Frau war in all den Jahren eine absolute Kämpferin.”

Mit Klinikum Weiden erfolgversprechende Therapie begonnen

Im Jahr 2023 kam es zu einem Progress im Gehirn. Der Tumor musste mit einem Spezialgerät “ZAP-X” bestrahlt werden. Die Patientin litt an massiven Schluckbeschwerden. Eine Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme sei so gut wie nicht mehr möglich gewesen, berichtet der Ehemann. Seine Frau sei sehr schwach geworden. “Sie begab sich in die Klinik in Weiden, um dies mittels Infusionen wieder auszugleichen und auf die Beine zu kommen.” In Weiden habe sich dann herausgestellt, dass der Tumor auch im Hirnstamm eine Metastase gebildet hat. “Aber wir fanden in kürzester Zeit ein Medikament, welches sehr schnell helfen könnte.”

Wenige Tage darauf habe man gemeinsam mit einer “sehr engagierten Ärztin” die Tumortherapie begonnen. “Ich nannte sie unseren Engel”, sagt der 61-Jährige. Es habe sich schnell ein Erfolg eingestellt, was MRT-Ergebnisse belegen würden. Als nächster Schritt seien neue Therapielinien geplant gewesen, durch den Medizinischen Dienst Bayern geprüft und von der Krankenkasse genehmigt. “Die Tabletten hatte ich schon zu Hause.”

“Von heute auf morgen war alles anders”

Das gute Klima war Ende August jäh beendet. Seine Frau bekam eine schwere Lungenentzündung. Was dann folgt, ist strittig. Der Ehemann berichtet, seine Frau sei schon extubiert und wieder ansprechbar gewesen. Dann sei es auf der Intensivstation aus seiner Sicht zu einer “falschen Medikamentengabe” gekommen. Es kam zu einer umfangreichen Hirnschwellung. Am 29. August setzte der Atem aus. Das Beatmungsgerät musste komplett übernehmen. “Von einem Tag auf den anderen war dann alles anders. Die Klinik wollte sofort die Geräte abschalten.”

Die Bundesärztekammer hat zur Hirntodfeststellung eine Richtlinie aufgelegt. Generell gilt: Hirntot ist, wessen gesamtes Gehirn ohne jeden Zweifel und unumkehrbar ausgefallen ist. Die Feststellung muss von zwei Ärzten vorgenommen werden. Zum einen werden Reflexe getestet, etwa durch Leuchten ins Auge. Zum anderen werden Untersuchungen mit Apparaten gemacht: Besteht Blutzirkulation im Gehirn? Gibt es elektrische Aktivität? 

Streit um den Nachweis der Hirndurchblutung

Bei der 57-Jährigen machte man im Klinikum Weiden eine CTA (computertomografische Untersuchung) der Blutgefäße, die am 30. August eine minimale Blutzufuhr ins Gehirn ergab. Eine Ultraschalluntersuchung auf Drängen des Ehemanns ergab nach seinen Angaben eine Hirndurchblutung in weiten Teilen des Gehirns, was die erste “gerichtliche Rettung” bedeutet habe. Bei der Hirntoddiagnostik am 29. September ergab das EEG (Elektrodenmessung) dann eine Nulllinie (keine Gehirnaktivität). Die Untersuchung nahmen zwei Ärzte vor, einer vom Klinikum Weiden, ein Neurologe kam vom Klinikum Bamberg.

Im Kern streiten die Parteien um die Wiederholung der Untersuchung der Hirndurchblutung mittels Ultraschall. Bei der Patientin drückten Metastasen auf den Hirnstamm. Der Funktionsausfall könnte daher eine “reversible Ursache” haben, meint der Ehemann. Laut Richtlinie zur Hirntodfeststellung müsste in diesem Fall zwingend der Blutfluss ins Gehirn geprüft werden. “Sollte noch eine Durchblutung vorhanden sein, so würde die Patientin laut Richtlinie leben. Eine Organentnahme wäre nicht möglich”, sagt der 61-Jährige.

Klinik holt Experten für Hirntoddiagnostik

Der Ehemann ließ sich in der Gerichtsverhandlung auch von Prof. Dr. Frank Erbguth nicht überzeugen. Erbguth war 20 Jahre Leiter der Neurologie am Klinikum Nürnberg und gilt als Experte für Hirntoddiagnostik. Das Klinikum holte ihn am 21. Oktober zu einer zweiten Untersuchung zur Hirntodfeststellung ins Haus. Auch sein Ergebnis war: Die Patientin ist hirntot. “Zweifelsfrei.” Erbguth sei ein ausgewiesener Spezialist, argumentierte der Anwalt der Klinik: “Wir wollten Rechtsklarheit und zugleich signalisieren: Wir wollen hier nichts vertuschen.” Kleiner Schönheitsfehler: Die Familie wurde über die Untersuchung nicht informiert.

Erbguth warnte in der Gerichtsverhandlung vom 21. November vor möglicherweise verfälschten Ergebnissen der geforderten Ultraschall-Untersuchung. “Das tote Gehirn wandelt sich in Gallerte.” Damit schwinde der Druck, das Blut könne wieder in den Kopf fließen. Es könne ein falscher Eindruck entstehen. Wissenschaftliche Vergleichsmöglichkeiten gäbe es kaum: “Fälle, in denen Hirntote über einen so langen Zeitraum beatmet werden, sind selten.”

Aus Sicht des Mannes ein “tiefes Koma”

Was verspricht sich der Ehemann von seinem Handeln? Der 61-Jährige hält den Zustand seiner Frau für ein “tiefes Koma”, aus dem sie das Bewusstsein wieder erlangen könnte. “Wir haben noch eine Chance”, sagt er. “In dem Moment, in dem Durchblutung da ist, lebt sie noch. Wir haben ein Tumorgeschehen, das reversibel ist. Geprüfte und genehmigte Medikamente stehen zur Verfügung.”

Seine Frau zeige über die Zeit hinweg “klare Lebenszeichen”. Sie bewege den Kopf nach links und nach rechts. Sie nicke, kneife mit den Augen und hebe und senke den Unterkiefer. “Als ich ihre Wange streichelte, bewegte sie den Oberkörper.” Inzwischen darf er nicht mehr ans Krankenbett. Nach Auseinandersetzungen mit dem Personal hat die Klinik ein inzwischen gerichtlich bestätigtes Hausverbot erteilt.

Er wisse aus vielen Gesprächen mit seiner Frau, dass diese immer alle Möglichkeiten ausschöpfen wollte. Auch solch schwierige Situationen habe er mit ihr besprochen. Als ihr Vertreter will er alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen. “Es gibt eine Chance und die muss man nutzen.”

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