Holocaust-Überlebender Josef Salomonovic: eine “Kindheit” im Konzentrationslager

Der Holocaust-Überlebende Josef Salomonovic zog am Donnerstag Wirtschaftsschüler in seinen Bann. Der 85-Jährige hält sich anlässlich des Jahrestags zur Befreiung des Konzentrationslagers Flossenbürg in der Region auf (siehe Infobox).

KZ Flossenbürg Salomonovic
Josef Salomonovic zeigt seinen Löffel, den er als Kind in den Konzentrationslagern immer bei sich trug. Foto: Christine Ascherl

Weiden. Seit vielen Jahren besucht Josef Salomonovic dabei die Wirtschaftsschule in Weiden, begleitet von seiner Frau Lissi. Mit Studiendirektorin Ursula Soderer und Oberstudienrätin Sonja Messer ist er per Du. Seit dem Jahr 2000 hat der 85-Jährige aus Wien über 200 Vorträge gehalten, 16 Filme gedreht.

Auch die Neuntklässler sehen sich vorab eine Dokumentation der ARD an (“Zeuge der Zeit: Josef Salomonovic – Meine gestohlene Kindheit”). Diese Vorträge sind nicht leicht für ihn. Oft folgen schlaflose Nächte. “Angenehm ist das nachher nicht. Das Hirn verarbeitet das dann.”

Als Kind nicht gewachsen

Stellvertretender Schulleiter Dominik Schmidt dankt dem Gast: “Gerade mit Blick auf die aktuellen Ereignisse in Europa und Deutschland ist das ein wichtiger Beitrag.” Während des 40-minütigen Vortrags machen die Neuntklässler keinen Mucks. Salomonovic nimmt sie mit in seine “Nicht-Kindheit”.

Von 1941 bis 1945 war er in acht Ghettos und Konzentrationslagern. Die Prager Schuhe, die er mit drei Jahren trug, hatte er bei der Befreiung durch die Amerikaner immer noch an. Die Mangelernährung führte dazu, dass der Bub nicht wuchs.

Mit drei Jahren im Deportationszug

Salomonovic ist 1938 in Mährisch-Ostrau geboren. Die Mutter war auf einer deutschen Schule, der Vater hatte in Deutschland Ingenieurswesen studiert. Drei friedliche Lebensjahre sind dem Jungen gegönnt, dann erlebt er den Horror des Holocaust. 1941 wird die Familie ins Ghetto nach Lodz deportiert. Aus seinem Deportationszug mit 1000 Personen haben 46 den Zweiten Weltkrieg überlebt. Heute ist Salomonovic der letzte Überlebende.

Eltern und Bruder arbeiten im abgeriegelten Stadtteil von Lodz. Der Dreijährige muss sich im Zimmer verbergen. Er ist immer allein. Am Ende redet er mit seinem Spiegelbild, das er in der Fensterscheibe sieht. Als Kleinkind ist er ein “Parasit”, einer, der nicht arbeitet, nur isst.

Im September 1942 räumen die Nazis das Lager von Kindern unter 10 Jahren und Kranken. Die Familie versteckt “Pepek”, wie Josef genannt wird, auf dem Dachboden. Er muss sich auf den Boden legen und absolut ruhig sein, egal, was passiert. “Das erklären Sie mal einem Vierjährigen.” Von der Straße hört er Mütter schreien, denen die Kinder weggenommen werden.

Vater starb durch Phenol-Spritze im KZ Stutthof

Im Juni 1944 wird die Familie nach Auschwitz deportiert. An der Rampe werden Vater und Bruder von Josef und seiner Mutter getrennt. “Vater kam zu mir, umarmte mich, drückte mir die Hand. Ich habe das letzte Mal in meinem Leben seine Hand gespürt.” Der Vater Erich stirbt im September 1944 im KZ Stutthof durch eine Phenol-Spritze ins Herz.

Eingebrannt hat sich bei Josef Salomonovic die Ankunft in Auschwitz: Mit den Frauen kommt er in die “Sauna”. Die Frauen müssen sich nackt ausziehen, die Haare werden abrasiert. Der Sechsjährige hat Mühe, unter “all diesen hässlichen Frauen” seine Mutter wiederzufinden. “Ich war entsetzt, wie sie aussahen.”

Bombenangriff auf Dresden

Seiner mutigen Mutter Dora hat er letztlich sein Leben zu verdanken. Mit dem Vorrücken der Roten Armee räumt die SS die Konzentrationslager in Richtung Westen. Die drei Salomonovics kommen in ein Munitionswerk in Dresden, Außenlager des KZ Flossenbürg. Wieder muss Pepek versteckt werden. Tagsüber bleibt er im Schlafraum, beim Zählappell kauert er in einer Tonne. Als er entdeckt wird, rettet ihn ausgerechnet der Bombenangriff auf Dresden. Die Flammenhölle stürzt die Stadt ins Chaos. Die KZ-Insassen werden für Räumarbeiten abgestellt. Dora Salomonovic muss Leichen aus Kellern bergen, bei ständiger Einsturzgefahr.

Sie bringt ihren Söhnen eine Kartoffel mit, die von der Feuersbrunst durchgegart ist. Josef Salomonovic isst sie mit seinem Löffel, seinem größten Schatz, den er all die Jahre aufgehoben hat. Er hat ihn auch in der Wirtschaftsschule dabei.

Flucht auf Todesmarsch

Schließlich bleiben der Familie auch die Todesmärsche nicht erspart. Von Dresden bricht die Kolonne in das Flossenbürger Außenlager Zwodau auf. 300 Kilometer, in zwölf Tagen. “Wenn jemand nicht mehr weitergehen konnte, ist er einfach liegengeblieben. Die Menschen sind krepiert.” Josef Salomonovic erinnert sich, “wahnsinnig müde” gewesen zu sein. Nachts reißen ihm auf dem nackten Boden die Furunkel auf dem Rücken auf. Ein letztes Mal spricht er mit Gott: “Lass mich sterben.”

An einem Wald gelingt den Dreien die Flucht, ein tschechischer Eisenbahner versteckt sie die letzten Kriegstage in einer Scheune, bis die amerikanischen Panzer anrollen. Die Familie bekommt einen Eimer mit Kirschkompott, das die Buben hastig in sich hineinschütten. “Mein erster Durchfall. Damit endet für mich der Zweite Weltkrieg.”

Über seine Zeit während des Zweiten Weltkriegs hat Josef Salomonovic ganz aktuell ein Buch veröffentlicht: “Pepek – ein Kind überlebt den Holocaust” (Löcker-Verlag). Autorin ist Shoshana Duizend-Jensen. Aber was kam danach? Auch die Schüler fragen nach, wie man mit einer solchen Kindheit weiterleben kann. “Da müsste ich ein zweites Buch schreiben lassen.”

79. Jahrestag der Befreiung des KZ Flossenbürg

Ab Freitag, 19. April 2024, wird in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg ein vielfältiges Rahmenprogramm für Angehörige und Interessierte angeboten. Im “Zelt der Begegnung” können Besucher sich in entspannter Atmosphäre mit anderen Besuchern und Mitarbeitenden der Gedenkstätte austauschen und vernetzen. Im “Pop-up-Archiv” erhalten Interessierte historische Informationen und Unterstützung bei Recherchen zu ihrer Familiengeschichte.

Das komplette Programm finden Sie hier.

Wirtschaftsschule Weiden Salomonovic
Neuntklässler der Wirtschaftsschule konnten dem Holocaust-Überlebenden Fragen stellen. Foto: Christine Ascherl

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