Interview mit CSU-Bezirkschef Füracker: „Lassen uns von Aiwanger nicht erpressen“

Weiden/München. Die CSU will die Koalition mit den Freien Wählern fortsetzen. Darin besteht Einigkeit. Aber auch nicht zu jedem Preis. Bezirkschef und Finanzminister Albert Füracker zu OberpfalzECHO: „Ich lasse mich nicht erpressen.“

Finanzminister Albert Füracker im Redaktionsgespräch. Archivbild: Jürgen Herda

Nibelungentreue gut und schön. Und inhaltlich bestehen ja auch die größten Schnittmengen zwischen CSU und Freien Wählern. Manche finden sogar: zu viele. Schließlich seien manche Freie Fleisch vom eigenen Fleisch. Mancherorts auch einfach Kandidaten, die sich in der CSU nicht durchsetzen konnten und bei Aiwangers Truppe ihr Glück versuchten.

Da aber Hubert Aiwanger seit Erding, Flugblatt-Aufwind und Zugewinn bei der Wahl vor Kraft kaum mehr laufen kann, schleichen sich immer mehr Misstöne in den Dialog der bisherigen Partner ein. Darauf weist auch der Weidener Landtagsabgeordnete Stephan Oetzinger hin: „Es muss zunächst einmal die atmosphärische Basis neu geschaffen werden.“

Und auch Bayerns Heimat- und Finanzminister zeigt sich wenig amused vom Auftreten des bisherigen Wirtschaftsministers. Im Interview mit OberpfalzECHO zeigt er Hubert Aiwanger schon mal eine klare Grenze auf.

Herr Füracker, das Abschneiden Ihrer CSU, die das Ergebnis von 2018 annähernd halten konnte, war vor dem Hintergrund der Turbulenzen der vergangenen Wochen ganz ordentlich, oder wie beurteilen Sie die glatten 37 Prozent?

Albert Füracker: Das kann man so sagen. Vor allen Dingen nach dieser Sondersituation in den vergangenen sechs Wochen, von der die Freien Wähler auch noch profitiert haben. Das muss man sich einmal vorstellen: Wegen eines 35 Jahre alten, antisemitischen Flugblatts, welches angeblich durch den Bruder des Parteivorsitzenden der Freien Wähler verfasst wurde, profitiert diese Partei ohne jegliche eigene Leistung. Unter diesen Vorzeichen sind die gehaltenen 37 Prozent ein stabiles Ergebnis.

Jetzt fordert aber Hubert Aiwanger bereits ein viertes Ministerium, da seine Partei Gewinner innerhalb der Koalition sei. Hat er damit Erfolg?

Füracker: Zunächst einmal hat Hubert Aiwanger einiges an Vertrauen verspielt. Da gibt es viel zu reden. Wir müssen uns in den Verhandlungen erst einmal wieder annähern. Wir sind da nicht erpressbar. Auf gut bairisch gesagt: Es ist einfach ein Kaas, als Erstes über Posten zu reden. Erst einmal müssen wir uns die Leistungsbilanz der Ministerien anschauen, dann, was wir weiter vorhaben und wie wir das Geld dafür aufbringen. Das wird kein Selbstläufer. Es ist zwar richtig, dass wir einen Koalitionspartner brauchen. Aber auch er kann ohne uns nicht regieren. Eine völlig andere Situation wäre es, wenn seine Stimmengewinne auf einer tadellosen Leistung beruhen würden. Aber nur wegen eines solchen Flugblatts sehe ich keinen Grund für ein zusätzliches Ministerium. Wie gesagt: Wir sind nicht erpressbar.

Oberpfälzer CSU-Bezirkschef Albert Füracker hat auch schwarzen Humor. Archivbild: Jürgen Herda

Anders sieht es bei Ihnen aus: Sie haben in Ihrem Stimmkreis als Stimmenkönig noch einmal zugelegt und ihn mit 51,3 Prozent verteidigt – 14 Prozent über dem Landesschnitt. Offensichtlich kommt ihre zupackende Art, geradeheraus zu reden und zu handeln, bei den Leuten gut an. Mit anderen Worten: Sie sind kein Schönredner, sondern Praktiker …

Füracker: (lacht) Ja, Schauspieler bin ich wirklich nicht. Es ist tatsächlich sehr erfreulich, dass ich auch oberpfalzweit 159.000 Stimmen erhalten habe, das sind rund 20 Prozent mehr als 2018. Da fühlt man sich schon in seinem Handeln bestätigt. Aber das ist kein Grund, abzuheben. Ich bleibe auf dem Teppich.

Markus Söder hat in einer ersten Reaktion nach der Wahl gefordert, dass jetzt das Thema Migration angepackt werden müsse – aber das ist erstens kein bayerisches Thema, zweitens sind Abschiebungen etwa von Menschen ohne Pass gar nicht möglich, wenn die Herkunftsländer das ablehnen. Und drittens verheißt der Blick auf die Weltlage auch nicht gerade einen Rückgang der Fluchtgründe. Was kann Bayern da aus Ihrer Sicht leisten?

Füracker: Diese Aufgabe liegt in erster Linie beim Bund. Bayern allein kann das nicht lösen. Wir können teilweise Abschiebungen durchsetzen, könnten auch Sachleistungen statt Geld einführen – aber auch das ist alles nicht so einfach zu organisieren, wie manche glauben. Klar ist aber auch: Es muss sich was tun, weil die Verweigerungshaltung der Bundesregierung oder Teilen davon, die extremistischen Ränder wie die AfD stärkt. Die Migration muss so gut es geht auf europäischer Ebene organisiert werden, aber auch der Bund ist gefragt. Immer nur auf die EU zu warten, und teilweise sogar Lösungen zu blockieren, ist der falsche Weg. Wir müssen die Debatte in aller Deutlichkeit führen, damit wirklich was geschieht. Schönreden, wie wir es zuletzt aus verschiedenen Ampelparteien gehört haben, bringt gar nichts.

Was haben Sie sich selbst für diese Legislaturperiode vorgenommen?

Füracker: Vorausgesetzt, ich werde wieder Finanzminister, werde ich mich weiter darum kümmern, einen stabilen Haushalt aufzustellen. Das ist bei zurückgehenden Steuereinnahmen und einer Rezession eine große Herausforderung. Deshalb brauchen wir ein schnelles Wirtschaftswachstum – so wie Länder um Deutschland herum.

Wie wollen Sie das erreichen? Ein Kommentator des „Münchener Merkur“ gibt Ihrer Koalition in Bayern aufgrund der Überalterung der Wähler von CSU und Freien Wählern noch eine Chance, um das Land zu entbürokratisieren – Edmund Stoiber ist das zumindest auf europäischer Ebene nicht gelungen …

Füracker: Oh mei, Herr Herda, da sagen Sie was. Das Thema Entbürokratisierung muss ganz weit oben auf die Agenda – und zwar dringend. Schauen Sie, in Bayern haben wir die Grundsteuer massiv entbürokratisiert. Das wird aber nicht von jedem so wahrgenommen. Auf der anderen Seite wollen die Menschen Rechtssicherheit. Das ist ja auch verständlich. Jeder möchte sich absichern, sonst drohen Anzeigen und Strafen. Wir träumen davon, dass es Sicherheit in jeder Lebenslage gibt. Wenn der Maibaum umfällt, und jemanden erschlägt, wird der verklagt, der ihn aufgestellt hat. Aber 100-prozentige Rechtssicherheit und minimale Bürokratie schließen sich oft aus.

Mit anderen Worten: Wir erleben ein Dilemma. Einerseits klagen die kleinen Bäcker und Metzger, dass sie die ganzen Vorgaben nicht mehr erfüllen können, andererseits wollen die Bürger zwar einerseits, den kleinen, regionalen Handwerker, aber eben auch strenge Hygienekontrollen?

Füracker: So ist es. Die Bauern klagen, dass sie ständig kontrolliert werden. Wenn dann aber ein Landwirt im Allgäu, der eine Schande für seinen Berufsstand ist, seine Kühe verhungern lässt, fragen wieder alle: „Wie konnte das passieren?“ Wenn wir aus diesem Dilemma rauswollen, müssen wir auch die gesellschaftlichen Anforderungen verändern.

Die Gesellschaft verändern, da haben sich schon die Philosophen vieler Jahrhunderte die Zähne ausgebissen – das wird kein Spaziergang …

Füracker: Deshalb sage ich ja, ich kümmere mich um einen soliden Haushalt. Wir müssen in Bayern schauen, dass wir die Wirtschaft wieder zum Laufen kriegen – dazu brauchen wir günstige Energie, eine Senkung des Strompreises, eine Unternehmenssteuerreform …

Und das wollen Sie alles in Bayern anpacken?

Füracker: Wir werden steuerpolitisch in Bayern tätig, so gut es geht. Jawohl.

Kommentar: Aufgemerkt, Aiwanger – darauf kann man stolz sein!

Es gibt viele gute Gründe, auf die eigene Leistung stolz zu sein. So könnten beispielsweise die knapp 90.000 Pflegekräfte in Bayern stolz darauf sein, dass sie sich trotz Personalmangels und Unterbezahlung für ihre Patienten zerreißen.

Das Gleiche könnte man von den gut 40.000 bayerischen Polizisten, über 330.000 Feuerwehrleuten oder rund 10.000 Rettungskräften sagen, die ihren Kopf für die Sicherheit der Bürger und in manchen Fällen für das Überleben von Opfern hinhalten – und sich dafür immer öfter auch noch anpöbeln lassen müssen.

Sie alle leisten etwas für die Gemeinschaft. Und das wollen wir auch vielen Politikern in keinster Weise absprechen: Unseren Bürgermeistern, die sich oft genug ehrenamtlich Nächte um die Ohren schlagen, um bei ihren Vereinen präsent zu sein, und tagsüber den Bürgern bei ihren Anliegen weiterhelfen.

Nicht stolz sein braucht dagegen Hubert Aiwanger auf die angebliche Jugendsünde, die er nicht begangen haben will – und für die er in Märtyrerpose dennoch fleißig Stimmen einsammelte. Die möchte der neunmalkluge Freie-Wähler-Chef jetzt auch noch gegen ein viertes Ministerium eintauschen.

Wenn er sich da nur mal nicht täuscht. Denn der Unmut der CSU wächst. Der Oberpfälzer CSU-Chef Albert Füracker sagt klar: „Wir lassen uns nicht erpressen!“ Schon gar nicht von einem, dessen größte Leistung in diesem Wahlkampf ein Flugblatt vor 35 Jahren war, das er nicht geschrieben haben will.

Und Markus Söder hat bisher lediglich eine Koalition mit AfD und Grünen ausgeschlossen. Nicht aber mit der gerupften SPD. Die könnte ihr Glück kaum fassen, wenn sie statt kleinste Oppositionspartei plötzlich Mini-Regierungspartei würde – und die Sozis wären bestimmt schon mit zwei Ministerien überglücklich. Zugegeben: Die kleinstmögliche Koalition hätte dann zwar mit 102 zu 101 Sitzen nur einen über den Durst. Aber immer noch besser als sich erpressbar zu machen.

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