Stimmen zur Wahl: Stimmenkönig Füracker, souveräner Oetzinger, Zitterpartien mit Happyend für Weber und Bäumler

Weiden. Albert Füracker bleibt Stimmenkönig in Bayern. Gegen den Trend kann der Oberpfälzer CSU-Chef sein Ergebnis sogar ausbauen. Der Finanz- und Heimatminister ist damit so was wie das personifizierte Gegengift gegen Politikverdrossenheit: hemdsärmlig, knorrig, zupackend.

Ministerpräsident Markus Söder gratuliert Stimmenkönig Albert Füracker zur Wiederwahl als Oberpfälzer CSU-Bezirkschef. Archivbild: Jürgen Herda

Nach der Landtagswahl in Bayern und Hessen ist Zeit für verhaltene Freude und Wundenlecken. In beiden Ländern wurde die Berliner Ampelkoalition brutal abgestraft. Ob zu Recht oder Unrecht liegt im Auge des Betrachters: Die Kanzlerpartei SPD befindet sich in Schockstarre, die FDP ist abgestürzt, die Grünen kommen mit einem blauen Auge davon – was sie in erster Linie jüngeren Wählern, Städtern und Akademikern zu verdanken haben.

In Bayern profitiert Markus Söders CSU anders als die CDU in Hessen nicht vom Ampel-Verdruss. Während die Schwesterpartei seines Ministerpräsidentenkollegen Boris Rhein um 7,6 Prozent zulegt, fährt Söder das schlechteste Ergebnis der CSU seit 1950 ein. Das liegt auch an bayerischen Sonderbedingungen. Wie etwa dem Aufschwung für Hubert Aiwangers Freie Wähler (Platz 2) gerade wegen der Debatte um das antisemitische Flugblatt. Trotz deren rechter Bindungskräfte rückt die AfD mit 14,6 Prozent auf Platz 3 vor.

Neben diesen hausgemachten Themen ist aber auch Bayern keine Insel der Seligen. Auch hier ärgern sich Wähler über lange Behördenwege, eine teils widersprüchliche Rechtsprechung und leiden unter den Folgen von Energiekrise, Inflation, Pflegenotstand, Baustillstand, Rezession und Klimaturbulenzen.

Füracker verspricht nicht das Weißblaue vom Himmel

Wenn vor diesem Hintergrund der Oberpfälzer CSU-Bezirkschef laut vorläufigem Endergebnis in Neumarkt auf 51,3 Prozent der Erststimmen kommt, lässt das aufhorchen. Albert Füracker deklassiert den zweitplatzierten Kandidaten um 36 Prozentpunkte und übertrifft damit sogar sein Stimmkönig-Ergebnis von der Wahl 2018, als der Heimat- und Finanzminister mit 50,3 Prozent das beste Ergebnis in Bayern einfuhr.

Offensichtlich kommt der gelernte Landwirt mit seiner hemdsärmeligen, manchmal knorrigen, immer aber hinterkünftig humorvollen Art auch in Zeiten verschärfter Politikverdrossenheit bei den Wählern an – gerade weil er nicht das Weiß-Blaue vom bayerischen Himmel verspricht. Auch wenn er als Finanzminister öfter „nein“ sagt, als manchen Bürgermeistern lieb ist – man weiß, dass man sich auf das Wort des Degerndorfers verlassen kann.

Klatschen sich gegenseitig ab: Wahlgewinner Lothar Höher (links) und Stephan Oetzinger. Bild: Jürgen Herda

Oetzinger: „Neue Basis nach Erdinger Misstönen schaffen“

Souverän mit 41,4 Prozent der Erststimmen hat auch Stephan Oetzinger sein Weidener Landtagsmandat verteidigt: „Unser Ergebnis im Stimmkreis ist sehr gut“, sagt der promovierte Historiker zu OberpfalzECHO. „Wir liegen über dem bayerischen Durchschnitt und konnten auf das Ergebnis vom letzten Mal noch etwas draufsatteln.“ Das zeige: „Wir haben einiges bewegt, das war eine gute Mannschaftsleistung.“ Am morgigen Dienstag gehe es zur ersten Fraktionssitzung: „Dann geht es darum, in Koalitionsverhandlungen mit dem alten und wahrscheinlich auch neuen Partner, den Freien Wählern, einzutreten.“

Dafür müsse zunächst die atmosphärische Basis geschaffen werden, nach den Misstönen im Zusammenhang mit Hubert Aiwangers Rede in Erding. „Die Tonalität war sicher auch dem Wahlkampf geschuldet.“ Man müsse ja eines sehen: „Wir waren die vergangenen fünf Jahre deshalb so erfolgreich, weil es eine geräuschlose Koalition war, die ohne große Streitereien Lösungen für unser Land in den Mittelpunkt stellte.“ Dann gehe es um Inhalte und zum Schluss erst um Köpfe. „Rein rechnerisch, wenn man das Verhältnis der Mandate betrachtet, sollten die Freien Wähler eigentlich nicht mehr Ministerien bekommen.“ Man vertrete bisher die Linie, das Landwirtschaftsministerium, auf das Aiwanger schiele, nicht abzugeben.

Migration und Oberpfälzer Themen

Wie Ministerpräsident Markus Söder erkennt auch Oetzinger im Wahlergebnis den Auftrag, das Thema Migration anzupacken: „Alle Parteien, auch die der Bundesregierung mit Ausnahme der Grünen, sind sich da einig.“ Man wolle dabei aber nicht auf die AfD zuzugehen, sondern an den eigenen Positionen festhalten: „Also etwa, wie reguliere ich die Migration?“ Der Asylkompromiss der EU sei bisher an Deutschland gescheitert. „Das ist eine Geschichte, die man auf europäischer Ebene lösen muss.“

Für die Region will Oetzinger „Themen, die wir in den letzten Jahren angestoßen haben, weiter vorantreiben“. Dazu zählt er: „Den weiteren Ausbau und Sanierungsmaßnahmen der OTH.“ Konkret habe man ein Studentenhaus in der Pipeline. „Wir wollen das Projekt Denkwelt wieder aufgreifen, das LTO sichern und natürlich auch die Verlagerung des Landesamtes für Finanzen zu einem guten Ende bringen – da sind wir mit dem Mietvertrag auf einem guten Weg.“

Weber trotz Grünen-Bashing im Landtag

Schwere Partie für Weidens Grünen-Kandidatin Laura Weber: Bei der ersten Prognose des Bayerischen Rundfunks sieht es für die Grünen noch nach Platz 2 hinter der CSU aus. Doch der Vorsprung schmilzt von Hochrechnung zu Hochrechnung – bis die Öko-Partei schließlich noch hinter der AfD auf Platz 4 landet. Und selbst die Nordoberpfälzer Spitzenkandidatin muss zittern: Erst am Montagvormittag ist sicher: Die 39-jährige Umweltingenieurin darf ihr Know-how in den neuen Landtag einbringen.

Entsprechend gedämpft ist die Stimmung auf der Grünen-Wahlparty im Nebenzimmer des Bräuwirts. Landesweit verschlechtern sich die Grünen von 17,6 auf 14,4 Prozent, in Weiden von 10 auf 7,3 Prozent. „Gut ist das nicht“, räumt Weber ein, „aber damit müssen wir halt leben.“ Immerhin ist Grünen-Bezirkstagskandidat Ali Zant mit dem Gesamtergebnis vor dem Hintergrund des allgegenwärtigen Grünen-Bashings einigermaßen zufrieden.

Bäumler knapp drin, Birner entsetzt

Für die Weidener SPD-Landtagskandidatin Nicole Bäumler sind die vergangenen 24 Stunden eine Achterbahnfahrt der Gefühle: „Ich habe versucht ruhig zu bleiben, bis jede Stimme ausgezählt ist“, sagt sie zu OberpfalzECHO. „Seit rund 90 Minuten steht fest, dass ich gerade noch so in den Landtag einziehe – seitdem hört das Telefon nicht mehr auf zu läuten.“ Ihr Einzug ins Maximilianeum täusche freilich nicht über das erschreckend schwache SPD-Ergebnis (9,5 Prozent der Erststimmen) hinweg. „Wir sind lange zusammengesessen, und haben uns vorgenommen, zeitnah die Konsequenzen zu diskutieren.“

Den gesamten Wahlkampf hätten Bundesthemen alles andere überlagert. Die Meinungen an den Infoständen seien geteilt gewesen: „Die eine Hälfte war bereit, sich das Heizungsgesetz erklären zu lassen, die andere wollte vor allem Frust abladen.“ Im Fokus der Diskussion: „Hauptsächlich Migration und das Gebäudeenergiegesetz.“ SPD-Bezirkstagskandidat Christoph Birner hat den Wahlschock dagegen noch nicht verdaut: „Ich bin momentan über meine Heimatstadt entsetzt“, sagt der Arzt am Klinikum. „Weiden wird eine neue AfD-Hochburg.“

Skutellas Trost in der Musik

„Wir konnten mit landespolitischen Themen einfach nicht durchdringen“, ist der bisherige FDP-Landtagsabgeordnete Christoph Skutella über das Ausscheiden seiner Partei aus dem Landtag bitter enttäuscht. „Bei jeder Debatte auch im Landtag standen Ampelthemen im Fokus.“ Tatsächlich hätte die Berliner Fortschrittskoalition aus Sicht des Medienpolitikers auch Erfolge zu vermelden gehabt. „Wenn ich aber am Infostand alles erklären muss, was sich auch positiv verändert, bleibt kein Platz mehr für die Landespolitik.“

Seine Enttäuschung sei massiv: „Ich hatte immer großen Respekt vor dem Mandat, und habe mich mit großer Freude im Landtag eingesetzt“, sagt der Weidener. „Aber ich werde mich auch künftig nicht von der Politik verabschieden.“ Als Freiberufler wolle er sich jetzt wieder stärker auf seine Musikschüler konzentrieren. „Vielleicht ergibt sich auch noch was ganz anderes, man wird sehen.“

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