Schobers Rock-Kolumne: Singende Dichterin, morbides Brummen und Schweizer Almdudler

Parkstein. Er hat sie alle geholt: Konzertveranstalter Hubert Schober brachte Rio Reiser oder Manfred Man nach Weiden. Der gelernte Sozialpädagoge veranstaltete international erfolgreiche Shows wie die Circus-Produktion Mother Africa. Für OberpfalzECHO rezensiert er musikalische Neuerscheinungen und Evergreens.

Hubert Schobers bunter Sommermischung. Collage: jrh

Bald ist es 30 Jahre her, dass die Lady of Song oder schlicht Queen of Jazz, Ella Fitzgerald verstarb. Ihr Repertoire reichte von Swing über Bebop, Blues, Bossa Nova, Samba, Gospel bis hin zu verjazzten Weihnachtsliedern. Ähnlich vielseitig ist auch die Sängerin Robin McKelle unterwegs, die jetzt ihrem Idol mit „Impressions Of Ella“ (Believe) huldigt.

Mit Kenny Washington am Schlagzeug, Peter Washington am Bass und NEA-Jazz-Master Kenny Barron am Klavier versucht sie erst gar nicht plump zu kopieren, bewegt sich vielmehr weit weg vom Original und trifft so doch ihren eignen Ton. Bei „I Won´t Dance“ ist als Gast Grammy Gewinner Kurt Elling an der Gitarre mit dabei, überhaupt erschließt sich die Qualität dieser ausgezeichneten Jazz-Platte erst durch die furiose Spielfreude ihrer Mitwirkenden.

Mega Bogs Weltenende

Eine interessante Sängerin ist auch Erin Elizabeth Birgy. Sie schreibt ihre Lieder aber selbst und hat jüngst sogar ihren ersten Gedichtband veröffentlicht. Mega Bog heißt das Musikprojekt dahinter, auf dem sich vor allem jede Menge Synthesizer und sonstige Tasteninstrumente die Hand reichen. Das „End Of Everything“ (Bertus) – damit nimmt die Künstlerin Bezug auf die Waldbrände in ihrer kalifornischen Heimat und auf die vielen Covid-Opfer – wird in pompösen Synthi-Pop gepackt, der selten vor großen Gesten haltmacht. 

„The Wall“ von Pink Floyd fällt einem dazu ein oder auch „Hounds Of Love“ von Kate Bush. Wo diese zu gefällig werden, streut Birgy immer wieder eine gute Prise Avantgarde ein und erschafft so große Klangkunst, die ohne Stimme wie eine Art Installation wirkt.

Sanfter Sunde

Zuletzt sang Jonathan Edward Sunde, kurz J.E. Sunde, noch neun Songs über die Liebe. Jetzt gibt es welche zu „Alice, Gloria And Jon“ (Vietnam Rec). Zuletzt wurde dazu noch die Americana-Musiktruhe bemüht, jetzt kollidieren Synthis und eine Ahnung von Folk zu kompetenten Pop-Arrangements. Sundes Stimme ist ziemlich sanft, ja weich und hat – leider muss man es so sagen – ab und an auch etwas Weinerliches („Stop Caring“). 

„Turn The Radio On“ ist dann nicht so knackig funk-rockig wie es einst The Cadillac Three besungen haben, dafür gibt es jetzt eine lustige kleine Kinderzimmer-Melodie dazu und in der „Blind Curve“ treffen Bon Iver und Paul Simon aufeinander. Der Singer/Songwriter aus Minneapolis kann aber auch einfach nur elegant auf der Gitarre spielen, wie der „Morning“ zeigt.

Morbides BDRMM

So entspannt geht es bei BDRMM (wie bitte, was soll das heißen?) nicht zu. Die Kapelle aus Hull wütet stoisch zwischen diversen Polen, die Shoegaze, Dream-Pop, Synthi-Pop, Electro, Kraut-, Post-Rock und Wave heißen. 

„I Don´t Know“ (PIAS) ist denn auch ihr neues Album betitelt, so ganz geheuer ist den Jungs das eigene Schaffen also wohl auch nicht. Vereinendes Element ist die dunkle, morbide Grundstimmung, da kann der Sommer noch so schön werden, mit dieser Musik überhitzt man sich gewiss nicht.

Schweizer Bergmusi

Die Kollegen von District Five aus Zürich mögen es zwar auch gerne mal stoisch, nur wird hier nicht auf die Füße, sondern in die Ferne geblickt, und obgleich die in der Heimat ja gerne mal von Bergen verstellt wird (es sei denn, man befindet sich gerade auf einem der vielen), zeitigt dieser Fernblick auf „Pause“ (A Tree In A Field Records) doch so manches. 

Hip-Hop wird da ebenso gesichtet wie Dub- & Afro-Pop, Post-Punk, Free Jazz, Kraut-Rock, Spoken Word-Performances und weiß der Geier was. Die Jungs experimentieren einfach wild darauf los und kreieren wunderbar groovende Endlos-Jams wie einst die Allman Brothers, Grateful Dead – oder auch Amon Düül.

Isbells Redneck-Provokationen

Nach derlei dreister Vielfalt dürstet es das überbeanspruchte Ohr nach ein wenig Bodenständigkeit. Keinen besseren konnte man da aktuell als Jason Isbell finden. Der progressive Traditionalist aus dem Süden der USA eckt gerne mit seinen engagierten Texten gegen Rassismus, Umweltzerstörung und Sexismus im konservativen Country-Lager an – und scheint diese Rebellen-Rolle zu genießen. 

Ehefrau Amanda Shires und natürlich seine grandiose Band, The Unit 400 – sie spielen inzwischen ähnlich traumwandlerisch zusammen wie Crazy Horse – stehen dem aufrechten Recken bei „Weathervanes“ (Thirty Tigers) zur Seite und brennen ein Americana- und Rock-Feuerwerk voller feiner Finessen ab.

Schobers unglaubliches Lexikon hochtrabender
Rock-Pop-Punk-Begriffe

Art-Pop: Hat seine Ursprünge nicht etwa im dritten Studioalbum von Lady Gaga. Als in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Grenzen zwischen Kunst und Popmusik verschwimmen, und John Lennon, Syd Barrett, Pete Townshend, Brian Eno und Bryan Ferry beginnen, sich von ihrem früheren Kunstschulstudium inspirieren zu lassen, ist eine Ausprägung des Art-Pop geboren. In den USA wird er von Bob Dylan und der Beat Generation beeinflusst und durch die Singer-Songwriter-Bewegung auch literarisch überformt. Die psychedelische Bewegung der 1960er Jahre bringt Kunst und Kommerz zusammen und stellt die Frage, was es bedeutet, Künstler in einem Massenmedium zu sein. In den frühen 1970er Jahre wird Progressive/Art Rock der kommerziell erfolgreichste Sound Großbritanniens.

Bossa Nova: Stilrichtung in der brasilianischen Musik und ein Tanzstil. Ursprünglich der Name einer Bewegung, die in den späten 1950er Jahren in Brasilien entstand. Als Geburtsort gilt Beco das Garrafas an der Copacabana. In einem sehr modernen gesellschaftlichen Klima wurde in der gebildeten Mittelschicht mit neuen Formen und Ausdrucksweisen in Musik und Film experimentiert. Als erster Bossa-Nova-Song gilt Chega de Saudade, geschrieben von Antônio Carlos Jobim (Musik) und Vinícius de Moraes (Text) und bekannt geworden in der Interpretation von João Gilberto (Single 1958 und anschließend gleichnamiges Album). Den weltweiten Durchbruch erzielte die Musik mit der Verfilmung Orfeu Negro von Marcel Camus (1958-59). Die Orpheus-Sage findet dort vor dem Hintergrund des brasilianischen Karnevals statt. Im Soundtrack kontrastiert eine Mischung aus schnellen Sambarhythmen neben sparsam arrangierten Gitarrenstücken von Luiz Bonfá und Antônio Carlos Jobim.

Call and Response: Ein musikalisches Muster, das auf dem Ruf (Call) eines Vorsängers und der darauf folgenden Antwort (Response) des Chors basiert. Dieses kurzphasige Responsorium gilt in weiten Teilen der musikwissenschaftlichen Literatur als ein charakteristisches musikalisches Merkmal traditioneller afrikanischer Musik und gehört zudem „als formbildendes Prinzip zu den elementaren Gestaltungsmitteln afro-amerikanischer Musik.“ Dieses Prinzip wurde in Nord- und Lateinamerika in verschiedenen afroamerikanischen Musikgenres von der vokalen auf die Instrumentalmusik übertragen, etwa auf Trommeln in der brasilianischen Musik.

DIY-Szene: Do it yourself, abgekürzt DIY, ist eine Phrase aus dem Englischen und bedeutet übersetzt Mach es selbst. Im musischen Sinn versteht man darunter das Konzept eines Sets von ästhetisch-ethischen Grundsätzen alternativer Musik.

Dub-Reggae: Ursprüngliche Reggae-Songs werden als Rohmaterial verwendet und mit Effekten versehen neu abgemischt. Eine Machart, die bereits in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren auf Jamaika entstand. Erlebt eine Wiedergeburt im Bereich elektronischer Tanzmusik.

Elektro-Boogie: Auch Electric Boogaloo, nicht zu verwechseln mit Onkel Martins Boogie-Woogie auf der Hammond-Orgel, ist eine um 1975 in Fresno (Kalifornien) entwickelte Tanzrichtung, die unabhängig in New York Blüten treibt und ein Element des Funk und des Streetdance ist. Die Old School des Hip-Hop-Tanzes, wird auf Robot reduziert, weil das Imitieren eines Roboters Teil der Performance ist. Eng verwandt ist der Electric Boogie mit Popping, weist aber auch signifikante eigene Bewegungen auf, wie etwa die Illusion von Wellen, die durch den Körper fließen (was häufig mit Popping gemischt wurde, um den „Electric Boogaloo“-Effekt zu verstärken).

Garagen-Psychedelic: Unterabteilung des Garage-Rock, Garage Punk oder Sixties Punk. Mit den letzteren wird ein nachträglicher Bezug zum Punkrock der 1970er Jahre hergestellt. Weitere alternative Bezeichnungen sind Freakbeat für überwiegend britische Bands sowie Acid Rock für die psychedelische Phase.

Garagen-Trash: Sind keineswegs die alten, verrosteten Benzinkanister, die im Zeitalter der E-Mobilität überflüssig sind, und die vergessenen Reste von Entfroster fürs Kühlwasser, also das Sammelsurium, das so in der Garage rumliegt, sondern ein Musikstil abgefuckter Punks, die keinen besseren Übungsraum als die Garage des Redneck-Dads am Stadtrand von Sydney finden, wo sich beispielsweise die Hard-Ons gründeten. The Trashwomen aus San Francisco beweisen, dass auch Frauen zu infernalischen Punk-Kakophonien in der Lage sind.

Glam-Rock: Ein weiteres Subgenre der Rockmusik, bei der sowohl die Musik als auch der Bühnenauftritt sehr opulent ausfallen. Glam Rock ist Anfang der 1970er Jahre besonders in Great Britain sehr populär – als Kontrapunkt zum Artrock von Pink Floyd, King Crimson, Yes oder Genesis. Erlebt in den 1980ern als Glam Metal eine Renaissance.

Grunge: Rockmusik-Genre und Subkultur, die klingt, wie sie heißt – zu deutsch „Schmuddel“, „Dreck“. Hervorgebracht durch die US-Undergroundbewegung in den 1990er-Jahren. Grunge, auch als Seattle-Sound, wird als Vermischung von Punkrock, Underground-Garagenrock und Hardrock beschrieben. Die frühe Grunge-Bewegung drehte sich um Seattles unabhängiges Plattenlabel Sub Pop und die Underground-Musikszene der Region.

Post-Punk: Taucht erstmals 1977 in dem britischen Musikmagazin Sounds auf, um die schrägen Töne von Siouxsie and the Banshees zu beschreiben. 1980 beschreibt der Kritiker Greil Marcus in einem Rolling-Stone-Artikel Bands wie Gang of FourThe Raincoats oder Essential Logic als „britische Postpunk Pop-Avantgarde“. Post-Punk gilt als experimentierfreudig und bunte Mischung aus Krautrock, des Dub, Disco und elektronischer Musik.

Progressive Rock (auch Prog oder Progrock): Entstand Ende der 1960er Jahre, als Musiker Rockmusik um stilistische Merkmale anderer musikalischer Gattungen ergänzten. Dabei wurden Kompositionsweisen und Harmonik aus der abendländischen Klassik einbezogen. Die Bands griffen auch auf Einflüsse aus Jazz (Jazzrock) und nicht-westlichen Formen zurück (Weltmusik). Der Musiker Keith Emerson beschreibt das von ihm mitgestaltete Genre als durch ein fortschreitendes Spiel mit musikalischen Ideen geprägt: „Es ist Musik, die fortschreitet. Sie nimmt eine Idee und entwickelt sie, statt sie einfach zu wiederholen. Pop-Songs bestehen aus Wiederholung, Riffs und Einfachheit. Progressive Musik nimmt ein Riff, kehrt sein Inneres nach außen, stellt es auf den Kopf, spielt es dann wieder andersherum und erkundet so sein Potenzial.“

Proto-Punk: Adelstitel für die Wegbereiter des Punk und Erfinder minimalistischer Gitarren-Riffs wie The Velvet UndergroundMC5The DictatorsThe Stooges, die New York DollsThe MonksMott the Hoople oder The Sonics – bereits in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre.

Sleaze-Rock: „Sleazy“ heißt so viel wie „schäbig“ assoziiert auch mit Abschaum. Sleaze Rock leitet sich vom Image der Sleaze-Rock-Bands ab, die eine rebellische Underdog-Mentalität pflegen und sich mit Tätowierungen, abgerissenen Lederjacken, zerrissenen Jeans und Netzhemdenvom Glam Metal abgrenzen. Dem Sleazerock wird vorgeworfen, altes Bier in neuen Fässern zu sein. Bands wie Guns N’ Roses, L.A. Guns oder Faster Pussycat vermischen Hardrock mit Elementen des Bluesrock, Metal, Garage Rock und Punkrock.

Wave: Kurzwort für New Wave, eine Dachbezeichnung für mehrere, mit der New Wave zusammenhängende Teilgebiete der Musik, die bspw. als Cold Wave, Dark Wave, Doom Wave, Electro Wave, Ethereal Wave und Gothic Wave bezeichnet werden. Seit der zweiten Hälfte der 1980er wird von der Musikpresse der Ausdruck „Post-Wave“ genutzt. Dieser bezeichnet das musikalische Output und die kulturellen Neuerungen nach dem Ausklingen der Wave-Ära. Da sich die Wave-Bewegung allerdings in verschiedene Strömungen und chronologisch voneinander abweichende Etappen gliedert (z. B. New Wave, Electro Wave, Cold Wave und Neue Deutsche Welle), erweist es sich häufig als schwierig, Post-Wave zeitlich zu erfassen. Grob umrissen wird dabei jedoch die Zeit ab den späten 1980ern mit dem Aufleben von Musikrichtungen wie Madchester, Shoegazing, Acid House, Techno, Grunge oder Britpop in Europa.

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