Schobers Rock-Kolumne: verkannte fränkische Propheten, semi-italo Requiem, Kammerpop-Bowie und barocker Folk

Parkstein. Er hat sie alle geholt: Konzertveranstalter Hubert Schober brachte Rio Reiser oder Manfred Man nach Weiden. Der gelernte Sozialpädagoge veranstaltete international erfolgreiche Shows wie die Circus-Produktion Mother Africa. Für OberpfalzECHO rezensiert er musikalische Neuerscheinungen und Evergreens.

Mit dabei bei Hubert Schobers unbezahlbaren Musiktipps: Robocop Kraus, Jonathan Bree und Monument. Bild-Collage: Schober/jrh

Die Geschichte vom Propheten im eigenen Lande ist hinlänglich erzählt. So ist es auch nicht überliefert, dass die feine Kapelle Robocop Kraus aus dem nahen Hersbruck jemals in Amberg, geschweige denn Weiden gastiert hätte. Selbst in Nürnberg waren ihre Auftritte gezählt, dafür war man mit Art Brut auf großer US-Tournee. Vielleicht ein Grund für das nunmehr fünfzehnjährige Schweigen. Die Franken nehmen es gelassen und betiteln das neue Werk schlicht „Smile“ (Tapete).

Man ist damit nicht etwa in den frühen 2000ern stehen geblieben, sondern bereits viel früher. Post-Punk, New Wave, NDW sind die Bezugspunkte, namentlich die Talking Heads, der Jazz Butcher, Franz Ferdinand oder Devo. Nur wer gerne mal ganz nostalgisch das Tanzbein schwingen mag, ist bei Robocop Kraus bestens aufgehoben.

Emma verarbeitet Tod des Vaters

Erschöpft vom Tanzen pflanzt man sich auf die Couch und hört sich mal an, was passiert, wenn eine Künstlerin tagsüber Frank O’Hara liest und nachts Can, Neu! und das Brian Jonestown Massacre hört, um sich Inspirationen für „Aspirin Sun“ (Bella Union) zu holen. Dass nun von diesen Quellen schon rein überhaupt nichts Einzug in den von Steve Shelley (Sonic Youth), Jason Victor (Dream Syndicate) und Bassist Pete Galub umgesetzten Sound gefunden hat, verblüfft. 

Dafür hören wir bei Emma Triccas neuem Werk auch klassische italienische Melodien von Morricone, Puccini bis hin zu Rossini. Tricca ist nämlich halbe Italienerin und verarbeitet hier auch den Tod des geliebten Vaters. Eine reine Trauer-Platte ist es trotz aller Moll-Töne, trotz des gedämpften Temperaments aber auch nicht geworden. Karen Dalton und Fiona Apple sind nah, Nick Drake sieht von oben zu.

Kammerpop-Künstler Bree klingt wie Bowie

Wenn’s ums Leisetreten geht, kann unser Maskenmann und Bariton Jonathan Bree locker mithalten. Auch hier kommt selten Hektik auf, wobei Überraschungsgast Nile Rodgers ein paar angefunkte Gitarren-Licks beisteuert, sodass „Pre-Code Hollywood“ (so auch der Platten-Titel über Cargo) fast wie ein vergessener David Bowie-Song klingt. 

Dort Folk, hier deutlich mehr Pop (-Noir) und auf „When We Met“ auch ein wenig New Wave und Gothic. Das könnte wiederum Ann Clarke gefallen, aber die kann ja Gott sei Dank noch vom Hier & Jetzt aus zugucken.

Minuas schwebende Soundskizzen

Komplett entschleunigt – ja, diese Kolumne entwickelt sich wirklich zur Schlaftablette – klingt das Klang-Kollektiv Minua. Dahinter stecken Raphaël Rossé und sein Euphonium (ein Blechblasinstrument aus der Familie der Bügelhörner, das die Band Gentle Giant ab und an verwendet) sowie Fabian Willmann, Luka Aron und Kristinn Kristinsson, die Bassklarinette, Laute, Harmonium, Mellotron, Cembalo und weiß der Geier was für Klangerzeuger beisteuern. 

Heraus kommt keine fröhliche Blaskapellen-Musi, auf „Irradiance“ (Letter) schweben vielmehr mäandernde Soundskizzen, die eher an David Sylvian, Mark Hollis, Sunn O))) sowie klassische und mittelalterliche Musik erinnern.

Lärm hinter monumentaler Stille

Wenn hinter der trügerischen Stille der Lärm, das (kontrollierte) Chaos, die Eruption lauert, hat man es meist mit einer Spielart des Post-Rock zu tun. Den pflegt die Schweizer Kapelle Monument (ein übrigens durchaus passender Name) auf ihrer Platte „Abyss“. Beim Titel-Song kommen einem aber auch wohlige Erinnerungen an die Früh-Phase von Pink Floyd, also kurz nach dem Ausscheiden von Syd Barett, in den Sinn. 

Die unvermeidlichen Godspeed You! Black Emperor haben Spuren hinterlassen wie auch Tortoise und vor allem die eine oder andere Kraut-Rock-Band. Vom Exzess bis zum Wiegenlied reicht hier die Palette, und man sollte sich nie zu sehr in Sicherheit wiegen, denn hinter dem gerade noch lieblichem Fingerpicking lauert bestimmt schon die brachiale Noise-Abteilung.

Folk-Songs mit Barock-Elementen

Um den Kreis zur Schlaftablette am Ende wieder zu schließen, sei noch auf das Debüt der Niederländerin Pitous hingewiesen. Die Dame sang schon früh im Chor und wuchs also (auch) mit klassischer Musik auf. Dass sie sich hier unter anderem vom Ensemble Baroque Orchastration X unterstützen lässt, ist also nur folgerichtig. 

Intime Folk-Songs mit teils ungewöhnlicher Instrumentierung treffen auf Barock-Elemente. Schön, dass dies eben nicht in barocke Opulenz ausartet, sondern überschaubar reduziert und behaglich bleibt. So ist „Big Tear“ (Bertus) keine große Träne, sondern ein äußerst stimmungsvolles, atmosphärisch dichtes Album mit einer großen neuen Stimme geworden.

Schobers unglaubliches Lexikon hochtrabender
Rock-Pop-Punk-Begriffe

Art-Pop: Hat seine Ursprünge nicht etwa im dritten Studioalbum von Lady Gaga. Als in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Grenzen zwischen Kunst und Popmusik verschwimmen, und John Lennon, Syd Barrett, Pete Townshend, Brian Eno und Bryan Ferry beginnen, sich von ihrem früheren Kunstschulstudium inspirieren zu lassen, ist eine Ausprägung des Art-Pop geboren. In den USA wird er von Bob Dylan und der Beat Generation beeinflusst und durch die Singer-Songwriter-Bewegung auch literarisch überformt. Die psychedelische Bewegung der 1960er Jahre bringt Kunst und Kommerz zusammen und stellt die Frage, was es bedeutet, Künstler in einem Massenmedium zu sein. In den frühen 1970er Jahre wird Progressive/Art Rock der kommerziell erfolgreichste Sound Großbritanniens.

Bossa Nova: Stilrichtung in der brasilianischen Musik und ein Tanzstil. Ursprünglich der Name einer Bewegung, die in den späten 1950er Jahren in Brasilien entstand. Als Geburtsort gilt Beco das Garrafas an der Copacabana. In einem sehr modernen gesellschaftlichen Klima wurde in der gebildeten Mittelschicht mit neuen Formen und Ausdrucksweisen in Musik und Film experimentiert. Als erster Bossa-Nova-Song gilt Chega de Saudade, geschrieben von Antônio Carlos Jobim (Musik) und Vinícius de Moraes (Text) und bekannt geworden in der Interpretation von João Gilberto (Single 1958 und anschließend gleichnamiges Album). Den weltweiten Durchbruch erzielte die Musik mit der Verfilmung Orfeu Negro von Marcel Camus (1958-59). Die Orpheus-Sage findet dort vor dem Hintergrund des brasilianischen Karnevals statt. Im Soundtrack kontrastiert eine Mischung aus schnellen Sambarhythmen neben sparsam arrangierten Gitarrenstücken von Luiz Bonfá und Antônio Carlos Jobim.

Call and Response: Ein musikalisches Muster, das auf dem Ruf (Call) eines Vorsängers und der darauf folgenden Antwort (Response) des Chors basiert. Dieses kurzphasige Responsorium gilt in weiten Teilen der musikwissenschaftlichen Literatur als ein charakteristisches musikalisches Merkmal traditioneller afrikanischer Musik und gehört zudem „als formbildendes Prinzip zu den elementaren Gestaltungsmitteln afro-amerikanischer Musik.“ Dieses Prinzip wurde in Nord- und Lateinamerika in verschiedenen afroamerikanischen Musikgenres von der vokalen auf die Instrumentalmusik übertragen, etwa auf Trommeln in der brasilianischen Musik.

DIY-Szene: Do it yourself, abgekürzt DIY, ist eine Phrase aus dem Englischen und bedeutet übersetzt Mach es selbst. Im musischen Sinn versteht man darunter das Konzept eines Sets von ästhetisch-ethischen Grundsätzen alternativer Musik.

Dub-Reggae: Ursprüngliche Reggae-Songs werden als Rohmaterial verwendet und mit Effekten versehen neu abgemischt. Eine Machart, die bereits in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren auf Jamaika entstand. Erlebt eine Wiedergeburt im Bereich elektronischer Tanzmusik.

Elektro-Boogie: Auch Electric Boogaloo, nicht zu verwechseln mit Onkel Martins Boogie-Woogie auf der Hammond-Orgel, ist eine um 1975 in Fresno (Kalifornien) entwickelte Tanzrichtung, die unabhängig in New York Blüten treibt und ein Element des Funk und des Streetdance ist. Die Old School des Hip-Hop-Tanzes, wird auf Robot reduziert, weil das Imitieren eines Roboters Teil der Performance ist. Eng verwandt ist der Electric Boogie mit Popping, weist aber auch signifikante eigene Bewegungen auf, wie etwa die Illusion von Wellen, die durch den Körper fließen (was häufig mit Popping gemischt wurde, um den „Electric Boogaloo“-Effekt zu verstärken).

Garagen-Psychedelic: Unterabteilung des Garage-Rock, Garage Punk oder Sixties Punk. Mit den letzteren wird ein nachträglicher Bezug zum Punkrock der 1970er Jahre hergestellt. Weitere alternative Bezeichnungen sind Freakbeat für überwiegend britische Bands sowie Acid Rock für die psychedelische Phase.

Garagen-Trash: Sind keineswegs die alten, verrosteten Benzinkanister, die im Zeitalter der E-Mobilität überflüssig sind, und die vergessenen Reste von Entfroster fürs Kühlwasser, also das Sammelsurium, das so in der Garage rumliegt, sondern ein Musikstil abgefuckter Punks, die keinen besseren Übungsraum als die Garage des Redneck-Dads am Stadtrand von Sydney finden, wo sich beispielsweise die Hard-Ons gründeten. The Trashwomen aus San Francisco beweisen, dass auch Frauen zu infernalischen Punk-Kakophonien in der Lage sind.

Glam-Rock: Ein weiteres Subgenre der Rockmusik, bei der sowohl die Musik als auch der Bühnenauftritt sehr opulent ausfallen. Glam Rock ist Anfang der 1970er Jahre besonders in Great Britain sehr populär – als Kontrapunkt zum Artrock von Pink Floyd, King Crimson, Yes oder Genesis. Erlebt in den 1980ern als Glam Metal eine Renaissance.

Grunge: Rockmusik-Genre und Subkultur, die klingt, wie sie heißt – zu deutsch „Schmuddel“, „Dreck“. Hervorgebracht durch die US-Undergroundbewegung in den 1990er-Jahren. Grunge, auch als Seattle-Sound, wird als Vermischung von Punkrock, Underground-Garagenrock und Hardrock beschrieben. Die frühe Grunge-Bewegung drehte sich um Seattles unabhängiges Plattenlabel Sub Pop und die Underground-Musikszene der Region.

Post-Punk: Taucht erstmals 1977 in dem britischen Musikmagazin Sounds auf, um die schrägen Töne von Siouxsie and the Banshees zu beschreiben. 1980 beschreibt der Kritiker Greil Marcus in einem Rolling-Stone-Artikel Bands wie Gang of FourThe Raincoats oder Essential Logic als „britische Postpunk Pop-Avantgarde“. Post-Punk gilt als experimentierfreudig und bunte Mischung aus Krautrock, des Dub, Disco und elektronischer Musik.

Progressive Rock (auch Prog oder Progrock): Entstand Ende der 1960er Jahre, als Musiker Rockmusik um stilistische Merkmale anderer musikalischer Gattungen ergänzten. Dabei wurden Kompositionsweisen und Harmonik aus der abendländischen Klassik einbezogen. Die Bands griffen auch auf Einflüsse aus Jazz (Jazzrock) und nicht-westlichen Formen zurück (Weltmusik). Der Musiker Keith Emerson beschreibt das von ihm mitgestaltete Genre als durch ein fortschreitendes Spiel mit musikalischen Ideen geprägt: „Es ist Musik, die fortschreitet. Sie nimmt eine Idee und entwickelt sie, statt sie einfach zu wiederholen. Pop-Songs bestehen aus Wiederholung, Riffs und Einfachheit. Progressive Musik nimmt ein Riff, kehrt sein Inneres nach außen, stellt es auf den Kopf, spielt es dann wieder andersherum und erkundet so sein Potenzial.“

Proto-Punk: Adelstitel für die Wegbereiter des Punk und Erfinder minimalistischer Gitarren-Riffs wie The Velvet UndergroundMC5The DictatorsThe Stooges, die New York DollsThe MonksMott the Hoople oder The Sonics – bereits in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre.

Sleaze-Rock: „Sleazy“ heißt so viel wie „schäbig“ assoziiert auch mit Abschaum. Sleaze Rock leitet sich vom Image der Sleaze-Rock-Bands ab, die eine rebellische Underdog-Mentalität pflegen und sich mit Tätowierungen, abgerissenen Lederjacken, zerrissenen Jeans und Netzhemdenvom Glam Metal abgrenzen. Dem Sleazerock wird vorgeworfen, altes Bier in neuen Fässern zu sein. Bands wie Guns N’ Roses, L.A. Guns oder Faster Pussycat vermischen Hardrock mit Elementen des Bluesrock, Metal, Garage Rock und Punkrock.

Wave: Kurzwort für New Wave, eine Dachbezeichnung für mehrere, mit der New Wave zusammenhängende Teilgebiete der Musik, die bspw. als Cold Wave, Dark Wave, Doom Wave, Electro Wave, Ethereal Wave und Gothic Wave bezeichnet werden. Seit der zweiten Hälfte der 1980er wird von der Musikpresse der Ausdruck „Post-Wave“ genutzt. Dieser bezeichnet das musikalische Output und die kulturellen Neuerungen nach dem Ausklingen der Wave-Ära. Da sich die Wave-Bewegung allerdings in verschiedene Strömungen und chronologisch voneinander abweichende Etappen gliedert (z. B. New Wave, Electro Wave, Cold Wave und Neue Deutsche Welle), erweist es sich häufig als schwierig, Post-Wave zeitlich zu erfassen. Grob umrissen wird dabei jedoch die Zeit ab den späten 1980ern mit dem Aufleben von Musikrichtungen wie Madchester, Shoegazing, Acid House, Techno, Grunge oder Britpop in Europa.

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