Schobers Rock-Kolumne: Von Kölner Chansons, über brasilianischen Bossa bis Salami-Rap

Er hat sie alle geholt: Konzertveranstalter Hubert Schober brachte Rio Reiser oder Manfred Mann nach Weiden. Der gelernte Sozialpädagoge veranstaltete international erfolgreiche Shows wie die Circus-Produktion Mother Africa. Für OberpfalzECHO rezensiert er musikalische Neuerscheinungen und Evergreens.

So geht Bandbreite: Von Chansons über Rumba zu Punk. Kollage: jrh

Erinnerungen ihrer Kindheit hängt Christine Corvisier auf dem Album „Chansons de Cologne“ (JazzSick) nach. Die verbrachte sie noch in Frankreich, seit langem lebt die Künstlerin aber in Köln. So erklärt sich schon mal der Albumtitel. Köln gilt ja als Stadt des Jazz, es mangelte also nicht an tapferen Mitstreitern für das Unternehmen, klassische Chansons von Charles Aznavour aber auch neueren Datums von Yann Tiersen und natürlich eigene Gewächse als frei improvisierte Jazz-Interpretationen in Szene zu setzen.

Sie selbst an diversen Blasinstrumenten, hatten Martin Schulte (Gitarre), Sebastian Scobel (Klavier), David Andres (Bass) und Silvio Morger (Schlagzeug) Freiräume für kleine feine Solo-Taten. Die „Chansons De Cologne“ verleihen ihren Interpretationen Flügel -ganz ohne Energy Drink.

Bossa Nova gegen Bolsonaro

Der wahren Welt, der Wirklichkeit entfliehen kann man auch mit den Kompositionen von Chico Cesar. Und das, obgleich der Brasilianer in seinen Texten ein vehementer Kämpfer gegen Rassismus ist, für die Rechte von Minderheiten, Homosexuellen und den Umweltschutz eintritt. In seiner Heimat unter der Regentschaft (oder Diktatur) des rechten Populisten Jair Bolsonaro ein durchaus gefährliches Unterfangen.

Da seine Botschaften (er ist übrigens auch ein angesehener Schriftsteller) aber in einen wunderbar fließenden, groovenden Mix aus allerlei afrikanischer und südamerikanischer Musikrichtungen eingebettet ist, merkt man von den tiefgründigen und ernsten Aussagen erst einmal nichts. Als Gäste dieser rhythmischen Wundertüte, „Vestido De Amor“, oder zu Deutsch „In Liebe gekleidet“ (Good To Go) geheißen, mischen u.a. Salif Keita und Ray Lema mit.

Grundrauschen in der urbanen Indie-Disco

Von den frei fließenden, organischen Klängen des Rumba und Bossa Nova zurück zur Urbanität – am besten gleich in die Indie-Disco. Dort legen Sydney Minsky-Sargeant, besser bekannt als Working Mens Club gerade ihre neue Platte, „Fear Fear“ (PIAS) auf und zeigen, dass man auch zu eher düsteren Klängen prima mit Arsch und Ohren wackeln kann. Ausdauer und Improvisationsvermögen werden dem geneigten Tänzer insbesondere bei dem Stück „Cut“ abverlangt wo sich zu Synthi-Background eine E-Gitarre immer weiter und weiter in den Himmel schraubt.

Dazu muss man aber erst einmal „19“ überstehen. Beim Eröffnungs-Song passiert außer einem Grundrauschen erst einmal überhaupt nichts, bis sich dann ein Hi-Hat und der Drum-Computer ein freudiges Rhythmus-Fest mit diversen Tasteninstrumenten liefern. Der Titel ist übrigens eine Anspielung auf das juvenile Alter der Protagonisten als auch auf die Pandemie. Wer früher mal New Order, Depeche Mode oder auch Joy Division gut fand, kann hier ihre Zöglinge erleben.

Punk-Mond über Joshua Tree

Dass Synthi-Pop auch ganz anders klingen kann, zeigen The Soft Moon aka Luis Vasquez. Der zog von der Einraumwohnung in Berlin nach Joshua Tree/Kalifornien, um endlich mal in der wiedergewonnenen Freiheit richtig Dampf abzulassen – und Schlagzeug zu spielen.

Das macht er dann auch als donnernder Tornado auf „Answers“ oder in dem hyperaktiven „Face Is Gone“. In „Exister“ (Cargo) steckt richtig viel aufgestaute Wut, es wird darin aber auch seine Mutter-Kind-Beziehung aufgearbeitet und als kathartisches Ereignis mit der Wucht des Punk präsentiert. Gefährlich, wild, ungestüm, ja brachial hört sich das Ergebnis an.

L.A. Salami findet seine Sprache

Vielleicht arbeitet auch Lookman Adekunle Salami mal seine Mutter-Kind-Beziehung auf, schließlich wuchs der Sohn einer nigerianischen Mutter und eines abwesenden Vaters zunächst bei einer Pflegefamilie auf. Als L.A. Salami macht er seit einer Weile Musik, die man bis dato eher ins erweiterte Folk-Fach verorten konnte. Doch schon auf seiner letzten Platte war mit „The Cage“ ein Rap-Epos von acht Minuten zu finden. Einflüsse von Kanye West, Drake oder Kendrick Lamar nehmen jetzt die Pool-Position ein, auch wenn es weiterhin so zarte, nur mit der Akustischen hingetupfte Folk-Ode wie „Is This Hell?“ zu hören gibt.

Okay, am Ende mischen sich doch noch jazzige Bläser mit ein, und aus dem Off ertönt eine Computerstimme. Der Experimentalismus, das Grenzgängertum war ja schon immer in seinen Kompositionen angelegt, genau darum stach der wortgewaltige Poet ja schon bei seinem Debüt so angenehm aus dem Groß der Singer/Songwriter hervor. Mit „Ottoline“ (Membran) hat er endgültig seine eigene Sprache gefunden.

Pickups voller ungeordneter Ideen

Haben die Jungs vom Working Mens Club gerade mal die 20 Lebensjahre vollgemacht, sind die Silversun Pickups schon über 22 Jahren zusammen. Die etwas magere Ausbeute von nunmehr sechs Alben mag in der Philosophie von Klasse statt Masse liegen, ehrlich gesagt wissen wir es nicht. „Physical Thrills“ (Warner) kann jedenfalls nicht als Meisterwerk bezeichnet werden, auch wenn das von Butch Vig produzierte Werk durchaus seine Höhepunkte hat. Der Power-Pop von „Hereafter Way After“ zählt sicherlich nicht dazu, dann schon lieber das etwas zerflederte „Sticks And Stones“ oder das dunkel träuende „Dream At Tempo 050“ mit Nikki Monninger als Sängerin wo die Pickups wie Mazzy Star klingen.

„Scared Togehter“ ist dann wieder so ein Rocker, der zwar einen interessanten Gitarren-Sound hat, die Synthis aber kleistern – anstatt sie vielleicht auch einmal ganz weg zu lassen. „Physical Thrills“ kann man nicht als ideenarm bezeichnen, die Band hat eher Probleme selbige zu koordinieren und fallen so über ihre eigenen Füße. Dass es auch anders geht, zeigt z.B. das simpler gestrickte, aber umso einnehmendere „Alone On A Hill“.

Mächtig bunt, aber noch etwas unstrukturiert kommen die physischen Thrills der Silversun Pickups daher. Die Salami-Taktik rappt L.A. (rechts oben) und der Working Mens Club lässt es rauschen. Kollage: jrh

Schobers unglaubliches Lexikon hochtrabender
Rock-Pop-Punk-Begriffe

Art-Pop: Hat seine Ursprünge nicht etwa im dritten Studioalbum von Lady Gaga. Als in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Grenzen zwischen Kunst und Popmusik verschwimmen, und John Lennon, Syd Barrett, Pete Townshend, Brian Eno und Bryan Ferry beginnen, sich von ihrem früheren Kunstschulstudium inspirieren zu lassen, ist eine Ausprägung des Art-Pop geboren. In den USA wird er von Bob Dylan und der Beat Generation beeinflusst und durch die Singer-Songwriter-Bewegung auch literarisch überformt. Die psychedelische Bewegung der 1960er Jahre bringt Kunst und Kommerz zusammen und stellt die Frage, was es bedeutet, Künstler in einem Massenmedium zu sein. In den frühen 1970er Jahre wird Progressive/Art Rock der kommerziell erfolgreichste Sound Großbritanniens.

Bossa Nova: Stilrichtung in der brasilianischen Musik und ein Tanzstil. Ursprünglich der Name einer Bewegung, die in den späten 1950er Jahren in Brasilien entstand. Als Geburtsort gilt Beco das Garrafas an der Copacabana. In einem sehr modernen gesellschaftlichen Klima wurde in der gebildeten Mittelschicht mit neuen Formen und Ausdrucksweisen in Musik und Film experimentiert. Als erster Bossa-Nova-Song gilt Chega de Saudade, geschrieben von Antônio Carlos Jobim (Musik) und Vinícius de Moraes (Text) und bekannt geworden in der Interpretation von João Gilberto (Single 1958 und anschließend gleichnamiges Album). Den weltweiten Durchbruch erzielte die Musik mit der Verfilmung Orfeu Negro von Marcel Camus (1958-59). Die Orpheus-Sage findet dort vor dem Hintergrund des brasilianischen Karnevals statt. Im Soundtrack kontrastiert eine Mischung aus schnellen Sambarhythmen neben sparsam arrangierten Gitarrenstücken von Luiz Bonfá und Antônio Carlos Jobim.

Call and Response: Ein musikalisches Muster, das auf dem Ruf (Call) eines Vorsängers und der darauf folgenden Antwort (Response) des Chors basiert. Dieses kurzphasige Responsorium gilt in weiten Teilen der musikwissenschaftlichen Literatur als ein charakteristisches musikalisches Merkmal traditioneller afrikanischer Musik und gehört zudem „als formbildendes Prinzip zu den elementaren Gestaltungsmitteln afro-amerikanischer Musik.“ Dieses Prinzip wurde in Nord- und Lateinamerika in verschiedenen afroamerikanischen Musikgenres von der vokalen auf die Instrumentalmusik übertragen, etwa auf Trommeln in der brasilianischen Musik.

DIY-Szene: Do it yourself, abgekürzt DIY, ist eine Phrase aus dem Englischen und bedeutet übersetzt Mach es selbst. Im musischen Sinn versteht man darunter das Konzept eines Sets von ästhetisch-ethischen Grundsätzen alternativer Musik.

Dub-Reggae: Ursprüngliche Reggae-Songs werden als Rohmaterial verwendet und mit Effekten versehen neu abgemischt. Eine Machart, die bereits in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren auf Jamaika entstand. Erlebt eine Wiedergeburt im Bereich elektronischer Tanzmusik.

Elektro-Boogie: Auch Electric Boogaloo, nicht zu verwechseln mit Onkel Martins Boogie-Woogie auf der Hammond-Orgel, ist eine um 1975 in Fresno (Kalifornien) entwickelte Tanzrichtung, die unabhängig in New York Blüten treibt und ein Element des Funk und des Streetdance ist. Die Old School des Hip-Hop-Tanzes, wird auf Robot reduziert, weil das Imitieren eines Roboters Teil der Performance ist. Eng verwandt ist der Electric Boogie mit Popping, weist aber auch signifikante eigene Bewegungen auf, wie etwa die Illusion von Wellen, die durch den Körper fließen (was häufig mit Popping gemischt wurde, um den „Electric Boogaloo“-Effekt zu verstärken).

Garagen-Psychedelic: Unterabteilung des Garage-Rock, Garage Punk oder Sixties Punk. Mit den letzteren wird ein nachträglicher Bezug zum Punkrock der 1970er Jahre hergestellt. Weitere alternative Bezeichnungen sind Freakbeat für überwiegend britische Bands sowie Acid Rock für die psychedelische Phase.

Garagen-Trash: Sind keineswegs die alten, verrosteten Benzinkanister, die im Zeitalter der E-Mobilität überflüssig sind, und die vergessenen Reste von Entfroster fürs Kühlwasser, also das Sammelsurium, das so in der Garage rumliegt, sondern ein Musikstil abgefuckter Punks, die keinen besseren Übungsraum als die Garage des Redneck-Dads am Stadtrand von Sydney finden, wo sich beispielsweise die Hard-Ons gründeten. The Trashwomen aus San Francisco beweisen, dass auch Frauen zu infernalischen Punk-Kakophonien in der Lage sind.

Glam-Rock: Ein weiteres Subgenre der Rockmusik, bei der sowohl die Musik als auch der Bühnenauftritt sehr opulent ausfallen. Glam Rock ist Anfang der 1970er Jahre besonders in Great Britain sehr populär – als Kontrapunkt zum Artrock von Pink Floyd, King Crimson, Yes oder Genesis. Erlebt in den 1980ern als Glam Metal eine Renaissance.

Grunge: Rockmusik-Genre und Subkultur, die klingt, wie sie heißt – zu deutsch „Schmuddel“, „Dreck“. Hervorgebracht durch die US-Undergroundbewegung in den 1990er-Jahren. Grunge, auch als Seattle-Sound, wird als Vermischung von Punkrock, Underground-Garagenrock und Hardrock beschrieben. Die frühe Grunge-Bewegung drehte sich um Seattles unabhängiges Plattenlabel Sub Pop und die Underground-Musikszene der Region.

Post-Punk: Taucht erstmals 1977 in dem britischen Musikmagazin Sounds auf, um die schrägen Töne von Siouxsie and the Banshees zu beschreiben. 1980 beschreibt der Kritiker Greil Marcus in einem Rolling-Stone-Artikel Bands wie Gang of FourThe Raincoats oder Essential Logic als „britische Postpunk Pop-Avantgarde“. Post-Punk gilt als experimentierfreudig und bunte Mischung aus Krautrock, des Dub, Disco und elektronischer Musik.

Proto-Punk: Adelstitel für die Wegbereiter des Punk und Erfinder minimalistischer Gitarren-Riffs wie The Velvet UndergroundMC5The DictatorsThe Stooges, die New York DollsThe MonksMott the Hoople oder The Sonics – bereits in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre.

Sleaze-Rock: „Sleazy“ heißt so viel wie „schäbig“ assoziiert auch mit Abschaum. Sleaze Rock leitet sich vom Image der Sleaze-Rock-Bands ab, die eine rebellische Underdog-Mentalität pflegen und sich mit Tätowierungen, abgerissenen Lederjacken, zerrissenen Jeans und Netzhemdenvom Glam Metal abgrenzen. Dem Sleazerock wird vorgeworfen, altes Bier in neuen Fässern zu sein. Bands wie Guns N’ Roses, L.A. Guns oder Faster Pussycat vermischen Hardrock mit Elementen des Bluesrock, Metal, Garage Rock und Punkrock.

Wave: Kurzwort für New Wave, eine Dachbezeichnung für mehrere, mit der New Wave zusammenhängende Teilgebiete der Musik, die bspw. als Cold Wave, Dark Wave, Doom Wave, Electro Wave, Ethereal Wave und Gothic Wave bezeichnet werden. Seit der zweiten Hälfte der 1980er wird von der Musikpresse der Ausdruck „Post-Wave“ genutzt. Dieser bezeichnet das musikalische Output und die kulturellen Neuerungen nach dem Ausklingen der Wave-Ära. Da sich die Wave-Bewegung allerdings in verschiedene Strömungen und chronologisch voneinander abweichende Etappen gliedert (z. B. New Wave, Electro Wave, Cold Wave und Neue Deutsche Welle), erweist es sich häufig als schwierig, Post-Wave zeitlich zu erfassen. Grob umrissen wird dabei jedoch die Zeit ab den späten 1980ern mit dem Aufleben von Musikrichtungen wie Madchester, Shoegazing, Acid House, Techno, Grunge oder Britpop in Europa.

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