Schobers Rock Kolumne: Schon jetzt das Album des Jahres entdeckt!

Nordoberpfalz. Der Konzertveranstalter Hubert Schober hat schon jetzt sein persönliches Jahreshighlight entdeckt. Und das rezensiert er heute in seiner Kolumne.

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The Waterboys/Lizzie No/Lehmanns Brothers/Bill Ryder-Jones/Hollow Coves/Squarepusher. Collage: Hubert Schober

Es gibt ja so Momente nicht nur in einem Konzertveranstalter-Leben, die sich einbrennen, an die man sich immer wieder mit einem wohligen Schauer erinnert. Noch als juveniler Fan, das erste große Konzert mit Yes in Nürnberg 1976 -mit Laser-Show, wow! Etwas später, The Who auf dem Reichsparteitaggelände. Oder Frank Zappa in Neunkirchen am Brand (!). Eines seiner legendären Gitarren-Solos aus dem fränkischen Konzert hat es dann sogar auf die Sheick Yerbouti-LP gebracht. Danach Genesis Open Air in Ulm, mit dabei auch Joan Baez, Brand X und ebenfalls Franky-Boy.

Ein Muss für Fans der britischen Kapelle

Und da waren dann noch The Grateful Dead in der alten Oper zu Frankfurt, Peter Hammill in einem Kaff gleich daneben und eben auch The Waterboys. Die spielten Mitte der 80er im Vorprogramm von The Cure in der Münchner Olympiahalle – und feierten gerade den Erfolg ihrer Platte, „This Is The Sea“, mit dem dazugehörigen Hit, „The Whole Of The Moon“. Mike Scott und Saxophonist Anthony Thistlethwaite waren in bester Spiellaune wie die restliche Band auch und feierten ein euphorisches Folk-Rock-Fest auf der Bühne.

Jetzt feiert auch Chrysalis den Erfolg dieser Platte mit einem opulenten 6-CD-Set, schlicht „1985“ betitelt (Bertus) inklusive 220-seitigem Booklet! Neben den neu remasterten Aufnahmen gilt es noch nie gehörte Heimaufnahmen, Alternativversionen, TV & Radio-Sessions, Outtakes, eine Version des Hits mit Tom Verlaine an der Gitarre (!) und frühe Demos zu entdecken. Insgesamt 95 Tracks, von denen satte 64 noch nie veröffentlicht wurden. Kuratiert wurde die Box vom Meister selbst. Ein MUSS für Fans der britischen Kapelle.

Es zuckt und blitzt im Stroboskop-Gewitter

Nach diesem Juchzen und Frohlocken, diesem analogen Feuerwerk eher traditioneller Rockmusik kann man sich ruhig auch mal ein digitales reinziehen. Tom Jenkinson, besser bekannt als der Squarepusher ist wieder unterwegs und der eröffnet sein neues Album -Achtung- erst einmal mit einer zarten Akustikgitarre. „Enbounce“ überschlägt sich dafür danach fast förmlich und man hat das Gefühl, hier würde ein Lonplayer auf 45pm abgespielt. Acid Techno, Jazz, IDM und Drum & Bass feiern auch auf „Dostrotime“ (Wrap) eine wilde Party, der man nur schwer mit den passenden Tanzbewegungen folgen kann. Ein einziges Zucken, Blitzen und Schütteln ist das, von den Medien als Drill’n’Bass bezeichnet. Auf alle Fälle ist es anstrengend.

Gemütliches aus Down Under

Rettung naht da aus Down Under. An der Gold Coast sind Matt Carins und Ryan Henderson beheimatet. (Ich war da auch mal für vier Monate mit der Mother Africa Show im dortigen Casino engagiert. Es ist schön da.) Ihre Kapelle nennen sie Hollow Coves, wobei nicht überliefert ist, ob sie damit nun die hohle Bucht oder die hohlen Burschen – beides wäre in Australien möglich – meinen. Jedenfalls haben die Jungs mit ihrer Musik schon über 1 Milliarde Streams eingefahren und da lohnt es doch, mal ein Ohr zu riskieren.

Die forsche Abenteuerlust wird auf „Nothing To Lose“ (Nettwerk) nicht enttäuscht, kommt man doch in den Genuss sonnendurchflutendem Indie-Folk der Lumineers-Schule garniert mit erfrischend unkomplizierten Texten über das Bewahren, Zelebrieren und Wertschätzen der kleinen Momente inmitten der Übersättigung und der Flüchtigkeit des digitalen Zeitalters. Die Simplizität ist es, die einen hier warm umfängt wie ein Bad in den Wellen des Ozeans. Toller zweistimmiger Gesang, viel Akustikgitarren, warme Orgeln, der Sound-Ästhetik der 70er US-West-Coast-Bands wird hier gehuldigt, jüngere Semester werden sie eher an Künstler wie Vance Joy, The Paper Kites, Passenger, The Lumineers, Beach House oder Ben Howard erinnern.

Einfach schön, ach so wunderschön ist diese Platte

Apropos erinnern: Kennt noch jemand die psychedelische Folk-Rock-Truppe, The Coral? Die machten ein paar ganz gute, ja sehr gute Platten, einer ihrer Songschreiber und Gitarristen hieß Bill Ryder-Jones (so heißen eigentlich Literaten) und der legt jetzt, am Beginn des neuen Jahres, bereits ein Album für die Jahresbestenlisten vor. “Iechyd Da” (Domino) heißt das Prachtstück und es ist vor allem eines: prächtig. Und mächtig, opulent, verspielt, barock, euphorisch, irrlichtern leuchtend am Pop-Horizont.

Kinder-Chöre jubilieren, Streicher und Bläser tragen dick auf, die Keyboards legen einen dichten Schleier, Grand Piano, gedoppelte Akustik-Gitarren und einen Sänger, nein Crooner, der zu den besten seiner Zunft zählt, der ebenso zärteln wie kräftig fauchen kann. Stellen Sie sich eine Mischung aus Rufus Wainwright, den neu orchestrierten Platten vom Moby, Lloyd Cole, der Arrangements-Kunst eines Sufjan Stevens und der grandiosen Lässigkeit von Divine Comedy vor. Ryder-Jones Album mag vielleicht eklektisch klingen, aber wenn dann klaut er das Beste der Besten und macht was Eigenes daraus. Wir sind ehrlich begeistert!

Wenn studierte Hände Musik zaubern

Wenig begeistert war die Welt, als die Lehman Brothers selbige in eine globale Weltwirtschafts- und Finanzkrise stürzten. Aber-Billiarden wurden verbrannt, um die Banken zu retten. Die Lehmanns Brothers brauchten hingegen nicht viel Kohle, um im Heimstudio und ganz ohne Produzenten ihr smartes Werk, „Playground“ (Broken Silence) einzuspielen.

Gitarrist Alvin Amaïzo, Schlagzeuger Dorris Biayenda und Keyboarder sowie Sänger Julien Anglade verschmelzen recht charmant und mit großer Lässigkeit Soul, Hip-Hop und R&B zu einem sämigen Jazz-Funk, der seine Ursprünge nicht leugnet, aber ganz im Hier & Jetzt angekommen ist. Die Commodores, Earth, Wind & Fire, aber auch Prince, Ghost-Note oder D’Angelo haben die DNA dieser Musikstudenten geprägt und einen gewissen akademischen Ansatz kann man diesen Kompositionen durchaus anhören. Street-Funk klingt anders.

Anrührende Balladen und straighte Rocker

Jazz, Funk & Soul assoziiert das Cover Artwork von „Halfsies“ (Thirty Tigers), dem neuen Album von Lizzie No. Den Soul haben sicherlich all diese Lieder und er kommt auch noch als Randnotiz vor, Lizzie No bedient aber gekonnt die Klaviatur von Folk, Country und durchaus kräftig austeilendem Heartland-Rock bis hin zu Grunge-Gitarren wie in „Lagunita“ wo über toxische Beziehungen referiert wird.

„Getaway Car“ entwickelt sich nach einem atmosphärischen Slide-Intro auch Richtung Rock-Knaller, Annie Oackley tritt in ähnliche Fußstapfen. Es überwiegen aber die eher folkigen, fragileren Balladen, bei denen sich die Singer/Songwriterin ab und an von den Grammy-prämierten Streichern des Attaca Quartet begleiten lässt. Als weitere Gast ist die mit ebenfalls einem Grammy ausgezeichnete Singer/Songwriterin Allison Russell zu hören, übrigens ebenfalls eine begnadete Grenzgängerin vor dem Herrn.

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