Genesis-Tipp für die dunkle Jahreszeit: Rausch der Lichtfarben

Der wolkenverhangene Dezemberhimmel raubt der Landschaft Licht und Farbe. Ausgerechnet eine Bettelordenskirche schüttet ein Füllhorn lichter Farben über ihre Besucher aus. Retten sich Skandinavier in den Wintermonaten mit Lichtbädern von 2500 Lux in Cafés über die depressive Jahreszeit, zaubert das Genesis-Projekt eine erhebende Stimmung in staunende Gesichter.

Die der Natur und Kreatur besonders verbundenen Franziskaner schufen um 1255 an der Stelle einer kleineren Klosterkirche eine der größten deutschen Bettelordenskirchen Deutschlands. Die Stadt Regensburg kaufte den gesamten Klosterkomplex 1931 und gestaltete ihn zum Stadtmuseum um – als Heimat des „Historischen Museums der Stadt Regensburg“. In diesem Winter ist die Minoritenkirche Behausung für die „Immersive Art-Installation GENESIS II“ der Züricher Künstlergruppe Projektil.

„Sich fallenlassen“ in weiche Sitzsäcke

„Immersion“ bedeutet „Eintauchen“. Warum das mit englischen Worthülsen besser gelingen soll, muss man die Künstlergruppe fragen. Wahrscheinlich soll das internationaler klingen. Vertiefen oder versenken kann man sich freilich wortlos. Anders als in Museen, in denen man sich die Beine in den Bauch steht oder auf harten Konzertstühlen gelingt das „sich einlassen, sich fallenlassen, hingeben“ hier weitaus komoder: auf weichen Sitzsäcken, durch welche die Kälte erst kriecht, wenn das Spektakel fast schon vorbei ist.

Das also ist das erklärte Ziel immersiver Kunst: der Betrachter als Teil des Kunstwerks – mit allen Sinnen. Multidimensional umgeben von mäandernden Lichtfarbexplosionen, die ständig neue Muster auf Wände, Pfeiler und Gewölbe zaubern, bis diese ihre materielle Festigkeit zu verlieren scheinen. Neue Welten im Entstehen am Beginn der Schöpfung – oder als Folge des Urknalls, ganz wie der eigene Verstand seine Wirklichkeit konstruieren möchte. Genesis eben.

Genesis: die Schöpfungsgeschichte

Genesis, griechisch für „Entstehung, Ursprung, Geburt“ – oder Peter Gabriels gleichnamige Brit-Rock-Band. Genesis I zeigte im vergangenen Jahr die ersten Tage der biblischen Schöpfungsgeschichte in der Regensburger St.-Ulrichskirche – zu den Klängen von Gustav Mahlers Urlicht. In der rund 800 Jahre alten Kirche neben dem Dom trennte Gott das Wasser vom Land, erschuf das Himmelsgewölbe, öffnete die Schleusen des Himmels und ermöglichte die Geburt des ersten Lebens auf Erden.

Die Lichtinstallation Genesis II setzt bei Tag 4 ein, als Gott Lichter am Gewölbe des Himmels anbringt – Sonne, Mond und Sterne, welche die Erde erhellen und Tage, Jahre und Jahreszeiten markieren. Am fünften Tag aber erschafft er die Tiere des Wassers und der Luft: „Das Wasser wimmle von lebendigen Wesen und Vögel sollen über dem Land am Himmgelsgewölbe dahinfliegen.“ Tags darauf folgen die Tiere des Landes – und endlich auch der Mensch: „Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich.“ Voilà, es ist vollbracht, man gönne Gott nach dieser gewaltigen, in Licht und Farbe getauchten Schöpfung seinen Ruhetag.

Anfang ohne Licht und Ton

Vor der Schöpfung steht eine Idee, eine Kraft, ein Impuls. Der Geist des Göttlichen in der Bibel, den die Künstlergruppe Projektil aus Zürich mit Farbe, Licht und Tönen neu interpretiert. Das 3D-Mapping-Projektionssystem zaubert mit acht Hochleistungsprojektoren Animationen, Bilder und Videos auf die steinerne Leinwand der Kirchenarchitektur. Für 30 Minuten vergisst der Betrachter seine Umgebung und taucht ein in den Schöpfungsakt: ein Neustart für das eigene Leben.

Für eine halbe Stunde das kleinliche Gezänk in den sozialen Medien vergessen – die Beschränktheit der eigenen Wahrnehmung, die Ich-Bezogenheit einer Gesellschaft, die den anderen ausgrenzt, wenn er die falsche Hautfarbe, den falschen Zungenschlag, den falschen Gott sein Eigen nennt. Ein wenig Demut kann nicht schaden.