Schobers Rock-Kolumne: Zum Jahresausklang ein Kessel Buntes

Parkstein. Konzertveranstalter Hubert Schober rezensiert für OberpfalzECHO musikalische Neuerscheinungen und Evergreens.

CD Cover
CD Covers Bildquelle: Ana Patan, Andy Taylor, Steve Hackett, Maiija, Dear Anna, Durry

Knarzige Töne aus Kanada

Fragt man nach den bekanntesten kanadischen Pop-Musikern, werden sicherlich die Namen Joni Mitchell, Neil Young und Leonhard Cohen fallen. Taylor Kirk, der unter dem Moniker Timber Timbre firmiert, hat man dabei sicherlich nicht auf dem Schirm – noch nicht.

Sein neues Album, „Lovage“ (PIAS), sein bereits sechstes, sollte man sich aber unbedingt zu Gehör führen (wie übrigens auch die anderen Werke), entführt des doch, bissige Geschichten erzählend, in eine ganz eigene Klangwelt aus gehauchtem, fragilem, eindringlichem Gesang, staubig-karger, minimalistischer, knochentrockener Instrumentierung, Hall-Gitarren, analogen Synthesizer-Tupfern, Triangel- oder Xylophon-Sprenkeln und ein paar Dreingaben aus der Perkussionskiste. Das klingt ein wenig dystrophisch, bleibt im Gesamten aber wohlig-warm – und hat den Blues.

Einladung zum Tanz

Sie hat viel, aber nicht den Blues. Die Weltmusikerin Yilian Cañizares, in Kuba geboren, von einer russischen Lehrerin erzogen, mit 16 Umzug nach Venezuela, mit 20 dann in die Schweiz, Studium von Klavier und Geige, feiert ihr 10-jähriges als Berufsmusikerin mit dem Album, „Habana-Bahia“ (Believe).

Die engagierte Kosmopolitin ist zudem Botschafterin der Vereinten Nationen, setzt sich für den Schutz der Meere ebenso ein wie für Gleichberechtigung oder die Rassengleichheit. In Ihrer Musik bleibt sie aber eher unpolitisch, streift die Probleme dieser Welt am Rande, feiert dafür lieber ein Fest des Lebens, der Lebensfreude, mit einem Mix südamerikanischer und afrikanischer Rhythmen, garniert mit einem Schuss Soul und Jazz.

Ein wenig Riff-Rock zur Melange

Einem ganz anderen Background entstammt die Wiener Formation Dirty Talons. Die spielen einen strammen Riff-Rock mit Reminiszenzen an 70er-Helden wie Judas Priest, Van Halen oder Thin Lizzy, allerdings in der eher Alternative- oder Indie-Variante. Sängerin Jess passt mit ihrer hohen und quiekenden Stimme da überhaupt nicht ins (gewohnte) Sound-Bild, was aber die Aufmerksamkeit auf das selbst betitelte Album, „Dirty Talons“ (Noise Appeal) fördert.

Prog-Rock meets Traurigkeit

Von quietschfidel zur „Kultivierung der Traurigkeit“, so Markus Steffen, Gitarrist der deutsch-niederländischen Formation Subsignal zur Thematik ihres sechsten Albums, „A Poetry Of Rain“ (Soulfood). Ganz so düster ist das Werk nun aber doch nicht ausgefallen, wobei die Melancholie überwiegt.

Los geht es mit einer kleinen Akustik-Vignette, bevor dann Art-, Prog- und dezenter Metal-Rock in diversen Mischwesen dargeboten werden. Die Synthesizer wabern mäandernd flächig aus. Die Gitarre dominiert ohne zu nerven und Sänger Arno Menses hat genau das richtige Timbre für diese Art von Musik. Wer Vergleiche zu Altvorderen sucht, ist bei Yes meets Kansas noch am besten aufgehoben

Ein Grenzgänger aus LA

Nach Blues, Samba, Indie und Prog wenden wir uns noch kurz ganz moderner Musik zu. Drake und Anderson Paak dürften hinlänglich bekannt sein. Dass sie sich den Grammy-dekorierten Tastenmann und Produzenten Kiefer Shackelford zur Seite genommen haben, ist eher unbekannt.

Als Kiefer ist der Mann auch als Solist unterwegs und versteht es meisterhaft, einen akustischen (Jazz-)Flügel mit elektronischen Beats zusammenzubringen. „It’s OK, B U“ (Rough Trade) nimmt einen mit auf eine entspannte wie interessante Reise in ganz unbekannte, sehr, sehr coole Klangräumen.

Achtung: Weihnachtsgeschenk!

Und noch schnell ein tolles Geschenk für Kurzentschlossene zum Fest der Liebe: Selbige wird in der Popmusik ja ausgiebig gefeiert oder verteufelt, aktuell vor allem Gender-technisch diskutiert. The Kinks taten das schon 1970, als ihr Evergreen, „Lola“ („Girls will be boys and boys will be girls“) erschien.

In diesem Jahr feiert die Band um die Brüder Ray und Dave Davies ihr 60. Jubiläum, zu dem Anfang des Jahres schon „The Journey – Part 1“ und jetzt zum Jahresende, „The Journey – Part 2“ erscheint. Jeweils als Doppel-CD oder -LP aufgelegt, enthält die Anthologie sämtliche Hits der Kapelle, auf Part 2 alle Singles und B-Seiten. Sechs neue Ray Davis-Remixe und drei bis dato unveröffentlichte Live-Aufnahmen aus dem Jahre 1975. Neben den Stones und Beatles, sicherlich die wichtigste englische Band.

Schobers unglaubliches Lexikon hochtrabender
Rock-Pop-Punk-Begriffe

Art-Pop: Hat seine Ursprünge nicht etwa im dritten Studioalbum von Lady Gaga. Als in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Grenzen zwischen Kunst und Popmusik verschwimmen, und John Lennon, Syd Barrett, Pete Townshend, Brian Eno und Bryan Ferry beginnen, sich von ihrem früheren Kunstschulstudium inspirieren zu lassen, ist eine Ausprägung des Art-Pop geboren. In den USA wird er von Bob Dylan und der Beat Generation beeinflusst und durch die Singer-Songwriter-Bewegung auch literarisch überformt. Die psychedelische Bewegung der 1960er Jahre bringt Kunst und Kommerz zusammen und stellt die Frage, was es bedeutet, Künstler in einem Massenmedium zu sein. In den frühen 1970er Jahre wird Progressive/Art Rock der kommerziell erfolgreichste Sound Großbritanniens.

Bossa Nova: Stilrichtung in der brasilianischen Musik und ein Tanzstil. Ursprünglich der Name einer Bewegung, die in den späten 1950er Jahren in Brasilien entstand. Als Geburtsort gilt Beco das Garrafas an der Copacabana. In einem sehr modernen gesellschaftlichen Klima wurde in der gebildeten Mittelschicht mit neuen Formen und Ausdrucksweisen in Musik und Film experimentiert. Als erster Bossa-Nova-Song gilt Chega de Saudade, geschrieben von Antônio Carlos Jobim (Musik) und Vinícius de Moraes (Text) und bekannt geworden in der Interpretation von João Gilberto (Single 1958 und anschließend gleichnamiges Album). Den weltweiten Durchbruch erzielte die Musik mit der Verfilmung Orfeu Negro von Marcel Camus (1958-59). Die Orpheus-Sage findet dort vor dem Hintergrund des brasilianischen Karnevals statt. Im Soundtrack kontrastiert eine Mischung aus schnellen Sambarhythmen neben sparsam arrangierten Gitarrenstücken von Luiz Bonfá und Antônio Carlos Jobim.

Call and Response: Ein musikalisches Muster, das auf dem Ruf (Call) eines Vorsängers und der darauf folgenden Antwort (Response) des Chors basiert. Dieses kurzphasige Responsorium gilt in weiten Teilen der musikwissenschaftlichen Literatur als ein charakteristisches musikalisches Merkmal traditioneller afrikanischer Musik und gehört zudem „als formbildendes Prinzip zu den elementaren Gestaltungsmitteln afro-amerikanischer Musik.“ Dieses Prinzip wurde in Nord- und Lateinamerika in verschiedenen afroamerikanischen Musikgenres von der vokalen auf die Instrumentalmusik übertragen, etwa auf Trommeln in der brasilianischen Musik.

DIY-Szene: Do it yourself, abgekürzt DIY, ist eine Phrase aus dem Englischen und bedeutet übersetzt Mach es selbst. Im musischen Sinn versteht man darunter das Konzept eines Sets von ästhetisch-ethischen Grundsätzen alternativer Musik.

Dub-Reggae: Ursprüngliche Reggae-Songs werden als Rohmaterial verwendet und mit Effekten versehen neu abgemischt. Eine Machart, die bereits in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren auf Jamaika entstand. Erlebt eine Wiedergeburt im Bereich elektronischer Tanzmusik.

Elektro-Boogie: Auch Electric Boogaloo, nicht zu verwechseln mit Onkel Martins Boogie-Woogie auf der Hammond-Orgel, ist eine um 1975 in Fresno (Kalifornien) entwickelte Tanzrichtung, die unabhängig in New York Blüten treibt und ein Element des Funk und des Streetdance ist. Die Old School des Hip-Hop-Tanzes, wird auf Robot reduziert, weil das Imitieren eines Roboters Teil der Performance ist. Eng verwandt ist der Electric Boogie mit Popping, weist aber auch signifikante eigene Bewegungen auf, wie etwa die Illusion von Wellen, die durch den Körper fließen (was häufig mit Popping gemischt wurde, um den „Electric Boogaloo“-Effekt zu verstärken).

Garagen-Psychedelic: Unterabteilung des Garage-Rock, Garage Punk oder Sixties Punk. Mit den letzteren wird ein nachträglicher Bezug zum Punkrock der 1970er Jahre hergestellt. Weitere alternative Bezeichnungen sind Freakbeat für überwiegend britische Bands sowie Acid Rock für die psychedelische Phase.

Garagen-Trash: Sind keineswegs die alten, verrosteten Benzinkanister, die im Zeitalter der E-Mobilität überflüssig sind, und die vergessenen Reste von Entfroster fürs Kühlwasser, also das Sammelsurium, das so in der Garage rumliegt, sondern ein Musikstil abgefuckter Punks, die keinen besseren Übungsraum als die Garage des Redneck-Dads am Stadtrand von Sydney finden, wo sich beispielsweise die Hard-Ons gründeten. The Trashwomen aus San Francisco beweisen, dass auch Frauen zu infernalischen Punk-Kakophonien in der Lage sind.

Glam-Rock: Ein weiteres Subgenre der Rockmusik, bei der sowohl die Musik als auch der Bühnenauftritt sehr opulent ausfallen. Glam Rock ist Anfang der 1970er Jahre besonders in Great Britain sehr populär – als Kontrapunkt zum Artrock von Pink Floyd, King Crimson, Yes oder Genesis. Erlebt in den 1980ern als Glam Metal eine Renaissance.

Grunge: Rockmusik-Genre und Subkultur, die klingt, wie sie heißt – zu deutsch „Schmuddel“, „Dreck“. Hervorgebracht durch die US-Undergroundbewegung in den 1990er-Jahren. Grunge, auch als Seattle-Sound, wird als Vermischung von Punkrock, Underground-Garagenrock und Hardrock beschrieben. Die frühe Grunge-Bewegung drehte sich um Seattles unabhängiges Plattenlabel Sub Pop und die Underground-Musikszene der Region.

Post-Punk: Taucht erstmals 1977 in dem britischen Musikmagazin Sounds auf, um die schrägen Töne von Siouxsie and the Banshees zu beschreiben. 1980 beschreibt der Kritiker Greil Marcus in einem Rolling-Stone-Artikel Bands wie Gang of FourThe Raincoats oder Essential Logic als „britische Postpunk Pop-Avantgarde“. Post-Punk gilt als experimentierfreudig und bunte Mischung aus Krautrock, des Dub, Disco und elektronischer Musik.

Progressive Rock (auch Prog oder Progrock): Entstand Ende der 1960er Jahre, als Musiker Rockmusik um stilistische Merkmale anderer musikalischer Gattungen ergänzten. Dabei wurden Kompositionsweisen und Harmonik aus der abendländischen Klassik einbezogen. Die Bands griffen auch auf Einflüsse aus Jazz (Jazzrock) und nicht-westlichen Formen zurück (Weltmusik). Der Musiker Keith Emerson beschreibt das von ihm mitgestaltete Genre als durch ein fortschreitendes Spiel mit musikalischen Ideen geprägt: „Es ist Musik, die fortschreitet. Sie nimmt eine Idee und entwickelt sie, statt sie einfach zu wiederholen. Pop-Songs bestehen aus Wiederholung, Riffs und Einfachheit. Progressive Musik nimmt ein Riff, kehrt sein Inneres nach außen, stellt es auf den Kopf, spielt es dann wieder andersherum und erkundet so sein Potenzial.“

Proto-Punk: Adelstitel für die Wegbereiter des Punk und Erfinder minimalistischer Gitarren-Riffs wie The Velvet UndergroundMC5The DictatorsThe Stooges, die New York DollsThe MonksMott the Hoople oder The Sonics – bereits in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre.

Sleaze-Rock: „Sleazy“ heißt so viel wie „schäbig“ assoziiert auch mit Abschaum. Sleaze Rock leitet sich vom Image der Sleaze-Rock-Bands ab, die eine rebellische Underdog-Mentalität pflegen und sich mit Tätowierungen, abgerissenen Lederjacken, zerrissenen Jeans und Netzhemdenvom Glam Metal abgrenzen. Dem Sleazerock wird vorgeworfen, altes Bier in neuen Fässern zu sein. Bands wie Guns N’ Roses, L.A. Guns oder Faster Pussycat vermischen Hardrock mit Elementen des Bluesrock, Metal, Garage Rock und Punkrock.

Wave: Kurzwort für New Wave, eine Dachbezeichnung für mehrere, mit der New Wave zusammenhängende Teilgebiete der Musik, die bspw. als Cold Wave, Dark Wave, Doom Wave, Electro Wave, Ethereal Wave und Gothic Wave bezeichnet werden. Seit der zweiten Hälfte der 1980er wird von der Musikpresse der Ausdruck „Post-Wave“ genutzt. Dieser bezeichnet das musikalische Output und die kulturellen Neuerungen nach dem Ausklingen der Wave-Ära. Da sich die Wave-Bewegung allerdings in verschiedene Strömungen und chronologisch voneinander abweichende Etappen gliedert (z. B. New Wave, Electro Wave, Cold Wave und Neue Deutsche Welle), erweist es sich häufig als schwierig, Post-Wave zeitlich zu erfassen. Grob umrissen wird dabei jedoch die Zeit ab den späten 1980ern mit dem Aufleben von Musikrichtungen wie Madchester, Shoegazing, Acid House, Techno, Grunge oder Britpop in Europa.

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