Schwerverletzter fleht: “Alexa, ruf die Polizei an, ich sterbe”

Regensburg. Ein 26-Jähriger drang im Dezember 2022 im Drogenrausch (Heroin, Crack, Crystal) in die Wohnung eines ihm wildfremden Regensburgers ein. Er richtete dort ein Blutbad an. In seiner Not rief der Bewohner (19) seine "Alexa" um Hilfe.

Alexa Schwurgericht
“Alexa” kann so einiges – aber die Polizei kann sie nicht rufen. Dafür müsste vorher ein Notfallkontakt eingespeichert worden sein. Foto: pixabay

Nächsten Mittwoch, 23. August, beginnt am Landgericht Regensburg ein Sicherungsverfahren gegen den beschuldigten Regensburger. Der Vorwurf: versuchter Mord. Die Antragsschrift der Staatsanwaltschaft schildert den höchst dramatischen Ablauf der Tat.

Die Antragsschrift ist nichts für schwache Nerven. Demnach war der 19-Jährige ein reines Zufallsopfer. Er hielt sich an einem Vormittag im Dezember in der Wohnung eines Freundes auf und erwartetet dessen Rückkehr. Als er Geräusche an der Tür hörte, öffnete er arglos. Die Sicherungskette hing noch vor.

Opfer wollte durch Fenster fliehen

Vor der Tür stand ein ihm unbekannter Bewohner aus dem Stockwerk darunter, bewaffnet mit Maurerhammer und Messer. Mit brachialer Gewalt trat der 26-Jährige die Tür ein, sodass die Kette aus dem Türstock riss. Nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft soll er dem jungen Mann dann ansatzlos in den Bauch gestochen haben. Er handelte laut Antragsschrift unter dem Eindruck des Wahns, seine Familie retten zu müssen. Der 26-Jährige forderte Geld; der 19-Jährige hatte nur Kleingeld im Portemonnaie und bot schließlich alles mögliche an: sein Smartphone, die Nintendo, seine EC-Karte.

Was sich in den 20 Minuten des Überfalls abspielte, beschreibt die Staatsanwaltschaft als “gefühllos und unbarmherzig”. Der Täter stach und schnitt sein Opfer unzählige Male in Brust, Hals, Gesicht, Arme, Beine. Der 19-Jährige versuchte verzweifelt zu fliehen, startete sogar einen Versuch, aus dem Fenster (des dritten Stocks) zu springen und wurde zurückgerissen. Als er blutend am Boden lag, soll ihm der 26-Jährige mit dem Maurerhammer mehrmals auf den Kopf geschlagen haben.

“Alexa” zeichnet Hilferufe auf

Ehe der Täter die Wohnung verließ, versetzte er dem Opfer mehrere Schnitte quer um den Hals. Luftröhre und Halsschlagader lagen frei. Die Staatsanwaltschaft geht von Tötungsabsicht aus. Dem 26-Jährigen wird versuchter Mord vorgeworfen. Die Vielzahl der Schnitte, Stiche und Hammerschläge hätten zudem Schmerzen und Qualen verursacht, die “über das für die Tötung erforderliche Maß” hinaus gingen.

Das Alexa-Gerät in der Wohnung zeichnete sechs verzweifelte Befehle des Opfers auf. Immer wieder wiederholte der 19-Jährige: “Alexa, ruf die Polizei.” “Alexa, ruf die Polizei.” Einmal versucht er es anders: “Alexa, ruf Lukas (Name des Wohnungsinhabers, geändert) an.” Beim letzten Versuch sagte er: “Alexa, ruf die Polizei an, ich sterbe.” Zu einem Verbindungsaufbau kam es nicht. Dem Verletzten gelang es schließlich, den Hausflur zu erreichen. Mit dem Fuß klopfte er an die Nachbarstür und kollabierte.

Junger Mann dauerhaft entstellt

Das Leben des 19-Jährigen konnte in mehreren Stunden Notoperation gerettet werden. Die Liste seiner Verletzungen nimmt eine DIN-A-4-Seite ein. Mindestens vier der Verletzungen waren akut lebensgefährdend. In Folge der Schnitte im Kopfbereich muss der junge Mann zudem mit dauerhafter Entstellung leben.

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Beschuldigte im Zustand der Schuldunfähigkeit handelte. Er litt an einer drogenbasierten Psychose. Er hatte Crack, Crystal und Heroin eingenommen. Bereits am Tag nach seiner Verhaftung war der gebürtige Saarbrücker im Bezirkskrankenhaus untergebracht worden. Das Sicherungsverfahren ist auf mehrere Verhandlungstage ausgelegt. Ziel ist die dauerhafte Unterbringung.

“Alexa” als Zeugin

Schon einmal spielte Sprachassistentin “Alexa” eine Rolle in einem Regensburger Schwurgerichtsprozess. 2020 verurteilte das Landgericht einen 54 Jahre alten Mann wegen Totschlags an seiner Ex-Partnerin.

Mithilfe von Audiodateien, die Amazon zur Verfügung gestellt hatte, konnte per “Alexa” der Tatzeitraum eingegrenzt werden. Zweimal war in dieser Nacht die Stimme des Angeklagten zu hören. Der Täter hatte dem Gerät um Mitternacht sowie ein zweites Mal gegen 3 Uhr Befehle erteilt: “Alexa, aus.” Ansprechpartner für die Staatsanwaltschaft Regensburg war damals die Clearingstelle von Amazon in Belgien.

Die Staatsanwaltschaft Regensburg schrieb damit Rechtsgeschichte. Es war das erste Mal, dass in Deutschland die Sprachaufzeichnung eines Smart-Speakers als Beweismittel zum Einsatz kam.

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