WSW-Prozess: Der Auftritt der Vorständin

Weiden. Im Prozess gegen die Verantwortlichen der WSW sagt am Mittwoch die Vorständin aus. Sie redet 220 Minuten ohne Punkt und Komma. Fazit: "Wir haben für unsere Kunden Vollgas gegeben. Wir hatten ein Superprodukt."

Landgericht Weiden WSW WohnSachWerte Strafkammer Kiener
Sieht man auch nicht alle Tage: Pumps und Fußfesseln. Zum Verhandlungsbeginn wurde die Angeklagte von letzteren befreit. Foto: Martin Stangl

Mittwoch, 10.10 Uhr. Tina K. (50), Vorständin der WohnSachWerte eG, hat ihren großen Auftritt. Schick gemacht, frisiert, schwarze Hose, weiße Bluse, schwarzer Cardigan. Zwischen den Pumps klimpert die Fußfessel. Sie bittet vorab, in der Mittagspause nicht wieder in die fensterlose Zelle des Landgerichts gesperrt zu werden: “dieses furchtbare Loch.” Fragen zu ihrem Vortrag möge das Gericht am Ende stellen. Die Strafkammer unter Vorsitz von Peter Werner nimmt’s ohne Kommentar zur Kenntnis. Mittags landete sie dann doch in der Zelle.

Vorstrafen werden weggelassen

In ihrer Aussage startet Tina K. einen wortreichen Ritt durch die Geschichte der WohnSachWerte eG. Es fällt auf: Unvorteilhaftes lässt sie weg. Zum Beispiel ihre Vorverurteilung aus München (2015: 2 Jahre Haft auf Bewährung wegen Betrugs). Vor Gericht erzählt sie, dass der Umzug nach Weiden private Gründe hatte. Sie habe nach dem Tod ihres Bruders an einer posttraumatischen Belastungsstörung gelitten. Ihr Vater habe sie nach Weiden geholt und ihr eine Stelle bei einer befreundeten Wohnungsbaugenossenschaft besorgt.

Auch der erwachsene Sohn und ihr neuer Mann wurden dort angestellt. “Alle waren glücklich und zufrieden.” Dann sei es zum Zerwürfnis mit dem Vorstand gekommen, weil dieser das “teuerste Wohnhaus in Weiden” gebaut habe: “Das hatte nichts mehr mit Genossenschaft zu tun. Wir wollten hier nicht mehr bleiben.” Auch hier lässt sie ein kleines Detail weg: Der Vorstand kündigte Tina K. fristlos. Der Vorwurf: Sie habe ihrem Sohn und Mann zu hohe Provisionen ausgezahlt. Sie hat dort Hausverbot.

Gebühren von über 1000 Euro: “Natürlich schreibt man das nicht oben hin”

2018 zogen die Drei ihre eigene Wohnungsbaugenossenschaft auf. Aber nicht, um “sich die Taschen vollzuklopfen”, sagt die Vorständin: “Wenn wir das vorgehabt hätten, hätten wir keine Genossenschaft gegründet.” In den ersten Monaten einer Genossenschaft gehe naturgemäß das ganze Geld für die Mitgliederwerbung drauf. “Wir wussten, dass es finanziell die ersten eineinhalb Jahre für uns eine Saure-Gurken-Zeit werden würde.”

Das Provisionsmodell habe man fast 1:1 von anderen Genossenschaften übernommen. Ebenso das Formular der Beitrittserklärungen. Die Gebühren (8 Prozent Aufnahmegebühr, 7,5 Prozent Gebühr für Ratengewährung, 48 Euro jährliche Kontoführungsgebühr) seien deutlich sichtbar genannt worden. “Natürlich schreibt man das nicht ganz oben hin. Das tut aber auch keine Bausparkasse, keine Versicherung.”

Immobilienankauf, Ausschüttung: “Stand alles bevor”

Wieder kommt die Erklärung, der Genossenschaftszweck (Wohnraum) wäre schon noch erfüllt worden, wenn die Festnahme nicht dazwischen gekommen wäre. Erst nach 18 Monaten Beitragszeit bleibe Geld für den Wohnungskauf übrig. “Wir wussten, dass wir erst Ende 2021 anfangen können, Eigenkapital für Immobilien zu bilden.” Auch eine Gewinnausschüttung an Kunden hätte unmittelbar bevorgestanden.

Im März 2022 erfolgte die Festnahme. Schon ein Vierteljahr später hätte es alles ganz anders ausgesehen, beteuert die 50-Jährige: “Im Juli 2022 hätten wir schon 10, 20 Wohnungen gekauft gehabt.” Später legt sie auf Nachfrage von Vorsitzenden Richter Werner noch eine Schippe drauf: “Für 2022 hatten wir 100 Einheiten geplant.” Sie spricht von 11.000 zahlenden Mitgliedern.

“Gibt immer Kunden, die zur Polizei laufen”

Man sei auch immer davon ausgegangen, dass die Online-Unterschriften per Smartphone oder Touchpad rechtens sind. Als dies moniert wurde, habe man versucht, die betroffenen Verträge zu “heilen”. Aber egal auf welchem Vertriebsweg: “Am Ende hatten alle Kunden immer eine Beitrittserklärung und haben diese auch immer unterzeichnet.” Jeder habe Begrüßungsschreiben erhalten.

Und die Beschwerden? Die über 100 Strafanzeigen? “Genossenschaftsmitglieder sind speziell.” Es gäbe “immer Kunden, die zur Polizei laufen und steif und fest behaupten, sie hätten das nicht unterschrieben”: “Ich glaube, dass der Kunde alles erzählt – Hauptsache, er kommt aus dem Vertrag raus.” Sie persönlich halte die Kündigungsfrist von fünf Jahren für sehr sinnvoll. “Unser Produkt ist gut. Wir haben Geringverdiener vor uns, Menschen, die aus eigener Kraft wenig sparen könnten.”

Einen Chat, in dem sie sich mit ihrem Sohn über Kunden lustig macht, erklärt sie mit Anekdoten: Sie sei öfters selbst an die Hotline gegangen. Eine Kundin habe auf die Frage, warum sie unterschrieben habe, behauptet: “Weil ich stockbesoffen gewesen bin.“ Einer habe gesagt, bei ihm sei eingebrochen worden und der Dieb habe die Auftragsbestätigung geklaut und unterschrieben.

Verbraucherschutz klagte schon 2020 gegen WSW

Schon 2020 klagte der Verbraucherschutz am Landgericht Weiden gegen die Online-Vertragsabschlüsse der WSW. Die Vorständin nutzt sogar diese Klagen zu ihrer Verteidigung: Selbstverständlich habe man auf Kritik immer sofort reagiert. Ein Anwalt habe alles “tutti-completti” – ihr Lieblingswort – geprüft. “Ich habe wegen jedem Pups Kontakt zu unserem Anwalt aufgenommen.”

Sie geht immer wieder auf Konflikte zwischen ihrem zweiten Mann und ihrem Sohn aus erster Ehe ein – auch, wenn die nichts zur Sache tun. “Mein Mann war fürchterlich eifersüchtig auf ihn.” Sie erzählt Privates über ihre späte Schwangerschaft, über depressive Verstimmungen ihres Mannes. Zur Aufteilung der Rollen der drei Angeklagten sagt sie: “Wir sind Familie. Wir haben das gemeinsam gemacht.”

Um 12 Uhr mittags ist sie bei der Hälfte ihres Manuskripts. Am Nachmittag wird die Verhandlung fortgesetzt. Sie spricht erneut volle zwei Stunden ohne Pause: von 13.15 bis 15.15 Uhr. Tina K. beschreibt detailreich, wie die Mitgliederzahl mithilfe des Vertriebspartners aus Hannover (“er ist 100 Prozent Dynamit”) durch die Decke ging. Tina K. endet: “Wir haben wirklich an diese Genossenschaft geglaubt, wir hatten gute Konzepte. Wir hätten es hinbekommen, so wahr ich hier sitze.” Einmal schiebt sie ein: “Hab’ ich’s gut erklärt?”

Das Gericht hat einige Nachfragen. Unter anderem zum Einkommen der Vorständin. Sie sagt, sie habe 1200 bis 1300 Euro netto bekommen. Laut Anklage wurden 10 der 13 Millionen Euro Einnahmen auf das Konto ihres Ehemanns geschoben, von denen fast 7 Millionen Euro an Broker-Agenturen weiterflossen. Bleiben 3 Millionen. Richter Florian Bauer: “Haben Sie etwas von diesem Konto gehabt?” Sie antwortet ein wenig schnippisch: “Ja. Wir sind verheiratet. Wir haben das Haus bezahlt und Essen gekauft.” Die Ermittlungen ergaben Kosten für den “Lebensunterhalt” von fast einer Million Euro.

Die Arrestzellen des Landgerichts. Foto: Christine Ascherl
Die Arrestzellen des Landgerichts. Foto: Christine Ascherl

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