Die Tradition der Wanderschaft

Bärnau. Die Wurzeln der Wanderschaft gehen zurück bis in das Spätmittelalter. Heute als immaterielles Kulturerbe verankert, wissen wir doch vielerorts erstaunlich wenig über diesen Brauch, der unsere Handwerkslandschaft wohl maßgeblich geprägt hat. Umso stolzer sind der Geschichtspark Bärnau-Tachov und das ArchaeoCentrum bayern-böhmen Wandergesellen als Gäste zu haben. 

Wandergesellen_im_Geschichtspark Bärnau
Die erste Vorhut der Wandergesellen ist eingetroffen – und im Geschichtspark Bärnau werden es tagtäglich mehr.

Täglich treffen Wandergesellen aus ganz Deutschland und der Schweiz zum Steintreffen Bärnau ein. Das alljährliche Treffen der Steingewerke unterstützt dabei immer ein anderes soziales Projekt oder einen Verein. Armin Troppmann, Leiter des Handwerkteams und selbst ehemaliger Wandergeselle, ist glücklich und stolz über die tatkräftige Unterstützung der Gesellen bei der Errichtung der Reisestation Kaiser Karl IV. aus dem 14. Jahrhundert. Mit mittelalterlichen Handwerksmethoden werden sie unter anderem Granitsteine spalten und vermauern, Fundamente ausheben, Kalk brennen, in einem Rennofen Eisenerz verhütten, Bronze gießen und Reliefarbeiten anfertigen.

“Der Geschichtspark und das ArchaeoCentrum sind als Austragungsstätte ideal”, sagt Carina Wagner, die zuständige Projektleitung. Das Ziel sei fast in Vergessenheit geratene historische Handwerkskunst wieder aufleben zu lassen: “Sich breites handwerkliches Wissen anzueignen zählt zu einem der Kerngedanke der Wanderschaft. Beides zu vereinen und dabei dieses so wichtige Brauchtum zu fördern, ist wunderbar.“

Andreas Mann, Steinmetzgeselle auf Wanderschaft und Mitorganisator des Steintreffens, freut sich über die seltene Gelegenheit, dass hier alle Gewerke die Möglichkeit haben, das jeweils traditionelle Handwerk kennenzulernen. „Das ist sehr reizvoll. Da wir alle mit dem Einsatz von Maschinen verwöhnt sind, merkt man erst wie anstrengend es ist so zu arbeiten.“

Geschichtspark Bärnau Wandergesellen
Die Möglichkeit das traditionelle Handwerk eines jeden Gewerks kennenzulernen ist auch für die wandernden Gesellen eine Besonderheit. In den nächsten Tagen werden viele von ihnen auf der Reisestation Kaiser Karl IV. tatkräftig mit anpacken.

In die Welt hinausziehen – und lernen!

Die Wanderschaft hat ihren Ursprung im 15. Jahrhundert. Strebte ein Geselle einen Meistertitel an, war die Wanderschaft eine der Voraussetzung für die Zulassung. Zu dieser Zeit gab es kaum öffentlich zugänglich niedergeschriebenes Wissen in Büchern. Die Handwerker erlernten Fertigkeiten und Methoden, indem sie in die Welt hinauszogen. Mit dem Beginn der Industrialisierung und zunehmender Spezialisierung wurde diese Pflicht aufgehoben.

Oberstes Gebot: Tradition wahren

Mit wachsendem Wohlstand nach dem zweiten Weltkrieg verlor die Wanderschaft für viele ihren Reiz. Um 1980 verstärkte sich das Traditionsbewusstsein wieder – auf der Straße zählt man seither jährlich 500 wandernde Gesellen. Ein Großteil von ihnen gehört einem von acht Schächten an, wie den „Rechtschaffenen Fremden“, den „Rolandsbrüdern“ oder dem „Freiheitsschacht“. Aber auch die Wanderschaft als Freireisende, d.h. keinem Schacht zugehörig, ist möglich – dabei ist die Wahrung der Tradition stets oberstes Gebot.

Farbe bekennen – Beruf zeigen

Anhand der Kluft lässt sich erkennen, welches Handwerk der Fremde ausübt: Die Zimmerer tragen schwarz, die steinverarbeitenden Berufe grau oder beige. Die Farbe der Ehrbarkeit mit goldener Anstecknadel des jeweiligen Handwerkswappens zeigt die Schachtzugehörigkeit an. Die Weste mit acht Knöpfen steht für das achtstündige Tagewerk, das Jackett mit sechs Knöpfen für die sechs Wochenarbeitstage.

Der Hut wird nur zum Essen, Schlafen oder in der Kirche abgenommen. Zu Beginn der Wanderschaft wird dem Gesellen mit einem Nagel ein Ohrring gestochen. Verhält er sich unehrbar, wird ihm dieser Ohrring entrissen. Hier liegt der Ursprung der Begrifflichkeiten „jemanden Festnageln“ und „das Schlitzohr“.

Wie lange dauert Wanderschaft?

Die genauen Regeln der traditionellen Reise werden seit jeher ausschließlich mündlich von Geselle zu Geselle überliefert. Allgemein hin bekannt sind jedoch die Dauer und die Bannmeile. So muss ein Geselle in den meisten Schächten mindestens drei Jahre und einen Tag auf Wanderschaft gehen und darf in dieser Zeit seinem Heimatort nicht näher als 50 Kilometer kommen. Die Fortbewegung erfolgt meist durch Trampen. Ein Wandergeselle am Wegesrand? Er hat sicherlich viele spannende Geschichten zu erzählen!

Ehrbares und rechtschaffenes Verhalten sind selbstverständlich ̶   denn so gebietet es die Tradition, auf dass es dem nächsten Gesellen mindestens genauso gut ergeht. Ist dieser Grundsatz in unserer Gesellschaft nicht aktueller denn je?

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Ausführliche Infos über Wanderschaft und handwerkliches Können: Bis 26.05. bietet der Geschichtspark Bärnau-Tachov viel Programm zum Thema! Mehr Infos hier. [/box]

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