Aberwitziger Zerstörungs-Krieg in der Ukraine: „Ich denke oft, wie zum Trost, an den Wiederaufbau“ [Kolumne mit Video]

Altenstadt/WN. Unser Kolumnist Jürgen Huber, Altenstädter Künstler und Ex-Bürgermeister, zu Besuch in seinem ehemaligen Berliner Kiez. Bei der Ankunft der Geflüchteten am Hauptbahnhof denkt er: „Wie zum Trost, an den Wiederaufbau. Jetzt schon, ja.“

Jürgen Huber vor seinem Gemälde „Der General“, das die Fratze des Krieges zeigt. Bild; Jürgen Herda

Ich bin gerade in Berlin, meine alten Wege mal wieder gehen, meinen früheren Kiez und die Veränderungen ansehen, mich von den Orten und Räumen, von den Plätzen und dem Lifestyle der großen Großstadt anregen zu lassen, wie zu der Zeit als ich hier gewohnt hatte und meinen ersten Roman schrieb.

Ich wohne nicht mehr in Berlin und auch nicht mehr in Regensburg, sondern jetzt an der Peripherie, an der Grenze zu Böhmen, und Berlin ist mehr als noch vor wenigen Jahren zum Zentrum, zum Highlight geworden.

Kinder an jeder Hand

Alle Augen auf die Hauptstadt Berlin, auch die Augen der Medien, aber auch die Augen der hier in der Sicherheit ankommenden aus der Ukraine Geflüchteten am mächtigen Hauptbahnhof aus Glas. Die armen, geplagten Menschen kommen mit einer Tasche, mit einem Koffer, mit Kindern an jeder Hand aus Kiew und Odessa, aus Charkiw und Mariupol, das nun alle kennen, wie noch nicht so lange her, Aleppo unser Bild des Kriegs-Grauens war.

Totale Zerstörung, niederbrennen, Druckwellen von Bombenexplosionen, heiß explodierende Raketen, alles zerfetzende und zersprengende Marschflugkörper. Das ist Militärlogik, Zerstörungslogik. Das kommt unweigerlich, wenn Krieg, wenn ganz „hartes Durchgreifen“ ein Mittel sein soll. Aber es sind auch viele der in Berlin ankommenden Menschen aus dem großen weiten Land, nicht nur die zerstörten Städte sind umkämpft, aus Dörfern und teils aus heruntergekommenen Hütten, aus kleinen Siedlungen und der oft ärmlichen Peripherie der großen Städte sind sie geflohen.

Warten an der polnischen Grenze

Sie haben an der Grenze zum aufnahmebereiten und befreundeten Polen lange, lange warten müssen. Wie wir vor ein paar Jahren, als wir zu viert mit einem Kleinbus nach Odessa fuhren, um der Feuerwehr in Odessa (600 Mann) benötigte Dinge zu bringen und zu sehen, ob das von uns gestiftete, gebrauchte Feuerwehrauto noch im Einsatz ist, die neue, gespendete Tragkraftspritze noch ihren Dienst tut (letztere war „verschwunden“).

Wir waren 15 Stunden an der Grenze, die Geflüchteten zur Zeit sogar ein Vielfaches davon. Die ukrainischen Behörden sind wohl noch immer am barsch unmenschlichen Sowjetsystem ausgerichtet oder werden immer noch danach ausgebildet? Ich weiß es nicht. Klar, die Männer sollen wegen der Generalmobilmachung nicht ins Ausland fliehen. Ich empfand es vor ein paar Jahren als demütigend, angsteinflößend, wie noch einige Jahre früher, als junger Mensch, beim Transit ins damals schon hippe Berlin, durch die DDR.

Grenzenlos selbstzufrieden

Unser heutiges grenzenloses Europa, die EU, der Westen, wie Putin voller Abscheu sagt, haben uns selbstzufrieden werden lassen, was Grenzen angeht. Putin bringt uns gerade wieder bei, wo der Hammer hängt, wie zu Zeiten des kalten Krieges. Sein Geschichtsrevisionismus ist die neue Doktrin, aber auch andernorts als im Kreml in Moskau gibt es derartige Überlegungen, alte Grenzen wieder herzustellen, zurück zu erobern, Imperien wieder „great“ zu machen.

Putin schwimmt zu Hause in der offiziell komplett designformierten Blase der russischen Glaubenswelt (unterstützt von der Kirche mit den vergoldeten Kuppeln), in der es leider doch viele gibt, die gerne wieder Großmacht, wie zu Zeiten Stalins, wären. Putin ist zunächst wie Trump, Bolsonaro, Erdogan und andere Auto- und Kleptokraten mehrheitlich gewählt worden. Es gibt also den verbreiteten Wunsch nach starken Männern, auch in Polen und Ungarn.

Gestrandete Ukrainer am Berliner Hauptbahnhof. Bildverfremdung: Jürgen Herda

Wehrhafte Demokratie verlernt?

Auch in Deutschland haben radikale politische Gruppierungen um die 20 bis 25 Prozent der Menschen hinter sich, wenn sie mit „harter Hand“ oder sogar „brutal“ vorgehen wollen. Dass es genau diese Menschen sind, diese grausamen Männer, selten sind Frauen darunter, denen die Ukrainer so egal sind, wie eben auch schon unter Stalin die eigenen, oft kindlich jungen Soldaten, wie die untergegangene Besatzung des U-Bootes Kursk vor ein paar Jahren, völlig egal. Nicht mal ihre Leichname wollte man – angeblich – von der Ukraine zurück.

Das ist so erschreckend, so niederschmetternd, so skandalös unmenschlich, dass ich es immer noch nicht glauben will und absolut nicht für möglich gehalten hätte. Ich kann es nicht glauben, nicht weil ich zu naiv und gänzlich gutgläubig wäre, sondern weil wir im von Putin gehassten Westen, in der EU so viel Emanzipation und Rechte und Freiheiten des Individuums errungen und erlebt haben, in meiner Lebensspanne, dass wir uns Grenzkontrollen, Polizei-Gewaltregime und deren Unmenschlichkeit gar nicht mehr recht vorstellen können, gar nicht mehr in unsere Erwägungen mit einbeziehen.

Schon bei der Niederschlagung der absolut friedlichen Demonstrationen in Minsk haben wir mit offenem Mund da gestanden und waren eigentlich kollektiv überfordert. Ich meine nicht nur die oft geschmähte Politik, ich meine uns, alle. Auch bei Trumps Überfall aufs Capitol haben wir eher gerätselt und gebangt. Haben wir es verlernt, uns als Demokraten zu wehren, uns zu behaupten, den starken Männern, den Führern zu trotzen? Das wird noch und wieder schmerzhaft zu lernen sein, sonst gleiten wir in so etwas wie die 1920er und 30er Jahre des letzten Jahrhunderts. Vielleicht.

Der spiegelnde Kubus gegenüber des Berliner Hauptbahnhofs. Bild: Jürgen Herda

Flüchtlinge im Spiegel-Kubus

Da ich mit dem Hauptbahnhof der Hauptstadt begonnen habe, will mit ihm enden. Mit einer ästhetischen, mit einer Kultur-Frage: Vor dem mächtigen, gigantisch glasüberdeckten Haupteingang auf der Seite zum Kanzleramt, steht neuerdings ein gläserner riesengroßer Kubus. Ich habe ihn zum ersten mal gesehen. Sehr groß und eigentlich genauer als verspiegelt bezeichnet und gefaltet, seine Wände gebrochen widerspiegelnd was da ist, was da ist um das voluminöse Gebäude herum.

Dieses Bild sehen die Geflüchteten als erstes, mitten in Berlin, unweit der Siegessäule mit den vergoldeten Kanonen des 1870er-Krieges. Diesen Spiegelpalast sehen sie nach elender und langer Flucht, ankommen, wenn sie die vielen Rolltreppen herab oder herauf gerollt sind. Ein Wider-Spiegel-Gebäude für glatte 100 Millionen, das nichts verrät, aber alles um es herum zeigt, durch die Faltung der Gebäudehülle, verzerrt, geradezu irreal. Ist es das, was der Bundespräsident Steinmeier, ehemals Kanzleramts- und Außenminister, meinte, als er Putin mutig warnte, die Demokratie nicht zu unterschätzen?

Jürgen Hubers Stationen eines politischen Künstlerlebens

1954: Das Wunder von Altenstadt/Waldnaab ist ein „Weltmeisterjahrgang“.

Kindheit: Das freudig begrüßte Arbeiterkind ist geprägt vom Glashütten-Milieu seines Vaters. Im Kindergarten Premiere als Schauspieler, Begeisterung für Theater und Kunst erwacht.

Schule: Krumme Schullaufbahn über Keplergymnasium Weiden, BOS Regensburg bis zum FOS-Abitur im Bereich Gestaltung.

Sozialer Unternehmer: Der Gründer des legendären Kartenhauskollektivs in Regensburg leitet als Primus inter Pares den Verlag mit Druckerei von 1979 bis 1986.

Ausbruch: Nach halbjährigem London-Aufenthalt 1986 ist er als freiberuflicher Künstler unterwegs.

Über 100 Ausstellungen: Unter anderem in New York, Addis Abeba, Italien, Finnland, Polen und Tschechien.

Galerien: Seine Werke hängen in renommierten Galerien, wie Rudi Pospieszczyk in Regensburg, Axel Holm in Ulm, Otto van de Loo in München, Galerie Räber in Zürich, Galerie Slama in Klagenfurt oder Galerie Deschler in der Berliner Auguststrasse.

Messen: Ausstellungen auf Kunstmessen in Köln, Karlsruhe und Wien.

Museumsausstellungen: Als Solist, mit seinem Künstlerfreund Jan Pruski (Olsztyn, Masuren), als Mitglied der Künstlergruppe „Warum Vögel fliegen“ und dem Kunstverein GRAZ.

Veröffentlichungen: Herausgeber von mehr als einem Dutzend „Bilder-Lese-Büchern“ und Verfasser des fantastischen Debütromans Hiobertus, der in seiner zunehmend surrealen Flucht an Carl Einsteins kubistischen Roman „Bebuquin oder die Dilettanten des Wunders“ erinnert.

Politik: 12 Jahre Regensburger Stadtrat von 2008 bis 2020, sechs Jahre Umwelt-Bürgermeister in der Ära Wolbergs, den Huber als „schlampiges Genie“ in Schutz nimmt, „der Regensburg von bleierner gesellschaftlicher Lähmung“ befreit habe.

Heimat und Fremde: Nach einem längeren Aufenthalt in Mailand und langjährigem Zweitwohnsitz in Berlin lebt Huber heute in Schönsee (Landkreis Schwandorf) an der tschechischen Grenze. Kunstphilosophie von Karl Valentin inspiriert: „Kunst ist schön, macht aber Arbeit.“ Was er an seinem Genre liebt: „Man erfindet dabei die Welt – im Auge des Betrachters erst ganz und gar.“

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