Erste Stolpersteine im Landkreis Neustadt/WN: Erinnerung an Geschwister Kohner
Altenstadt bei Vohenstrauß. Erstmals werden im Landkreis Neustadt/WN Stolpersteine verlegt, die an im Holocaust ermordete Juden erinnern. In Altenstadt bei Vohenstrauß werden Steine für Ernestine und Karl Kohner verlegt.

Die Geschwister starben im Alter von 71 bzw. 66 Jahren im Ghetto Theresienstadt. Ernestine und Karl Kohner hatten ihre Kindheit in Altenstadt bei Vohenstrauß verbracht. Angestoßen wurde die Stolperstein-Verlegung von Realschülern aus Vohenstrauß. Sie hatten sich in einem Geschichtsprojekt mit Lehrerin Doris Thammer und Historiker Dr. Sebastian Schott auf Spurensuche gemacht.
Verlegung am Montag – Interessierte willkommen
Am Montag, 13. Mai, 11 Uhr, ist es nun so weit. Künstler Gunter Demnig kommt selbst zur Verlegung in die Weidener Straße nach Altenstadt bei Vohenstrauß. Er ist Initiator des Projekts Stolpersteine. Interessierte sind herzlich eingeladen. Das Projekt wird unterstützt durch die Stadt Vohenstrauß, den Förderverein der Staatlichen Realschule und verschiedene Privatpersonen.
Der Vohenstraußer Bürgermeister Andreas Wutzlhofer ist vor Ort. Eine Delegation der jüdischen Gemeinde aus Weiden nimmt teil. Werner Friedmann, Vorsitzender der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Weiden, wird sprechen. Auch der Bürgermeister aus dem tschechischen Dlouhý Újezd (früher Langendörflas), Miroslav Křížek, wird erwartet. Die Realschüler sind ebenfalls eingebunden.
Schüler recherchieren Familiengeschichte
Familie Kohner stammte ursprünglich aus dem böhmischen Langendörflas im Landkreis Tachau. Sie siedelte zwischen 1872 und 1874 nach Altenstadt bei Vohenstrauß über. Zwei der fünf Kinder sind noch in Langendörflas geboren, drei in Altenstadt bei Vohenstrauß. Die Familie lebte im sogenannten Gilch-Haus, benannt nach der gleichnamigen Konditorei.
Die fünf Kinder (geboren zwischen 1870 und 1878) verbrachten hier „eine glückliche Kindheit“, so Historiker Schott. Der Vater Joachim verdiente sein Geld als Hausierhändler auf dem Land. Er verkaufte den Bauern Kurzwaren und Stoffe. 1882 zog die Familie nach Weiden. Zehn Jahre später erwarb Joachim Kohner in Weiden das Heimatrecht.
Im Nationalsozialismus schwer gelitten
Von den fünf Kindern blieben nur Karl und Ernestine in der Oberpfalz, zwei Töchter wanderten noch im 19. Jahrhundert in die USA aus, eine heiratete nach Franken. Karl Kohner eröffnete 1906 mit seiner Frau Rosa ein Schnittwarengeschäft am Unteren Markt. Seine Schwester Ernestine lebte als ledige „Privatiere“ in der Johannisstraße.
Die Familie litt schwer unter dem Nationalsozialismus. Karl Kohner war wie alle jüdischen Geschäftsinhaber von den Boykottaufrufen der Nationalsozialisten betroffen. 1938 war seine berufliche Existenz endgültig vernichtet. Auch in der Reichspogromnacht erlebte die Familie Angst und Schrecken. Ein brauner Mob wütete in der Innenstadt. Auch Karl Kohner wurde aus der Wohnung geholt und zur Polizei im Alten Rathaus gebracht.
Abschiedsbrief ist noch erhalten
Historiker Schott verwahrt im Stadtarchiv Weiden einen Abschiedsbrief von Ernestine Kohner an ihre Nachbarin und Freundin Maria Reindl in der Johannisstraße. Deren Tochter Martha Stäudle hat den Brief dem Archiv überlassen. Ernestine Kohner nimmt darin Abschied: „Morgen in der Frühe geht es dahin.“ Sie glaubt, ins „Reichs-Altersheim Theresienstadt“ zu kommen. Tatsächlich war das „Ghetto“ Theresienstadt nichts anderes als ein Konzentrationslager.
„Karl Kohner starb bereits fünf Monate nach seiner Deportation im Februar 1943“, hat Historiker Schott recherchiert (nachzulesen in „Oberpfälzer Heimat“, Band 67). Der Kaufmann wurde 67 Jahre alt. Seine Schwester Ernestine (71) kam im März 1944 ums Leben.
Ein Sohn kehrt mit US-Army nach Weiden zurück
Karl hatte drei Söhne. Der mittlere Sohn Siegfried war während der NS-Zeit in Weiden geblieben, er wurde im Vernichtungslager Majdanek ermordet. Der älteste Sohn Willy war 1940 in die USA ausgewandert; er starb 1985 in Texas.
Interessant ist die Lebensgeschichte des jüngsten Sohnes Justin Kohner (Jahrgang 1912). Er hatte sich 1932 mit Anfang 20 nach Frankreich abgemeldet. Er schloss sich 1937 der Brigade von Hans Beimler im Spanischen Bürgerkrieg an. Als dieser verloren war, kam er zur französischen Résistance, die mit den Alliierten kooperierte. Nach Kriegsende kehrte Justin Kohner mit der US-Army nach Weiden zurück. Im Oktober 1945 ermittelte er gegen Tatverdächtige der Reichspogromnacht.
Stolpersteine: der Fahrplan
In der Stadt Weiden in der Oberpfalz sind im Jahr 2022 die ersten zwölf Stolpersteine verlegt worden, für die Familie Kupfer.
2023 folgte die Verlegung weiterer 18 Steine an fünf Standorten.
In Weiden sind noch heuer weitere Stolpersteine geplant, unter anderem für die Familie Boscowitz-Rebitzer.
Auf die Stadt soll der Landkreis Neustadt/WN folgen. Altenstadt bei Vohenstrauß ist aufgrund des Schüler-Engagements ein wenig vorgezogen worden. Anfragen gibt es zudem aus Floß, Standort der ehemals größten jüdischen Gemeinde, sowie Waidhaus, wo Familie Sadler (bekannt aus dem Film „Nirgendwo in Afrika“) zu Hause war.
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