Acht Jahre Haft: “Cannabis-Opa“ ist ein schwerer Junge

Weiden. Es gibt keinen Altersbonus für den „Cannabis-Opa“: Das Landgericht Weiden verurteilt am Freitag einen fast 80-Jährigen zu acht Jahren Haft. Eine Rolle spielt dabei sein Vorleben. Der Straubinger hat schon über 30 Lebensjahre im Gefängnis verbracht.

Die Anwälte Kabala Mbaluku und Rouven Colbatz mit dem Angeklagten. Foto: Christine Ascherl

Der 79-Jährige war im März 2023 an der Rastanlage bei Windischeschenbach mit Grüngut einer Cannabis-Plantage erwischt worden. Er wollte von Plauen, wo er einen Wohnsitz gemeldet hatte, in seine Heimatstadt Straubing.

Anhand des Bioabfalls (613 Wurzelballen, zwei Zentimeter dicke Stengel) rechnete das Landeskriminalamt eine erzeugte Menge von mindestens 19 Kilogramm Marihuana hoch. Bei dem Senior fand sich zudem ein USB-Stick. Darauf waren Details über Aufzucht, Aufbau und Kosten von zwei Indoor-Plantagen. Die Erträge waren auf drei Personen aufgeteilt.

Ein Standort konnte auf einem Anwesen bei Gefell in Thüringen ermittelt werden. Dort wurden Post des Angeklagten und sein Motorrad gefunden. Die angebliche zweite Plantage ist bis heute unbekannt. Die Staatsanwaltschaft Weiden geht von zwei Mittätern in Thüringen aus. Diese beiden Männer kamen ungeschoren davon. Die Beweise reichten nicht für ein Ermittlungsverfahren.

Staatsanwalt plädiert auf 8 Jahre

Erwischt hat es dafür den 79-Jährigen. Aber wie. Mit 8 Jahren wählt das Gericht das von Staatsanwalt Christoph-Alexander May geforderte Strafmaß. Die Strafkammer verurteilt den Senior wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln. Die Richter glauben ihm nicht, nur der Entsorger des Abfalls gewesen. Sie glaubten ihm auch nicht, seinen USB-Stick nur verliehen zu haben; die Daten seien nicht von ihm.

Richter Peter Werner: „Räuberpistolen, die wir ihm nicht abnehmen.“  Das hohe Lebensalter und der Gesundheitszustand (Rheuma) seien bereits berücksichtigt worden. „Wer mit 79 Jahren schwere Straftaten begeht, muss damit rechnen, mit 80 längere Strafen zu bekommen.“

In der Vorstrafenliste: versuchte Gefangenenbefreiung

Warum gar so harsch? Das erklärt sich beim Vorstrafenregister mit 16 Einträgen. Der Cannabis-Opi“ ist ein schwerer Junge. Insgesamt hat er 33,5 Jahre seines Lebens hinter Gittern verbracht. Seine Lebensgeschichte – romanreif.

Geboren als Kriegskind 1944 lässt ihn die Mutter zurück und wandert in die USA aus. Er wächst bei den Großeltern in Augsburg auf, wird 1961 erstmals straffällig. Er fährt mit dem Moped ohne Licht. Er bricht Autos auf, fährt ohne Führerschein. Es folgen Diebstähle, Einbrüche, Hehlerei.

Der Angeklagte ist ein netter Typ und macht sich offenbar auch im Gefängnis schnell Freunde. 1970 versucht er, einen Mithäftling aus der Haft zu befreien. Es kommt zum Schusswechsel mit der Polizei. Das Landgericht verurteilt ihn wegen versuchten Mordes und versuchter Gefangenenbefreiung zu 9 Jahren, die er voll verbüßt.  

Zumindest nutzt er die Zeit. In Haft studiert er Maschinenbau und lernt vier Fremdsprachen. Wieder draußen ist er zehn Jahre brav. Als 2007 sein Arbeitgeber den Betrieb schließt, wird der polyglotte Ex-Knacki zum Drogenkurier. 2008 fährt er ein Kilo Kokain von den Niederlanden nach Österreich (4 Jahre 6 Monate Haft). 2014 wird er auf dem Weg nach Ungarn mit zwei Kilogramm Marihuana erwischt (3 Jahre). Beide Male gerät er in Grenzkontrollen. Über seine Komplizen schweigt er eisern.     

Angeklagter: “Ich werde das nicht überleben”

Er kann’s nicht lassen. „Auf meinen Lebenslauf bin ich alles andere als stolz“, sagt der Angeklagte vor Gericht. Das geforderte Strafmaß macht ihn dennoch „sprachlos“. Sein letztes Wort wird etwas ausführlicher, „nachdem es hier um den Rest meines Lebens geht“.

Statistisch gesehen werde er acht Jahre Haft nicht überleben. „Der Staatsanwalt möchte meinen Lebensabend und den meiner Frau vernichten.“ Seit 36 Jahren lebt der Angeklagte mit seiner Lebensgefährtin zusammen, die noch immer zu ihm halte, „trotz knastbedingter Wartezeiten“.

Inzwischen sei seine Frau 82 Jahre alt, bekomme gerade eine neue Hüfte. Er würde dringend daheim gebraucht, sonst müsse ein Pflegedienst in Anspruch genommen werden. Er sei auch den drei Enkeln und zwei Urenkeln seiner Frau ein guter Opa. „Das wäre nicht der Fall, wenn ich ein mieser Charakter wäre.“  Und „von wegen Großdealer“: Er bekomme 500 Euro Rente, die er mit der Restaurierung von Zündapp-Mofas aufgebessert habe.  

In sieben Wochen gilt neues Cannabis-Gesetz

Mit seiner Tat – „verfaulte und verschimmelte Marihuana-Reste zu transportieren“ – habe er niemandem geschadet. „Dafür soll ich den Rest meines Lebens ins Gefängnis.“ Ausdrücklich begrüßt er die neue Cannabis-Gesetzgebung.  An Nikotin-Zigaretten würden jährlich 70.000 Menschen sterben, ebenso viele an Alkohol. „Es gibt nicht einen einzigen Cannabis-Toten auf der Welt. Nach spätestens drei Joints schläft man ein und der Fall ist erledigt.“

Die neue Gesetzgebung ist auch der Rettungsanker, den die Verteidigung auswirft. In sieben Wochen soll das neue Cannabis-Gesetz in Kraft treten. Dann gilt ein niedrigerer Strafrahmen. Anwalt Kabala Mbaluku hält es für absurd, den Senior noch nach altem Recht zu verurteilen. Damit sei jetzt schon vorgezeichnet, dass Revision eingelegt wird. Wenn dann der BGH entscheidet, gilt schon das neue Gesetz. „Es ist doch nicht sinnvoll, sehenden Auges eine Entscheidung herbeizuführen, die keinen Bestand haben wird.“

Verteidigerkollege Rouven Colbatz sieht maximal Beihilfe und plädiert auf 2 Jahre 6 Monate. Die Anklage sei tatsächlich außergewöhnlich: „Man liest fünfmal das Wort vermutlich und achtmal das Wort unbekannt.“  

Von Flut im Ahrtal betroffen

Noch ein kleines Rätsel löst sich am Freitag: Wie kommt der Angeklagte aus Niederbayern an einen Anwalt aus Nordrhein-Westfalen? Nach dem Drogenschmuggel an der deutsch-niederländischen Grenze war er 2016 in Euskirchen im Vollzug. Weil dort so viel Freigang gewährt wird, nahm sich seine Lebensgefährtin eine kleine Ferienwohnung an der Ahr. Die behielt das Paar auch danach, weil man das Ahrtal mochte. 2021 fegte die Flut die Wohnung weg, der Angeklagte wurde per Hubschrauber gerettet.

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1 Kommentare

Sabine Dettmann - 10.02.2024

Lebenslang für das Transportieren von Cannabisabfällen? Das Urteil ist ein einziger Skandal. Was ist das für eine Justiz? Soll das etwa noch ein Rechtsstaat sein? Stoppt endlich das braun-blaue Gesocks!!