Bockboanig [ˈbɔkbaɪ̯nɪç]: Der Krieg des Temperaments – San Siro feat. Kreisklasse

Nordoberpfalz. In dieser Woche geht es um die südländische Leichtigkeit – beziehungsweise, dass wir damit leider gar nichts anfangen können. Mal wieder was vom Chiosatore (Glossenschreiber).

Ein heißblütiger Tänzer wird er nimmer – aber man kann es ja mal probieren, wenn man sich unbeobachtet fühlt. Foto: OberpfalzECHO/Andrea Schreiber

Es war mein persönliches Erweckungserlebnis, letztes Wochenende schallte die ganze Palette an italienischen Schlagerklassikern durch die Redaktion. Ich hatte Wochenenddienst und hangelte mich durch alle südländischen Gassenhauer. Und an einem bin ich dann hängengeblieben. Mein neues Lieblingslied ist garantiert nicht nur Fußballfans wohlbekannt, in diesem Beitrag in drei lässigen Varianten.

“Wie kann man das denn machen, wenn es doch den Bach runtergeht! Oh Gott, wir sind doch so verdrossen!!!”

Ich antworte dem sprichwörtlichen Deutschen Michel mit einem italienisch-bajuwarischem “Ja, mei …” Wäre ich Österreicher, würde ich so einem nöhlenden Piefke eine handfeste, nicht minder lässige sanitäre Empfehlung auf seinen ach so steinigen Passionsweg mitgeben (“geh scheißen …”).

Völlig wider Erwarten kam ich, umso öfter der unvergleichliche Ohrwurm mir durch die Gehörgänge gekrochen ist, so auf einen weiteren Aspekt, der uns Deutschen bedauerlicherweise gänzlich fehlt: das Temperament. Man muss ja nicht südländisch, heiß und bockig-stolz sein – aber mitunter würde uns ein bisschen Temperament gepaart mit etwas mehr Gelassenheit zumindest nicht schaden. Es täte nicht mal weh und man müsste nichts extra dafür bezahlen. Wenn da nicht das Damoklesschwert des Deutschen darüber schweben würde – dass ein anderer mehr davon bekommen könnte.

Neulich beim ewig jungen Kreisligaduell Wolferszwing gegen Lackelwurf:

Ganz schön cool, Gänsehaut inklusive. Aber auch ich bin Bewohner der Bundesrepublik Deutschland und deshalb muss ich den schmissigen Schlager selbstverständlich zuerst einmal sezieren. Fangen wir mit der Übersetzung an:

Anfang:

Was für ein Chaos, das wird es sein, weil ich dich liebe.
Es ist eine Emotion, die langsam wächst.
Umarme mich fest und bleib näher bei mir.
Wenn es mir gut geht, es wird sein, weil ich dich liebe.

Refrain:

Und flieg, flieg, man weiß es, man geht höher und höher.
Und flieg, flieg mit mir, die Welt ist verrückt,
Und wenn es keine Liebe gibt, es reicht ein Lied
um Verwirrung innerhalb und außerhalb von dir zu schaffen.

… oder schlicht und einfach kurz zusammengefasst “Ich drehe durch, weil ich dich liebe.” Spätestens jetzt höre ich sie schon wieder, die typischen Deutschen, die angesichts des luftig-leichten Schlagers wieder ihre Darmspiegelungsmiene aufsetzen und verkünden: “Wo ist denn da die Tiefe, der Sinn? So ein Quatsch! So kann man das doch nicht sagen.” Es muss schön sein, von solchen Menschen geliebt zu werden.

La dolce vita? Vergiss es, so ticken wir nicht!

Ob die Leute in Deutschland da so mitgehen würden, ist fraglich. Wir versammeln uns aus andern Gründen auf öffentlichen Plätzen. So schnell könnte der wahrscheinlich nicht schauen, dann wäre schon das Ordnungsamt da. Gute Laune an einem öffentlichen Platz verbreiten? Nicht mit uns. Das gibt mindestens drei Jahre Knast wegen schwerem Landfriedensbruch. Ach ja, und rumhüpfende Kinder, da müsste man dann auch noch das Jugendamt einschalten.

Tango, Fox und Zipflwetzer

Wenn ich so einen wundervollen Gassenhauer höre, bereue ich es ein ums andere Mal, dass ich nicht tanzen kann (siehe Titelbild). “Ich kann das doch nicht” – doch, muss ja nicht perfekt sein, Hauptsache es macht gute Laune. Aber Vorsicht, denn die ist ansteckend …

Preisfrage

Was unterscheidet den deutschen Rentner vom italienischen? Das könnte eine Antwort geben.

Warum nicht auch als älterer, heterosexueller Mann zugeben, dass der Giovanni Zarrella ein geiler Typ ist? Auf jeden Fall bringt er der Halle Spaß und Freude und Angela Brambati ist Jahrgang ’47. Nicht schlecht, oder? Aber gönnen können fällt uns halt so schwer …

Auch ich bin ein barockes, bajuwarisches Trum – aber hin und wieder mal die Fünfte grade sein zu lassen und sich etwas locker zu machen muss doch drin sein. Ist das nicht einfach das, was das Leben leichter macht? Liebevoll zu sein, mitzuheulen, weil ein Bambini weint, die rationale Welt mal verlassen, das christliche Prinzip der Nächstenliebe ernst nehmen?

Freude hat viele Gesichter

… aber bitte immer ein lachendes Gesicht! Wir waren mal ein richtiges Brett in der Geisteswelt, “Ein Volk der Dichter und Denker” wurden wir genannt und haben einst die Freude auf einen richtig hohen Sockel gehoben:

Freude, schöner Götterfunken,
Tochter aus Elysium,
Wir betreten feuertrunken,
Himmlische, dein Heiligthum.
Deine Zauber binden wieder,
Was die Mode streng getheilt,
Alle Menschen werden Brüder,
Wo dein sanfter Flügel weilt. Friedrich Schiller, Ode an die Freude

Im Augenblick erleben wir leider Woche für Woche zu gut, was los ist, wenn der Deutsche mal wieder “feuertrunken” ist. Außerdem gibt es bei der TUI kein günstiges Pauschalpaket für den Urlaub in Elysium, geschweige denn eine Reiserücktrittsversicherung.

Wir waren auch mal ein Land der Ingenieure und der Innovation und bei der PISA-Studie zumindest noch im grünen Bereich. Auch nicht schlecht. Was sind wir jetzt? Es ist so schwer, sich einfach mal zu freuen, ohne Anlass gute Laune zu haben oder die anderen Leute schlicht und einfach mal in Ruhe zu lassen?

Einfach lebendig sein

Abschließend nochmal den Meister Goethe, mal wieder unser Faust – ein typischer Deutscher halt:

Gequält war’ er sein Leben lang,
Da fand er mich auf seinem Gang,
Ich macht’ ihm deutlich, dass das Leben
Zum Leben eigentlich gegeben.
Nicht soll in Grillen-Phantasien
Und Spintisiererei entfliehen.
Solang man lebt, sei man lebendig.

Ich habe fertig.

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1 Kommentare

Kore E. - 12.02.2024

„Warum den Apfel? O verflucht die Früchte! Warum sind Früchte schön, Wenn sie verdammen? Von der italienischen Extraversion zur römischen Introversion. Weil es Goethe ist, der von der Proserpina spricht. Doch ist sie in wahrer Natur die ganze Lebensfreude, so der Kern des Beitrages. Oder wo befindet sich das Elysium?