Der Jugendschutz im Wandel der Zeit: Zeugnis von 1922

Georgenberg. Elfriede Süß ist im Nachlass ihres 2022 gestorbenen Ehemanns Erhard auf das Schlusszeugnis der Volkshauptschule dessen Tante Maria Süß gestoßen: „Das habe ich ganz zufällig beim Durchstöbern alter Unterlagen entdeckt."

Elfriede Süß betrachtet immer wieder gerne das Abschlusszeugnis aus 1922. Foto: Josef Pilfusek

„Tempora mutantur, nos et mutamur in illis.“ Der Spruch des römischen Schriftstellers Ovid, der aussagt, dass sich sowohl die Zeiten als auch wir Menschen in ihnen ändern, hat schon immer Bestand und an seiner Bedeutung nicht verloren. Deutlich wird das etwa in puncto Gesetzgebung. Weil der Zwischenzeugnistag in den Fasching fällt, ist das ein guter Grund, einmal auf die Zeit vor rund 100 Jahren zurückzublicken.

Exkurs in lange vergangene Zeiten

Beim Betrachten des Zeugnisses fällt zunächst auf, dass neben dem Eintritt in die Schule sowohl die erste Impfung als auch die Auffrischung aufgeführt sind. „Das kann sich heute sicher niemand vorstellen“, findet Elfriede Süß. Erwähnung findet außerdem der Besuch des Religionsunterrichts während der damals sieben Jahre dauernden Schulzeit bis zum Abschluss.

Dass mit diesem die Schulpflicht noch nicht zu Ende ist, wird mit dem Hinweis deutlich, dass die Schülerin nach Maßgabe der bestehenden Vorschriften zum anschließenden Besuch der Volksfortbildungsschule oder der sie vertretenden Schuleinrichtung verpflichtet bleibt.

Aufgrund § 1 der Verordnung über die Schulpflicht vom 22. Dezember 1913 beginnt die Schulpflicht für Knaben und Mädchen mit der Vollendung des sechsten Lebensjahres und dauert regelmäßig zehn Schuljahre. Wortlaut: „Hiervon treffen regelmäßig sieben Schuljahre auf die Hauptschulpflicht und drei Schuljahre auf die Fortbildungsschulpflicht.“ Nach § 2 dieser Verordnung schließt sich an die Entlassung aus der Volkshauptschule unmittelbar die Pflicht zum Besuch der Volksfortbildungsschule an.

Foto: Josef Pilfusek

Keine Kompromisse beim Jugendschutz

Doch damit nicht genug: Der „Giftzettel“ enthält schließlich einen Auszug aus dem Polizeistrafgesetzbuch für das Königreich Bayern vom 26. Dezember 1871. Und der hat es in sich. Schließlich wird der Art. 56 Abs. 1 zitiert, in dem es heißt, dass Eltern, Pflegeeltern, Vormünder, Dienst- und Lehrherren, welche ihren schulpflichtigen Kindern, Pflegekindern, Mündeln, Dienstboten oder Lehrlingen den Besuch öffentlicher Tanzunterhaltungen gestatten, an Geld bis zu zehn Talern oder mit Haft bis zu acht Tagen bestraft werden.

Es geht aber noch weiter. Aufgrund Art. 56 Abs. 2 sind nämlich mit Haft bis zu sechs Tagen Volksfortbildungsschulpflichtige zu bestrafen, welche öffentlichen Tanzveranstaltungen anwohnen oder ohne Erlaubnis der Eltern, Pflegeeltern, Vormünder Dienst- oder Lehrherren Wirtshäuser besuchen. Dazu kommt der Art. 58 Abs. 2, nach dem Haft bis zu drei Tagen auf Anzeige der Schulbehörden gegen diejenigen Schulpflichtigen erkannt werden kann, welche aus eigenem Verschulden den Besuch der Volksfortbildungsschule fortgesetzt versäumen.

Kann sich das heute noch jemand vorstellen?

Bereits der römische Anwalt, Politiker, Philosoph und Schriftsteller Marcus Tullius Cicero hatte mit seinem Ausspruch „O tempora, o mores!“ in seinen Schriften den Verfall der Sitten beklagt. Die Redensart, übersetzt mit „O Zeiten, o Sitten!“, soll noch heute auf den Wandel der Zeiten und den Verfall der Sitten hinweisen.

Elfriede Süß, Jahrgang 1941, hatte mit den gesetzlichen Bestimmungen vor 100 Jahren selbst nichts mehr am Hut. „Bei uns war das nicht mehr so streng“, blickt die bekannte Heimatdichterin zurück. Erinnern kann sie sich allerdings, „dass wir spätestens um 22 Uhr heimgehen mussten, wenn wir mal zum Tanzen gegangen sind“. Allein war das nach ihren Worten ohnehin nicht möglich. „Ein Elternteil musste immer dabei sein.“

Die Georgenbergerin ist mit dem am 4. Dezember 1951 erlassenen und am 6. Januar 1952 in Kraft getretenen Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit (JÖschG) aufgewachsen. Diese ist nach mehreren Änderungen 2003 zusammen mit dem Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdeter Schriften und Medieninhalte (GjSM) im neuen Jugendschutzgesetz (JuSchG) aufgegangen.

Zumindest mal in Gaststätten

In der ersten Fassung Anfang der 1950er-Jahre durfte Jugendlichen unter 16 Jahren der Aufenthalt in Gaststätten nur in Begleitung eines Erziehungsberechtigen gestattet werden. Das galt jedoch nicht für die Teilnahme an einer Veranstaltung, die der geistigen, sittlichen oder beruflichen Förderung dient. Ausnahmen galten für Jugendliche, wenn sie auf Reisen waren, sowie zur erforderlichen Einnahme einer Mahlzeit oder eines Getränks.

Nicht gestattet waren die Teilnahme für Jugendliche unter 16 Jahren an öffentlichen Tanzveranstaltungen. Möglich war das jedoch bis 22 Uhr, wenn sie sich in Begleitung eines Erziehungsberechtigen befanden. Waren die jungen Leute 16 bis 18 Jahre alt, durften sie mit der Begleitung eines Erziehungsberechtigen bis 24 Uhr öffentlich das Tanzbein schwingen.

„Jetzt gehen die meisten jungen Leute ja erst später weg“, weiß Elfriede Süß. „Und das ist oft nicht vor 22 Uhr.“ Klar, dass es mit dem Heimgehen dann durchaus bis zum nächsten Morgen dauert. „Wenn zu unserer Zeit der Tanz um 20 Uhr begonnen hat, waren wir meistens schon längere Zeit zuvor da, um uns die besten Plätze zu sichern.“

Jugendschutzgesetz heute

Aktuell gilt das Jugendschutzgesetz vom 23. Juli 2002, zuletzt geändert durch
das Gesetz vom 9. April 2021. Unter anderem darf Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren die Anwesenheit an öffentlichen Tanzveranstaltungen ohne Begleitung eines Erziehungsberechtigten gar nicht und Jugendlichen ab 16 Jahren längstens
bis 24 Uhr gestattet werden. Ausnahme: Kinder dürfen bis 22 Uhr und Jugendliche unter 16 Jahren bis 24 Uhr teilnehmen, wenn ein anerkannter Träger der Jugendhilfe den Tanz veranstaltet oder die Veranstaltung der künstlerischen Betätigung oder Brauchtumspflege dient.


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