Der “Pate” spielt mit dem Feuer: Deal mit der Justiz beinahe gescheitert

Weiden. Auf Messers Schneide stand plötzlich kurz vor der Mittagspause der Shishabar-Prozess. Zunächst beherrschte jedoch die sehr sachliche Beweisaufnahme den Ton des Prozessgeschehens.

20231219 Der Pate Foto: Martin Stangl
Für den Hauptangeklagten im Shishabar-Prozess (rechts) geht es für mehrere Jahre in Haft. Foto: Martin Stangl

Eine akribische Beweisaufnahme von einem umsichtig agierenden Gericht gehört zu den Grundpfeilern eines Rechtssystems, um das Deutschland weltweit beneidet wird. Wenn jedoch ein – vorsichtig gesagt – maximal selbstbewusst auftretender Hauptangeklagter versucht, einen sorgsam ausgehandelten Deal mit der Justiz auszuhebeln, dann zeigen sich die Organe der Rechtspflege sauer.

Beweisaufnahme startet mit Aussagen von Zollbeamten

Am dritten Prozesstag startete die 1. Jugendkammer des Landgerichts Weiden unter der Leitung von Peter Werner und beisitzendem Richter Florian Bauer sowie zwei Schöffen mit der Befragung von mehreren Zollbeamten. Sie waren maßgeblich an den Ermittlungen gegen den mutmaßlichen Drogenring beteiligt.

Der erste Zollbeamte berichtete ausführlich über die Telefonüberwachung, die im Vorfeld der Verhaftungen zu einer erdrückenden Beweislage gegen die fünf Angeklagten führte. Im Mittelpunkt der Fragen stand die zweifelsfreie Zuordnung von Geodaten, die über die Handys aufgezeichnet wurden. Zusätzlich standen Chatverläufe als Beweismittel zur Verfügung.

Die Kombination der Daten erlaubt konkrete Rückschlüsse auf die Personen, die Kurierfahrten zum Drogenerwerb tätigten. Zudem ermöglicht die Handyauswertung eine relativ genaue Ortsbestimmung: “Die Daten beweisen, dass die Drogen im Münchner Stadtteil Hasenbergl gehandelt wurden.”

Versteckte Kamera: Marihuana in Eishockeytaschen in Bar getragen

Eine vor der Weidener Shisha-Bar verdeckt installierte Kamera fing weitere Beweise ein: Nach der Rückkehr aus München wurde in voluminösen Eishockeytaschen der Stoff in die Bar transportiert. Nach und nach trafen die Abnehmer der heißen Ware dort ein und verließen mit offensichtlichen kleineren Päckchen das Lokal. Mutmaßlich waren es bei jeder Einkaufsfahrt Marihuana-Mengen in der Größenordnung zwischen zwei und fünf Kilo.

Für Kriminelle geradezu stümperhaft war der Umgang aller Angeklagten mit ihren Handys: Sie filmten Videos von sich, dem eingekauften Rauschgift und darüber hinaus von Geldscheinbündeln, die in der Bar immer wieder auf den Tischen lagen.

Video von Bestrafungsaktion

Weiteres brisantes Material fanden die Ermittler ebenfalls auf einem sichergestellten Handy. Die Bestrafungsaktion eines unzufriedenen Abnehmers offenbarte den Beamten eine besonders brutale Vorgehensweise eines Angeklagten. So wurde der ‘Nörgler’, weil er sich negativ über die Preise des Rauschgiftes äußerte (Original-Chat: “Der hat so viel Scheiße gelabert”), kurzerhand in die Shisha-Bar “vorgeladen”.

Dort musste er zunächst seine Hose ausziehen und wurde dann mit Faustschlägen ins Gesicht malträtiert. Der ursprünglich gefasste Plan, die Demütigung zu verschärfen, wurde nicht umgesetzt, um kein öffentliches Aufsehen zu erregen. Ihm wurde nach der Strafaktion die Hose wieder ausgehändigt. Ursprünglich sollte er halbnackt auf die Straßen Weidens geschickt werden.

Don Corleone alias “Der Pate” als Vorbild

Aus den Chatverläufen ging hervor, dass der Hauptangeklagte sich besonders bei der Organisation und Durchführung des schwunghaften Handels mit Betäubungsmitteln hervortat. Ganz nach dem offensichtlichen Vorbild ‘Don Corleone’ aus dem Mafia-Thriller von Mario Puzo wurde er deshalb als “der Pate” bezeichnet. Dieses Bild pflegt er zuweilen auch genüsslich im Gerichtssaal.

Sein Auftreten spiegelt – trotz angelegter Fußfesseln – ein extrem großes Selbstbewusstsein. Dies wurde ihm allerdings am Dienstag beinahe zum Verhängnis.

Zündeln am Deal mit der Justiz

Zum Deal mit der Justiz, der schon am ersten Verhandlungstag ausgehandelt wurde, zählte ein umfassendes Geständnis, was die Taten und vor allem auch die Mengen der erworbenen Drogen anging. Dafür wurde dem Hauptangeklagten eine Verurteilung am unteren Ende des möglichen Strafmaßes in Aussicht gestellt.

Doch kurz vor der Mittagspause scherte sein Verteidiger aus und versuchte das Geständnis hinsichtlich der Rauschgiftmengen zu relativieren. Richter Florian Bauer sichtlich erregt: “Wenn Sie jetzt so weiter machen, ziehen wir sofort unsere Bereitschaft zu einer Verständigung zurück.” Ins gleiche Horn stieß Staatsanwalt Christoph-Alexander May: “Noch eine Frage in diese Richtung und die Staatsanwaltschaft kündigt den Deal.” Vorsitzender Richter Peter Werner unterbrach die Verhandlung für zehn Minuten, damit sich Anwalt und Angeklagter beraten konnten.

Naher Verwandter gibt Anweisung für Anwalt und Angeklagten

Ein seit dem ersten Prozesstag sehr engagiert zuhörender naher Verwandter gab schließlich Regieanweisung für den Angeklagten und seinem Strafverteidiger: “Wir bleiben bei dem Deal”, wies er den Rechtsanwalt an. Angeklagter und Verteidiger fügten sich den Anweisungen und gaben nach der Pause an, den eingeschlagenen Weg nicht mehr weiter beschreiten zu wollen.

Nach der Mittagspause stand das Gutachten der Vertreterin des Jugendamtes an, die einen zum Tatzeitpunkt 20-jährigen Mitangeklagten zu beurteilen hatte. Sie bejahte seine rechtliche Behandlung als Heranwachsenden, was möglicherweise in seinem Strafmaß berücksichtigt werden könnte.

Prozess auf der Zielgeraden

Sehr präzise und sachlich war die Zeugenaussage einer Zollbeamtin, die bei einer einzelnen Überwachung persönlich zugegen war. Sie gab an, eine Observation von Weiden bis zu einem Parkplatz innerhalb von Altenstadt/WN durchgeführt zu haben. Ausführlich und extrem detailreich beantwortete ein weiterer Zollbeamter die Fragen von Gericht, Staatsanwalt und Verteidigern. Selbst bohrende Nachfragen von einem Strafverteidiger konnten seine Einlassungen nicht erschüttern.

Zum Abschluss des Verhandlungstages gab Richter Peter Werner für den letzten Verhandlungstag in diesem Jahr die Marschrichtung vor. Zunächst soll Landgerichtsarzt Dr. Bruno Rieder sein Gutachten vorstellen. Wenn dann noch Zeit ist, könnten die persönlichen Verhältnisse der Angeklagten behandelt werden.

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